Text na stránkách 5

Text: 
Dienstag, 28. Dezember 1926. Ascher Zeitung. Seite 5. zu erfahren. Das war so: Eines Tages, es war un- gewöhnlich kalt, fand ich einen schlafenden Mann im Schnee. Der Aermste war beinahe eingefroren, Ich brachte ihn in meine Hütte und rieb ihn solange mit Spiritus ab, bis er wieder zu sich kam. Nach- dem er sich ausgeschlafen hatte, erzählte er mir, daß er ein Schneider aus der benachbarten Stadt sei, die freilich auch ein paar hundert Werst entfernt war. Alle paar Wochen lief ein Bote aus der Stadt in die Hauptstadt des Bezirks, um die Post abzuholen. Eines Tages schlug dieser Mann seinem Freunde, dem Schneider, vor, ihn einmal zu begleiten. Das paßte dem Schneider zufällig gut, denn er wollte sich Stoff besorgen. Aber als die Beiden den halben Weg hinter sich hatten, ließ der Postbote den müden Kameraden im Stich, während dieser am Feuer saß, und lief auf seinen Schneeschuhen schnell davon. Wenn ich den Mann nicht gerettet hätte, wäre er erfroren. Da entschloß ich mich, den treulosen Postboten zu bestrafen. Ich rechnete mir ungefähr aus, wenn er zurückkehren mußte, und lauerte ihm am Weg auf. Endlich kam er. Ich ging geradewegs auf ihn zu und schrie Halt. Der Postbote muß gleich etwas gemerkt haben; sein böses Gewissen spiegelte sich deutlich in seinem verstörten Gesicht wieder. Da fragte ich ihn, wo sein Begleiter, der Schneider, sei. Der Schneider sei, antwortete er mir, in der Stadt geblieben. Daß lügst Du, schrie ich ihn an. Den Schneider hast Du hier zurückgelassen, und er ist erfroren. Da wurde der Postbote leichenblaß. Er ist tot, und Du wirst gleich sterben, fuhr ich fort und legte mein Gewehr auf ihn an. Da fing der Postbote an zu weinen und bat mich, noch ein Wort sagen zu dürfen. Er tat mir leid; darum sagte ich nicht nein. Und er er- zählte mir, der Schneider habe seine Frau, die er über alles in der Welt geliebt habe, verführt. Dafür habe er sich rächen wollen und beschlossen, seinen Nebenbuhler auf diese grausame Weise zu bestrafen. Als er von seiner Frau sprach, standen ihm die Tränen in den Augen. Gut, sagte ich, Du sollst Dein Leben behalten, ich schenke es Dir; und wenn Du recht hast, wirst Du lebendig nach Hause kommen. Als ich in meine Hütte zurückkehrte, war der Schneider verschwunden. In der Nähe fand ich seine Leiche. Ein Bär hatte ihn zerrissen. Ich habe noch nie erlebt, daß ein Bär im Winter einen waffenlosen Mann angegriffen hat. Die Taiga hat ihr Urteil in dieser Sache gesprochen. Der Verführer wurde bestraft, der Postbote aber kam lebendig nach Hause.“ sagen wimmeln von Irrtümern, sondern auch Er- wachsene, die einen einige Wochen zurückliegenden Vor- fall beschreiben sollen, bringen im besten Glauben die unrichtigsten Tatsachen vor. Man mache den Ver- such und lasse ein Dutzend Menschen die Ornamente beschreiben, die sich auf den Tapeten ihrer Zimmer befinden, und kaum einer wird genaue Angaben machen können über diese Dinge, die er tausende von Stunden vor Augen gehabt hat. Besonders schla- gende Beispiele dafür, was wir alles nicht sehen, liefert der bekannte Genfer Psychologe Prof. Cla- parede in einem Bericht über Prüfungen, die von ihm angestellt wurden. Er fragte seine 51' Zuhörer, ob ein Fenster, dessen Aussehen er ganz genau be- schrieb, sich in dem Universitätsgebäude befinde. Es war ein großes, sehr auffälliges Fenster von eigen- artiger Form, an dem jeder der Studenten täglich mehrere Male vorbeiging, und doch erklärten 42 Stu- denten, es gebe kein solches Fenster, zwei waren un- sicher, und nur acht wußten anzugeben, wo es sich befinde. Bei einem anderen Versuch wurde ein kleines Bild, das eine Landschaft mit sehr ausgesprochenen Merkmalen, einer Kirche, einem Hügel, Bäumen usw. darstellte, zwanzig Studenten je dreißig Sekunden lang gezeigt; am nächsten Tage sollten sie dann an- geben, was sie behalten hätten. Nur zwei von den zwanzig waren imstande, eine ziemlich richtige Be- schreibung zu machen; sechzehn gaben ganz falsche Dinge an, und zwei hatten überhaupt nichts behalten. Schließlich inszenierte Prof. Claparede einen aufregen- den Vorfall in seiner Vorkesung; er ließ einen grotesk angezogenen und maskierten