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30. August 1899 „Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 197 Seite 8 Höhe, die doppelte Höhe der doppelten Jahresausgabe einer Krankencosse, erreicht haben sollte. Nach der casseärztlichen Erfahrung gibt es besonders unter dem schwer arbeitenden und ärmsten Stande von Cassemitgliedern wenige, welche nicht irgend eine Störung im Organismus aufzuweisen hätten. Bei diesem Vorhandensein ist es also dem Arzte oft schwer möglich, die Grenze der Erwerbs- oder Arbeits- unfähigkeit genau zu bestimmen und er ist nur zu geneigt, dem klagenden Cassemitgliede nachzugeben, und dies umso- mehr, je entfernter der Sitz der Casse von dem Wohnorte des Arztes und des Mitgliedes gelegen ist, da das Interesse an dem Bestehen der betheiligten Casse gering und eine Einflussnahme der Casseverwaltung unmöglich ist. versicherung im allgemeinen und der Thätigkeit der Be- zirkskrankencasse in Karlsbad im besondern einige Beachtung zu schenken. Wie fast allen Neuerungen begegnete man auch der Bezirkskrankencasse in Karlsbad am Beginne ihrer Thätig- keit mit Milstrauen, Zweifel wurden laut, ob der Bestand für die Folge ein fester sein wird, und mancher Uebelstand muſste beseitigt werden, ehe es gelungen, jene Sympathien in der hiesigen und auswärtigen Bevölkerung für die Casse zu erringen, welche einem solchen Institute unbedingt ge- hüren. D Die hohe socialpolitische Bedeutung der obligatorischen Krankenversicherung, die reichen Erfahrungen in der nun- mehr zehnjährigen Thätigkeit der Krankencassen, haben er- geben, daſs das Krankenversicherungsgesetz in der heutigen Form sehr verbesserungsfähig und ausgestaltungsbedürftig ist; die Praxis reifte im Laufe der Jahre solche Ergebnisse. daſs man auch maßgebenden Ortes die beobachtende Hal- tung aufgeben, und sich zu größeren Zugeständnissen für eine Revision des Krankenversicherungsgesetzes bereit finden muſste. Es gelangte nach einer vorausgegangenen schrift- lichen Umfrage im Jahre 1897 zu einer mündlichen Be- sprechung über eine Reform der Krankenversicherung, an welcher die Vertreter aller Kassenkategorien, der Cassenver- bände, der Unfallversicherungsanstalten und sonftiger In- teressengruppen, als Aerzte, Apotheker ꝛc. theilnahmen. Es wurden Wünsche und Beschwerden lant, welche weniger zu einer wesentlichen Verbesserung der Krankenversicherung bei- zutragen vermöchten, als vielmehr localen Verhältnissen und Bedürfnissen entsprechen sollten. Verschiedene Gegen- sätze und Leidenschaften prallten aufeinander und führten zu erregten Redekämpfen, die einerseits eine Einmüthigkeit für wichtige Fragen verhinderten, anderseits die Behand- lung der letzteren vollständig unmöglich machten. Ein bedeutender Uebelstand liegt in den §§ 1-3 des Krankenversicherungsgesetzes, welche die Berufsarbeiter in versicherungspflichtige und nichtversicherungspflichtige Be- schäftigte scheidet. Die Folge davon ist, daſs ein Arbeiter einer nichtversicherungspflichtigen Beschäftigung durch die ganze Daner dieser Beschäftigung keine Beiträge zu einer Krankencasse leistet und nur vorübergehend, wenn er vor- aussieht, daſs er bald die Unterstützungen einer Kranken- casse bedürfen werde, erwirbt er sich durch eine ganz un- bedeutende Beitragsleistung Rechte, zu denen ein versicherungs- pflichtiges Mitglied während der ganzen Arbeitsdauer Zahlungspflichten zu erfüllen hat. Aus diesen Thatsachen geht wohl ganz deutlich die Ungerechtigkeit hervor, welche das Gesetz durch die