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Seite 2 „Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 128 7. Juni 1898 zahlt als alle anderen Völker Oesterreichs, auch die Vorhand haben muss in der Bestimmung der Geschicke dieses Reiches und daſs überhaupt in Oesterreich nicht ein Sperling vom Dache fallen darf ohne Wissen und Willen der Deutschen. Der hippokratische Zug. Wenn das letzte Ende herannaht, malt sich ge- meiniglich auf dem Antlitze der Jenseitscandidaten jener eigenthümliche Zug von Verfallenheit, den die Aerzte den hippokratischen Zug nennen. Solch ein Zug scheint schon jetzt in dem Gesichte der Thun-Aera wahrnehmbar und wer weiß, ob nicht der alte Taaffe mit seiner Prophezeiung Recht behält: Ich habe zwei Nachfolger: den Grafen Badeni, der wird in zwei Jahren „fertig“ sein, dann den Grafen Thun, der wirds in einem halben Jahre werden. Was jetzt vorgeht im Hause und hinter den Coulissen, zeigt das Bild des Chaos, der Zersetzung, der Anarchie unter mühsam fort- wurstelnden äußeren Formen, und damit man das nicht merkt, wird in Graz mit der Faust drein- gehauen. Wenn einmal in den Schachtelhalmen der Officiösen sich „kräuselt der Wind“, wie es zur Badeni-Zeit in den letzten Wochen im „Fremden- blatt“ der Fall gewesen, dann trifft wohl die Bauernregel zu: „Wenn der Kuckuck wieder schreit, ist der Frühling nimmer weit!“ — nämlich die Aussicht, daſs auch Graf Thun den Weg — — geht. Der Officiosus des Auswärtigen Amtes heizt nun dem Grafen Thun ein, hält' die Interpellation Hochenburgers betreffend Graz vollkommen ge- rechtfertigt und bemerkt, die Regierung werde heraus- steigen müssen mit einer Aufklärung, inwieweit sie bei dem von ihr gemachten Vorschlage betreffs der Ernennung Gleispachs von dem Politiker ab- gesehen und ausschließlich den richterlichen Functionär im Auge gehabt habe. Der Officiosus in Wien hält es also für zu dumm, das Argument von den „Eingriffen in das Kronrecht der Ernennung der Beamten“ wiederzukäuen und sagt vielmehr: Graf Gleispach selbst werde selbst nicht die Anschauung bestreiten, daſs ein richterlicher Beamter, wenn er Mitglied eines Cabinets geworden, über die Sphäre eines Richters hinausgewachsen und in die Reihe der Politiker getreten ist, in jedem Falle auch eine politische Stelle eingenommen habe. Man werde es also nicht unbegreiflich finden, wenn politische Parteien darüber Licht verbreitet wissen wollen, in- wieweit bei der Ernennung des Grafen Gleispach von seiner früheren politischen Richtung und Stellung gänzlich abgesehen wurde und wie weit dieser selbst vielleicht mit seinem Austritte aus der Regierung auch aus der politischen Sphäre geschieden ist. Die Regierung selbst könne sich der Aufhellung dieses Punktes kaum entschlagen. Ein Anderer mit hippokratischem Gesichte, das täglich todtenhafter geworden ist, hat nun end- giltig ausgeathmet. Es ist dies der gute Sprachen- αusschs, auf den Graf Thun so große Hoff- nungen gesetzt hat. Der Arme ist todt, mausetodt; gekeult haben ihn die Tschechen, nämlich der bravè Herr Forscht. Eine „Armenleich'“ ohne Sang und Klang ist dem Ausschuss sicher. Auch Herr v. Bärnreither scheint sich im Ministerium Thun recht unbehaglich zu fühlen; das Warum bedarf doch keiner weiteren Auseinandersetzung; hat er doch seinerzeit seinen Ministersitz eingenommen unter der ausdrücklichen Zusicherung Thuns. es solle gegen die Deutschen und die Verfassung nichts unternommen werden. Seit der Grazer Geschichte, seit Bärnreither merkt, wie wenig gegen den Ein- fluſs Kaizl sein eigener in die Wagschale fällt, scheint auch bei ihm das Sprichwort einzutreffen: „Der Wahn ist kurz, die Reue lang“. Er sieht doch mit offenen Augen, wie sehr das Chaos über- hand nimmt, wie Schücker in seiner letzten treff- lichen Rede im Abgeordnetenhause durch drastische Beispiele dargethan hat. Wenn es überhaupt noch eines weiteren Beweises bedürfte, daſs die Sprachen“ verordnungen nur Unordnungen geschaffen haben, dann wäre die Anarchie in der Amtierung bezeich- nend, die nach Schückers Zeugnis bei den Aemtern um sich gegriffen hat, daſs zumal die Prager Stadt- behörde sich selbst