Mann in den Hörsaal eindringen, sich wild gebärden und Schreie ausstoßen, bis er herausgeworfen wurde. Der Vorfall spielte sich sehr schnell innerhalb zwanzig Sekunden ab, und der Professor kam auf den Zwischenfall erst nach einer Woche zurück; er legte dann den Studenten dreizehn verschiedene Fragen vor, die sich auf das Aussehen desseltsamen Eindringlings bezogen. Hat er einen Hut getragen und wenn, von welcher Farbe? Wie war er angezogen? Wie war die Farbe seines Haares? Hatte er etwas in den Händen? Trug er Handschuhe oder einen Schlips? Neun Studentn sagtn aus, daß er überhaupt keinen Hut gehabt habe; die übrigen gaben seine Farbe mit schwarz, braun, grau und weiß an. Elf Studenten machten über die Haar- farbe Mitteilung, obgleich dieselbe unsichtbar gewesen. Ueber die Art der Maske, die er getragen, konnte kein Einziger Auskunft geben. Dampfsäge- und Hobel- Lauer &amp Weigel,. hof, Anruf 61, liefern prompt sämtlichen Holz- bedarf für Industrie, Gewerbe und Privat. /sI/ Kalender und ihre Geschichte. Römische Steintafeln. — Meister Gutenbergs „Türkenkalender“. — Der erste „Hundert- jährige“. — Kalendermoden. — Die Zeit der Almanache. — „Zeitvertreib für hübsche Frauen“. — Politische Kalender. — Das „Heldenjahr“. — Die Kalender der Sioux- Indianer. Von Franz Stüber. Schon die alten Aegypter haben sich des Kalenders liche Geschichte des Kalenders beginnt bedient. Zwei im Palast des Rames gefundene, mit mit der Erfindung der Buchdrucherhunst. Inschriften geschmückte Reliefs erinnern daran, daß Im 15. Jahrhundert erschienen die ersten Kalender, alle Monate und auch jeder einzelne Tag einer beson- und zwar war es Deutschland, das mit dem Kalen- deren Gottheit gewidmet waren, deren Namen sie derdruck begann. Im Jahre 1439 hatte zwar Johan- trugen. Diese Kalender dürften die ältesten der Welt nes von Gmünd — er nannte sich de Gamundia — sein; ihre Nachprüfung läßt erkennen, daß die astro- schon zwei Kalenderblätter, im Großfolio auf Holz- nomische Wissenschaft schon damals mit großer Ge- tafeln geschnitten, herausgegeben; ihm folgte Guten- nauigkeit gearbeitet hat. Auch im alten Rom pflegte berg im Jahre 1455 mit seinem bereits gedruckten man den Ablauf des Jahres auf Steinkalendern bild- „Türkenkalender“, in dem er seinen Lesern „ein Gud lich darzustellen. Auf einer rechteckigen Steinplatte nuwe heilig Jahr“ wünscht, und in den nächsten Jahr- waren oben in einer Reihe die Götter und Göttinnen zehnten gab es dann noch mehrererlei ähnliche gedruckte der Wochentage eingemeißelt; darunter in kreisför- Kalender: den Augsburger, Uimer, Straßburger und miger Anordnung die Zeichen des Tierkreises, die Erfurter, während in Frankreich der erste Kalender den zwölf Monaten entsprachen, und zu beiden Sei- im Jahre 1493 erschien, der „Kalender der Schäfer“ ten die Zahlen 1 bis 30. Neben jedem Monat, jeder genannt, der übrigens volle zweihundert Jahre hin- Woche und jeder Tageszahl, war ein Loch, in das man durch fortgeführt wurde. Alle diese Kalender waren einen Pflock einstecken konnte, um das gewünschte aber noch keine alljährliche neu erscheinenden, son- Datum zu bezeichnen. So zeigte also ein schneller dern sog. „immerwährende“ Kalender. Erst Meister- Blick auf den Steinkalender, jeden Tag an. Die eigent- Peypus in Nürnberg gab 1513 einen Jahreskalender Was wir alles nicht sehen. Die moderne Psychologie hat durch Versuche ge- zeigt, wie vorsichtig man in der Bewertung von Zeugenaussagen sein muß. Nicht nur die Kinderaus- Kantstraße gewesen sind?“ fragt der Vorsitzende immer eindringlicher. Der Zeuge schweigt einen Augenblick. Das bleiche Gesicht spiegelte eine unbeschreibliche Erregung wie- „Es kann in meinem Wahn gewesen sein,“ sagte er schließlich mit stockender, zitternder Stimme. „Sind Sie in dieser Nacht vielleicht auch im Vensionat Falke gewesen?“ „Nein.“ „Es könnte in Ihrem Wahn gewesen sein.“ „Nein.“ „Nun, Zeuge Hock, so will ich Ihnen noch mehr sagen. Man hat gestern nachmittag in Ihrer Ab- wesenheit bei Ihnen Hausdurchsuchung abgehalten. 'Und da hat man etwas gefunden, das Sie sehr sorg- sam in einem Winkel Ihres Stalles verborgen hatten. Das war dieses Messer hier.