Umgrenzung und Einschränkung der Krankenversicherung geschaffen hat. Berücksichtigt man weiters alle übrigen Beweggründe als: Arbeitslosigkeit, Alter, Gebrechlichkeit, eine zu erwartende Wöchnerinnen- Unterstützung ꝛc., welche es vortheilhaft erscheinen lassen, die Mitgliedschaft einer Krankencasse zu erwerben, so wird es erklärlich, daſs nicht nur alle Cassen den allerdings mit 201% der Jahresausgabe gesetzlich zu hoch bemessenen jähr- lichen Reservesondzuwachs nicht erreichen, sondern es viele Cassen gibt, die überhaupt einen Reservefond nicht aus- weisen können, der jtzt nach einer zehnjährigen Wirksam- keit des Krankenversicherungsgesetzes, die gesetzlich größte Ein besonders hervortretender Uebelstand des Gesetzes besteht auch darin, daſs einer Cassenkategorie die Ersatz- leistung des Arbeitgebers bei unterlassener rechtzeitiger An- meldung nach § 32 K.-V. mangelt und den Bezirkskranken- cassen der Schutz des Strafgesetzes gegenüber zahlungs- säumigen Arbeitgebern fehlt. Einleuchtend ist, daſs auf diese Weise den Bezirkskrankencassen manche Verluste bei leichtsinnigen Schuldnern erwachsen, die bei einer Reform des Krankenversicherungsgesetzes durch schützende Bestim- mungen vermieden werden könnten. Mit vollster Berechtigung könnte die Behauptung auf- gestellt werden, daſs die Humanität des Krankenversiche- rangsgesetzes zur vollen Entfaltung gelangen könnte, wenn einerseits die Einheit der Cassen hergestellt und die Zer- splitterung, welche der § 11 des K-V.-G. ermöglicht, be- seitigt würde, anderseits die obligatorische Krankenversiche- rungspflicht auf alle Arbeitsarten und Arbeiterkategorien ausgedehnt würde. Auf die eigentliche zehnjährige Thätigkeit der Bezirks- krankencosse in Karlsbad seit ihrer Activierung am 1. August 1889 übergehend, muss besonders betont und hervorgehoben werden, daſs der Charakter eines Kurortes stark hemmend und flörend auf einen regelmäßigen Geschäftsgang eines jeden Krankenversicherungs-Jnstitutes einwirkt, die Casse- mitglieder in zwei große Gruppen theilt, von denen die größte Zahl der einen Gruppe bei Kursaisonbeginr, die größte Zahl der andern Gruppe aber bei Kursaisonschluſs den Beschäftigungsort verlässt, sich in alle Weltrichtungen zerstreut und so im Krankheitsfalle die Casse stark belastet und die Erfüllung der Cassepflichten sehr erschwert. Neben der Bezirkskrankencasse im Bezirke wirken noch 9 genossen- schaftliche Krankencassen und 11 Betriebskrankencassen im Sinne des Krankenversicherungsgesetzes. Wie schon eingangs erwähnt, brachte die Bevölkerung des Karlsbader Gerichtssprengels dem Beginne der Thätig- keit der Bezirkskrankencasse in Karlsbad sehr getheilte Sym- pathien entgegen. Einem Institute, dessen Inslebentreten schon mit 1. Mai 1889 angekündigt war, der obwaltenden Schwierigkeiten halber aber erst mit 1. August desselben Jahres thatsächlich seine Thätigkeit beginnen konnte, ver- mochte ein besonderes Vertrauen nicht entgegengebracht werden. Dazu die thatsächlichen Verhältnisse, ohne jede Geldmittel eine Casse mit den verschiedenartigsten Bedürf- nissen einzurichten, Verpflichtungen zu übernehmen, deren ungewisse Bedeckung in ferner Zukunft lag, forderte das thatkräftigste Eingreifen kaller berufenen Factoren; und Dank, insbesondere der werkthätigen Mithilfe der Auf- sichtsbehörde und der unermüdlichen Opferwilligkeit der Functionäre der Casse gelang es, die großen Schwierig- keiten zu überwinden und das erste Verwaltungsjahr vom 1. August bis 31. December 1899 mit einem Reservesonde