über die Sprachenverordnungen hinwegsetzt, die doch der Tschechen wegen erlassen wurde. Abg. Pfersche beleuchtete in einer eben- so geistvollen als scharfen Ausführung diese Re- gierung, die eine „gänzlich unfähige“ sei, ja, wäh- rend die Socialisten in Prag Oronung halten konnten, habe das die Regierung nicht vermocht. Derselbe Redner lüftete auch den Schleier über ganz merkwürdige Machenschaften der Re- gierung und der Feudalen und Tschechen im December in Prag gegen die Deutschen und legte dann in den wuchtigsten Keulenschlägen gegen Gleis- pach los, der auch die Unabhängigkeit der Richter nicht achten werde, da er ja au die Unantastbar- keit der Abgeordneten missachtet habe. „Richter- stellen, betonte Redner, sind keine Ablagerungsplätze für — Es ist klar, dass bei solcher Stimmung der Deutschen von der Bewilligung oder auch nur der Berathung des Staatsvoranschlages oder sonst irgendwelcher Regierungsvorlagen, zumal neuer Steuern nicht im entferntesten die Rede sein kann. Wohl wird die Obstruction innehalten bei Noth- standsfragen und Vorlagen von hervorragendem volkswirtschaftlichem Interesse, denen, insoferne sie einem Ausschusse zugewiesen werden, kein Hinder- nis bereitet werden wird. Allein zur Verhandlung werden diese nicht eher gelangen, ehevor nicht die Regierung nachgibt und durch Aufhebung der Sprachenverordnungen vocerst die Ruhe und Ordrung herstellt und Genugthuung gewährt. Das Volk wird in verständnisvoller Einsicht des Nothwendigsten stramm zu seinen Vertretern stehen, die gar nicht daran denken, auf die Leimspindeln zu fliegen, womit man sie heranlocken möchte. Das Volk, dem ja auch neue Steuern drohen, verliert nichts bei dieser Tactik, allein dem Herrn „von Hohenorts“ muss endlich einmal bewiesen werden, daſ, wie Schücker so treffend ausführte, das deutsche Volk, welches um 25 Millionen mehr Steuern socal-Nachrichten. (Ein herrlicher Sonntag) wurde uns vorgestern endlich einmal beschieden“ Man kann füglich mit Recht sagen, der erste schöne warme Tag in diesem Lanze!“ Die Wirkung war aber auch allgemein sichtbar: Toilette und Verkehr zeigten ein echt hochsommerliches Gepräge. Die Damen- welt hatte endlich einmal Gelegenheit, die neuesten Modelle der Wiener und Pariser Mode auf die Promenade zu führen und der Corso Karlsbads die Alte Wiese und die Posthofpromenade zeigten die neuesten Errungenschaften der wetterwendischen Modegöttin. Ueberall leichte, lichte Toiletten, gelbe, grüne und weiße Chaussuren, ein Regen- dogen von Sonnenschirmen, herrliche, duftende Blumen — kurz das richtige endlich einmal zu voller Entfaltung gelangte Karlsbader Saisontableau! Und während sich dieses Bild in dem sattgrünen Rahmen der Posthofpromenade zeigte, gaben uns die Neue Wiese, wie überhaupt dieser Straßenzug ein Bild des lebhaft entwickelten Verkehrs an einem schönen Sommertage in Karlsbad! Omnibusse, Fiaker und Droschken in großer Zahl, rechts und links als die modernsten Begleiter, die radelnde Damen- und Herrenwelt, und wehe dem armen Fußgeher, der es gewagt hätte, in dieses Chaos von Rädern hineinzuspazieren! — Nur recht viele solcher Tage und die Actten der Karlsbader Omnibus- Tramway erfahren eine enorme Steigerung, sämmt- liche Fiaker verlernen das Schimpfen über die schlechte Saison und die Fahrradhändler reiben sich vor Vergnügen die Hände. Wohin immer man kam, überall gab es dichtbesetzte Gärten und Caféε, die auswärtigen Restaurants machten endlich ein- mal ein Geschäft und die Bierwirte triumphierten. Selbstverständlich gibt es nun nur noch einen Wunsch: die recht baldige und ofte Wiederholung dieses Wetters. Möchte er erfüllt werden. (Die Gartenliedertafel), welche vorgestern der hiesige Männergesangverein im Pofthofe ver- anstaltete, erfreute sich eines solch massenhaften Besuches wie nie zuvor. Kein Stuhl war mehr im großen Garten zu haben und wohl an 800 Per- sonen dürften sich eingefunden haben. Unter denselben bemerken wir auch den Kammer- virtuosen Herrn Emil Sauer. Das Witter war aber auch verlockend schön. Die Darbietungen unseres wackeren Männergesangvereins unter Seitung seines umsichtigen Chormeisters Herrn Carl Wirkner fanden durchwegs rauschenden Beifall und wurden sowohl die Soli, wie die Chöre lebhaft acclamiert. Unter den zur Aufführung gelangenden Tiedern für Tenor befand sich auch eine innige Composition Grazer Stimmungsbild. Dr. Robert Scheu, Wien.