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27. März 1898 �Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 70 Seite 9 Alfred ahnte die geheimen Wünsche der Eltern, doch war ihm augenblick ich der Gedanke an ein Gebundensein noch entsetzlich. Das Leben im Hause der Eltern behagte ihm allerdings auch nicht sehr; es genierte ihn stets, an die Antecedentien der Familie erinnert zu werden, ganz abgesehen davon, daſs die schlechten Manieren des Vaters und der Mutter ihn häufig nervös machten. Daſs er später eine Frau nach seinem Ge- schmack finden würde, stand für ihn außer Frage; wenn er auch viel zu praktisch war, um an die Allgewalt der Liebe zu glauben, so traute er doch ebenfalls und erst recht dem Gelde eine zwingende Macht zu. „Wo ist eigentlich Ellinor?“ bemerkte Alfred nach einer kleinen Pause und zündete eine Cigarette an. „Sie ist nach der Mühle gegangen, um zu zeichnen,“ entgegnete die Mutter mit Befriedigung. Sie war stolz darauf, ein Talent in der Familie zu haben, das sich allerdings auf ein Minimum beschränkte, und sich nur mit Hilfe des Hauslehrers, welcher ein begabter Zeichner war, und stets die letzte Hand anlegen musste, erhielt. „Dann werde ich ihr entgegengehen, sagte Alfred, ergriff seinen Hut und wollte sich entfernen. „Das ist unnöthig, ganz unröthig,“ meinte die Mutter, „ich schickte schon den Diener.“ — Alfred that' als habe er der Mutter Bemerkung überhört. Er reichte ihr flüchtig die Hand und stieg, eine Operettenmelodie pfeifend, die Stusen der Veranda hinunter, durchschritt den Gatten und wandte sich quer über die Landstraße gehend, dem Pfarrhause zu. Fünftes Kapitel. Der Pfarrer stand am Gartengitter und lüftete freundlich zum Gegengruße seine Kopfvedeckung, als er Alfieds Verbeugung bemerkte. „Ich hatte schon jeden Tag die Absicht, sie aufzusuchen Herr Pastor, aber ich weiß selbst nicht, was mich dazu nicht kommen ließ, hier bin ich; es gelang dem jungen Manne eine solche Harm losigkeit in seine Worte zu legen, daſs Prediger Bey ich den Sohn sehr viel netter, als dessen Eltern fand, und liebenswürdiger als er sich selbst zugetraut hatte, die Gartenthür öffnete, ihn gast- frei zu bewillkommnen. „Bitte, treten Sie nur gleich in den Garten, bei diesem herrlichen Wetter wäre es schade, im Zimmer zu sein.“ Darf ich um den Vorzug bitten, Ihre Frau Gemalin ebenfalls begrüßen zu dürfen? fragte Alfred artig, indem er die Pforte wieder zuklingte. „Meine Frau ist im Garten mit unserm Lo- girbesuch, — bitte, hier rechts.“ Beide Herren durchschritten den nicht großen, aber schön gepflegten Gatten, in dem Kegelspiel, Croquet und Boccia anzeigten daſs er auch dem Bergrügen diene, und daſs kurz zuvor gespielt worden war. — Elsbeth hatte dann den Freun- dinnen gezeigt, daſs Vieles, was sie in ihrer Kinder- zeit hier angelegt hatten, noch unverändert geblieben war. Die Rovinson Insel, die künstlich im Teiche errichtet, ihrem schwarzen Puppeujungen Freitag zur Wohnung gedient hatte, war soeben von den Damen besichtigt und an der kleinen Birkenstamm- brücke trafen sie mit dem Pastor und Alfred Leh- mann zusammen. Letzterer, wiederholte Elsbeth, daſs er schon früher gekommen wäre, wenn nicht Verschiedenes ihn zu seinem großen Leidwesen darin verhendert hätte und sügte mit einem schmelzenden Aufblick seiner etwas hervorquellenden wasserblauen Augen hinzu, daſs er aber glücklich sei, bei dieser Gelegen- heit nun heute gleich die jungen Damen kennen zu lernen, die seine jetzige Heimat einst die ihre ge- nannt hätten. — Der Pastor hatte die kleine Ge- sellschaft inzwischen in die Laube dirigirt und bald hatte sich ein animirtes Gespräch entwickelt, da Alfred sofort Vera auf die Aehnlichkeit mit der Ahnfrau hin ansprach „Ist es wahr, daſs sie Ihnen erschienen ist?