von 2696 fl. 841/2 kc. abzuschließen. Doch schon die letzten Tage des Decembers im Jahre 1889 zeigten, daſs das noch so schwache Institut einer schweren Probe und Prüfungs- zeit entgegengeht. Eine in hiesiger Gegend noch nie so stark ausgebreitete Influenza-Epidemie stellte Anforderungen, denen gegenüber die Bezirkskrankencasse in Karlsbad noch nicht gewachsen war. Die allwöchentlichen Krankengeld- auszahlungen der Casse stiegen durch nahezu 3 Monate selten unter 1500 fl. herab, welchen eine Einnahme an Cassebeiträgen mit monatlich rund 2000 fl. gegenüberstand. So wird es leicht erklärlich, daſs die Bezirkskrankencasse in Schulden gerathend, ein Wechseldarlehen von 6000 fl. aufnehmen musste und die Verpflichtungen an die Aerzte. Apotheker, Spitäler ꝛc. allmählig die Summe von 12000 fl. erreichten, daher mit April 1890 eine Schuldenlast von rund 18000 fl. aufgelaufen war. Das Schicksal und die Zukunft der Casse war bei diesen Zuständen wenig er- muthigend, Ansehen und Credit waren erschöpft und die- selbe nur auf die Selbsthilfe angewiesen. Doch auch dieser schwere, trostlose Zeitraum in der jetzt zehnjährigen Thätig- keit der Bezirkskrankencasse in Karlsbad wurde überwunden, und sogar der ganze Schuldenstand bis zum Jahresschlusse gedeckt, wenn auch der Reservefond am Anfange des Ver- waltungsjahres eine kleine Reduction von 2696 fl. 841/2 kr. auf 1376 fl. 57 kr. zu Ende des Jahres erdulden musste. Nachdem im Mona e April wieder normale sanitäre Ver- hältnisse eingetreten, war es die Hauptaufgabe der Ver- waltung, Ersparungen, Verbesserungen und Vervollkomm- nungen in der Geschäftsführung, wo nur immer thunlich einzuführen und zu erreichen. Eine geregelte Krankencon- trolle suchte der Ausbeutung und Simmlanz entgegen- zuwirken, und die abnormen Krankengeldauszahlungen in das richtige Verhältnis zu den Casseeinnahmen zu bringen. Abmachungen und Vereinbarungen mit den Aerzten, Apo- thekern und anderen mit der Casse in Geschäftsverbindung stehenden Personen mussten die hohen Ausgaben der Casse verringern helfer, und hierdurch gelang es den rastlosen Bemühungen der Casseverwaltung ein Resultat am Schlusse des Jahres 1890 zu erzielen, wie es früher angeführt wurde, das man sich aber im voraus nicht zu erhoffen wagte. Das gedeihliche Wirken der Bezirkskranken- casse in Karlsbad wurde auch von den Aufsichtsbehörden voll gewürdigt, durch die belobende Anerkennung des hohen k. k. Ministeriums des Innern, 1896, Zl. 32559, und durch die Verleihung des goldenen Verdienstkreuzes mit der Krone am 2. Dezember 1898 an den Obmann der Casse Herrn Ludwig Schurwon. Seit Anfang des Jahres 1891 bis heute hat das Wirken und die Thätigkeit der Bezirkskrankencasse in Karlsbad einen ziemlich regelmäßigen Verlauf gehabt. Der Reserverfond hatte alljährlich einen Zuwachs zu ver- zeichnen, wenn er auch nie die gesetzlich festgesetzte Höhe erreichen konnte u. zw. war der Reservefond am Schlusse Stilfser Joch-Straße, und darum gibt es auch dort viele Fremde. Wir trafen zwei Nürnberger Rad- sahrer, die auch des Regens wegen die Bahn be- nützten, aber gleich bis Mailand Karten gelöst hatten; sie wollten uns bestimmen, dasselbe zu thun, wir giengen aber nicht darauf ein, sondern versprachen nur, den nächsten Tag denselben Gasthof wie sie aufzusuchen. Das kurze Stück Bahnfahrt hat uns übrigens nicht gereut; wir lernten einen ungemein kühnen Bahnbau mit zahlreichen langen Felsdurch- gängen, Aushauungen und Ueberbrückungen kennen und fanden im Bellano, für die erste