“ Und der Vorsitzende hält ihm das spitze Messer entgegen, dessen rostige Flecken auch die gründliche Reinigung nicht hat beseitigen können, der man es unterzogen hat. Der Dachdecker Hock ist zusammengesunken, die zitternden Beine tragen den Körper nicht mehr — er fällt haltlos in die Knie — die abgemagerten Hände hat er über das aschfahle Antlitz gedeckt. „Das Messer! Mein Gott — mein Gott — das Messer.“ Immer unheimlicher dringt dies Schluchzen durch die Totenstille, die in dem weiten Saal herrscht. „Ermannen Sie sich, Zeuge Hock,“ sagt der Vorsitzende nach einer längeren Pause. „Sie haben uns noch viel zu bekennen. An diesem Messer hat selbst die flüchtige Untersuchung, die wir hier mit ihm vornehmen konnten, das Vorhandensein von Blut erkannt. Es ist dasselbe Messer, das in dem Pen- sionat Falle seit der Mordnacht verschwunden ist — mit diesem Messer — das ist zweifellos — ist der. der Freiherr Türck ermordet worden. Und dieses Messer hat man in Ihrem Stall gefunden — was wollen Sie dazu sagen?“ „Daß ich unschuldig bin, hoher Gerichtshof, — bei Gott im Himmel unschuldig!“ „Sie leugnen also, das Messer in Ihrem Stall verborgen zu haben? „Nein, das leugne ich nicht — ich habe es dort verborgen.“ „Zeuge Hock,“ erwiderte der Vorsitzende sehr scharf, „wollen Sie diesem Gerichtshof Märchen auf- binden? Sie sind in der Nacht des Mordes in der Kantstraße gesehen worden, — Sie geben die Mög- lichkeit zu, daß Sie dort gewesen. Das Messer, mit dem der Mord geschehen, ist in Ihrem Stalle bei einer Haussuchung entdeckt worden. Sie selber leug- nen nicht, es an sehr geschickter Stelle dort versteckt zu haben! Und jetzt wollen Sie alles das als ein Spiel des Zufalls hinstellen, jetzt behaupten, Sie hätten mit diesem Morde nichts zu tun?! Besinnen Sie sich eines Besseren und sagen Sie die Wahrheit!“ Der Dachdecker Hock hat sich langsam aus der gebückten Stellung, die er bis jetzt eingenommen, in die Höhe gerichtet, die zitternden Hände hat er vom Gesicht entfernt. Ein unbeschreibliches Gemisch von Angst und Verzagtheit und Trotz liegt auf den häßlichen stumpfen Zügen, spricht aus den blöden, rötlichen Augen. „Hoher Gerichtshof,“ sagt er, seine bebende Stim- me zur höchsten Anstrengung zwingend, daß die Worte gebrochen, stoßweise fast meckernd herauskommen, „ich kann in der Mordnacht in der Kantstraße gewesen sein — in meinem Wahn — es ist möglich. Ich habe dieses Messer in meinem Stalle versteckt — wieder in meinem Wahn — ich gebe es zu. Und doch — so wahr ein Gott im Himmel lebt, mit diesem Morde habe ich nichts zu schaffen.“ „Wie aber kommen Sie zu diesem Messer?“ „Ich habe es gefunden — am Strande gefunden!“ Ueber die ernsten Gesichter der Geschworenen gleitet ein Lächeln — im Zuhörerraum hört man hier und da ein Kichern, das seltsam zu der Todes- angst kontrastiert, mit welcher der Matin gespro- chen, indes ihm der Schweiß unaufhaltsam in dicken Tropfen von der Stirn perlt. — „Gefunden?!“ fragt der Vorsitzende, „Zeuge Hock, Sie werden selber zugeben müssen, daß diese Er- klärung sehr unwahrscheinlich klingt.“ „Und doch ist es so gewesen, hoher Gerichts- hof, und nicht anders. — In jener Nacht — es war ine helle Mondnacht — ich konnts mal wieder im Bett nicht aushalten — ich hatte einige Schluck getrunken — mein Wahn ließ mir keine Ruhe ich ging also zu meiner Wohnung hinaus in die Kantstraße und machte mir an dem Fenster eines Hauses zu schaffen, bis dieses Mädchen mich ver- trieb —“ „Hatten Sie einen Einbruch dort beabsichtigt?“ „Nein — es war man nur mein Wahn Absicht war es nicht.“ „Erzählen Sie nur weiter.“ „Ich ging jetzt also durch den Park an den Strand — und als ich da langsam auf und abging — mit einemmale sehe ich dort, hart am Strande, etwas glänzen. Und richtig, dieses Messer war es, das ich aufhob.“ „Die Geschichte klingt sehr romantisch, Zeuge Hock! Also am Strande wollen Sie das Messer gefunden haben?!“ „Am Strande — so ist es!“ „Warum aber versteckten Sie dieses Messer?! Sie müssen doch gehört haben, daß ganz Seewald damals nach dem Messer suchte! Warum zeigten Sie nun nicht an, daß sie es gefunden hätten.“ (Fortsetzung folgt.)
Název souboru: 
ascher-zeitung-1926-12-28-n301_4965.jp2