“ Nie hat eine Stadt friedlicher, harmloser aus- gesehen, als Graz in diesen Tagen, wo es der Mittelpunkt der öffentlichen Aufmertsamkeit ist. Auf den Straßen und Plätzen Sommerschlaf. Man geht auf's Land hinaus, in das herrliche, tiefgrüne Hügelland. Im Stadtpark plaudern zwei Pensio- Ich wollte sie belauschen, da ich ein Ge- spräch über österreichische Regierungspolitik ver- muthete. Mir war es nämlich, als hätte ich das Wort „Monstrum“ gehört. Aber bald erkannte ich, daſs es sich um ein Wunderthier handelt, das jetzt in Graz ausgestellt ist, und welches halb Schwein halb Hund sein soll. Ueber die Patrouillen, die zu vier und sechs Mann im Taktschritt durch die Straßen marschiren, geräth Niemand in Erregung. Man lächelt und fühlt sich von der Aufmerksamkeit geehrt. Die Kaffeehäuser sind belebt, aber auch dort ist von Er- regung keine Spur. Der Maueranschlag des Baron Hammer Purgstall, der überall prangt, wird gleich- giltig zur Kenntnis genommen. Nur in der Herren- gasse ist ein Plocat abgerissen. Das ist das äußere Bud. Wenn man aus diesem auf Apathie oder Auszugsweise der empfehlenswerten Wiener (D. Red.) Wochenschrift „Die Wage“ entnommen. Muthlosigkeit schließen wollte, ginge man aber ge- waltig fehl. Die Ruhe der Grazer ist eine wohl- durchdachte. Sie haben das Princip, immer dann aufgeregt zu sein, wenn sie es wollen, nicht aber, wenn es der Regierung paset. Es wird sich bald zeigen, daſs die vollkommene Ruhe der Stadt für die Regierung zu einer großen Blamage, ja Nieder- lage führen wird. Schon jetzt haben sie eine Wirkung erzielt: ungeheure Lächerlichkeit dieses Regierungsactes. Die Auflösung des Grazer Gemeinderathes ist bekanntlich als Strafe für die Resolutionen erfolgt, welche diese Körperschaft zu fassen sich erkühnt hat. Der Grazer Gemeinderath hat es gewagt, der Regierung einige vernünftige Rathschläge zu er- theilen. Daraufhin diese lärmende Maßregel. Die todte Saison war bereits angebrochen. Durch den Beschluſs der Grazer Arbeiter, die strationen auf das Nothwendigste zu beschränken, durch die Hitze und die allgemeine Erschöpfung nach den Winterstrapazen war die Vorbedingung für die tiefste Ruhe gegeben. Man richtete sich bereits auf die Ferien ein. Kein Lüftchen regte sich. Die Degradirung der Reserve-Officiere wurde mit Ruhe und Fassung hingenommen. Da heißt es plötzlich: Gleispach wird Oberlandesgerichts-Präsident in Graz. Damit waren die Feindseligkeiten neu er- öffnet. In muthwilliger Weise wurde hier gegen den Grundsatz verstoßen, der doch sonst in Oester- reich sehr beliebt ist: quieta non movere. Diese Wiederausgrabung der bereits versenkten Streitaxt macht einen so verblüffenden Eindruck, daſs man zuerst an einen tiefsinnigen Plan denké. Was hat die Regierung damit gewollt? Dies ist so unver- ständlich, daſs sogar abenteuerliche Versionen Glauben finden. Die Bevölkerung war umsomehr zur Ruhe geneigt, als der heurige Winter bereits eine ökono- mische Zerrüttung hervorgebracht hatte. Ein großer Theil der Bevölkerung war des Unfriedens müde. Graz hatte heuer keinen Fasching gehabt. Wirte, Fleischer, Handschuhmacher, Schneider und andere gewerbliche Kreise sind schwer geschädigt. Es gibt wenige Geschäfte, die nicht irgendwie durch die all- gemeine Nervosität und Ünsicherheit gelitten haben. Viele Familien haben die Stadt definitiv und auf immer verlassen. Gegen die Radicalen war eine stille Opposition im Wachsen begriffen. Allein jedes- mal wenn das Ruhebedürfnis am größten und der Einfluss der radicalen Parteien im Sinken begriffen war, erfolgte irgend ein Schritt der Regierung, der einen totalen Umschwung hervorbrachte. Dies geschah manchmal vom Vormittag auf den Nachmittag. So bewirkte die Nachricht von der Ecnennung ds Grafen Gleispach einen plötzlichen, entschiedenen Stimmungswechsel zu Gunsten der radicalen natio-
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