Nacht in Italien, treffliches Unterkommen und gute Bewirtung. Als wir am nächsten Morgen am rauschenden See das Frühstück einnahmen, nahte sich ein Schiff mit lauter Musik — es führte einen Hochzeitszug und legte in unserer Nähe an, bevor es weiter- dampfte. Hier wie in der Folge machten wir die Bemerkung, daſs die Italiener, während sie haupt- sächlich nur schwermüthige Weisen singen, feurige, Instrumentalmusik bevorzugen. — Nicht minder demerkenswert als die erwähnte Eisenbahn ist die am See nach Lecco, einer Stadt am Ende seines östlichen Zipfels, führende, von Bellano an noch 27 Kilometer lange Straße (der See selbst ist 39 Kilometer lang); sie steigt und fällt und geht auch durch viele und lange Felsdurchbohrungen; übrigens ist sie, wie eine große Inschrifttafel besagt, rasche noch von Oesterreichs Kaiser Franz I. erbaut worden. In Lecco, einem für Italien recht hübschen Städtchen, entschied ich mich für eine bestimmte Art Cigarren, deren Verkauf wie bei uns Staatsrecht ist; ich wählte „Grimaldi“, zu 10 Cent (4·5 kr.), die aber lange nicht unseren Portoricos gleichkommen. Zündhölzchen gibt es in ganz Italien in den Gast- häusern und Café's nicht, man kauft sie (Wachs- zünder) in hübschen Schächtelchen zu 5 und zu 10 Cent. auf den Straßen. Jedes Schächtelchen trägt eine Stempelmarke zu 1/4 Cent. für 5 Cent. Preis. Eigentliche Hölzchen, mit Schwefel und Phosphor, bekommt man in Kramläden, wenn 1 Cent. heraus- gegeben werden soll, statt desselben. 4. Mailand und die Lombardei. Von Lecco an hatten wir eine zwar breite, aber auch sehr staubige Straße. Doch hat dieselbe mindestens immer auf einer Seite durch steinerne Säulchen oder einen Graben von der Fahrbahn ge- trennt, Gehwege von oft solcher Breite, daſs zwei Radfahrer einander darauf ausweichen können; streckenweise aber sind sie auch viel schmäler, und dann ist das Fahren auf ihnen sehr anstrengend, weil man einerseits darauf achten muss, nicht an die Säulchen zu stoßen, andererseits aber auch darauf, nicht mit der anderen Einsäumung, zumeist dichtem Robiniengebüsch, welches schmerzhaft ver- wunden kann, stückweise auch Mauern, in unange- nehme Berührung zu kommen. Die Fußgänger, und dies fanden wir überall, weichen auf die Zeichen der Radfahrer bereitwilligst aus, auch Viehtreiber und Karrenschieber. Nachdem wir Lecco vor unge- fähr einer Stunde auf meist ansteigender Bahn verlassen hatten, gab es noch eine letzte, stärkere Steigung, dann lagen die Berge weit hinter uns und vor uns sahen wir die weite, von Gebüsch durch- zogene lombardische Tiefebene. Vor 11 Uhr noch durchfuhren wir das ziemlich ansehnliche Monja und nach dem Austritte aus dieser Stadt konnten wir wieder eine Eigenthümlichkeit der allermeisten Straßen in den Ebenen Italiens sehen, eine Straßenbahn mit Dampfbetrieb. Solche gehen oft 50 Kilometer weit von größeren Städten aus sehr häufig gleich- laufend mit eigentlichen Eisenbahnen. Von ihren Zügen wird der Radfahrer bei weitem nicht einge- holt; nur muss er, da der Platz zwischen den Ge- leisen für ihn in der Regel die beste, staubfreieste Fahrbahn ist, achtgeben, daſs er nicht mit einem Zuge zusammenrennt. Auf einem stundenlangen, gänzlich beschatteten Zugang näherten wir uns Mailand, wo wir um halb 12 Uhr vormittags an- kamen (82 Kilometer von Bellano). Zunächst fuhren wir zum Dom, um uns nach dem Bädeker zu- rechtzufinden und im Nu waren wir von zahlreichen Neugierigen umstellt; dies gieng uns übrigens in
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