“ fragte Vera, Alfred gespannt anblickend. Er wich diesem Blick, scheinbar unabsichtlich aus. „Wer sagt das?“ fragte er, eine directe Ant- wort vermeidend. �Das ganze Dorf ist voller Entsetzen über diesen Spuk!“ bestätigte Elsbeth. „Sie thut ja nur ihre Pflicht“, meinte Alfred dann leichth'n, „und es ist doch nicht das erste Mal, daſs sie sich gezeigt hat, es soll schon passirt sein, ehe wir hier waren — ich habe sie allerdings zusehen geglaubt“, seine Stimme klang etwas un- sicher, „und da sie Ihnen gleicht, mein gnädiges Fräulein“, er verbeugte sich vor Vera, „war mir der Anblick ratürlich nicht unheimlich“. „Na, das muss ich gestehen, unheimlich wäre mir ein lebendig gewordenes Bild immer“, meinte Vera ernsthaft, „und Sie könnten uns doch er- zählen, wie sich der Geist von Taute Vera benahm?“ „Also Ihren Namen trägt diese Dame sogar“, —- Alfred war es ersichtlich peinlich, daſs die Damen von seinem Rencontre mit dem geheimniß- vollen Spak Kunde hatten und bemühte sich, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken. Der Pastor kam ihm darin zu Hülfe. „Sie haben lebhaft geträumt, und die Dorf- bewohner, in ihrer Vorliebe für das Unnatürliche haben eine romantische Erzählung daraus gemacht, — ich kann mir denken, daſs es Ihnen nicht lieb ist, die Sache so aufgebauscht zu sehen“. — „Mir war ganz deutlich, als ob das Bild aus dem Rahmen stiege“, versicherte Alfred. „Dann beziehen Sie doch ein anderes Zimmer“, schlug Elebeth vor. „Das will ich vermeiden, ich bin ein Mann und werde schon mit den Geistern schöner Damen fertig werden“ Alfred betrachtete das Gespräch für beendet. Der Schein des verglühenden Abends hatte sich allmählig auf den Garten gesenkt. Die Bos- quets waren theilweise in Dunkel gehüllt. Die kiesbestreuten Gartenwege glänzten wie goldene Streifen dazwischen. — Es kam keine rechte Unter- haltung mehr in Fluß. Alfred stand auf. „Grüssen Se die Ahofrau, wenn Sie Ihnen heute wieder erscheint“, — meinte Vera belustigt, „Sie fürchten sie doch ein wenig, gestehen Sie es nur, Sie mögen ja nicht von ihr rede“. Der junge Lehmann richtete sich, etwas em- pfindlich, zu seiner vollen Höhe auf; „Ich bin Offizier, meine Gnädigste, in Kriege treten uns ganz andere Gefahren gegenüber, als die Geister längst Verstorbener. Wenn ich z. B. Nachts eine feindliche Vorpostenkette bedenke ...“ „Sprengen Sie dieselbe ganz allein ausein- ander, nicht wahr? Ruth gelang es, ernsthaft zu bleiben, Alfred entging daher die Ironie“ „Wir Off ziere“, begann er von Neuem. Vera biß sich auf die Lippen, um nicht zu lachen. „Warum sind Sie eigentlich nicht beim Miltär geblieben, Herr Lehmann?“ fragte sie, den Titel „Lieutenant“, auf den der junge Lehmann so stolz war, daſs er sich immer so nennen ließ, ab- sichtlich ignorirend. Alfred sah etwas unruhig von einer Schwester zur andern, er wußte nicht, ob sie ihn aufzogen. „Ich war zu kränklich“, entgegnete er endlich. Wenn Ihnen dann nur nicht der häufige Anblick des Ellersteinschen Spukes schadet“, meinte Vera in einem halb mitleidigen, halb komischen Tone. — Ruth und Elsbeth wendeten sich ab, um nicht zu lachen. Pastor Bey ich that der junge Mann leid Er schüttelte etwas mißbilligend das Haupt über die übermüthige Jugend, ihm wider- strebte es, einen Gast so behandelt zu sehen. „Hoffentlich schadet Ihnen die Abendluft nicht,“ konnte sich Vera nicht enthalten hinzuzusetzen, als der Pastor Alfred Lehmann zum Gartenthor ge- leitete. Es war ihr zu spaßig gewesen, den dicken jungen Mann, der den Typus der Gesundheit zu verlörpern schien, von Kränklichkeit reden zu hören. „Oh, bitte,“ wehrte Alfred ab; — „wenn Sie wüßten, wie wohl Ihre Besorgnis' thut,“ fügte er leiser hinzu. — Als die Herren den Blicken der Damen ent- schwunden, fragte Elsbeth lachend: „Gestehe Vera, was hat Dir der schöne Al- fred zugeflüstert?“ „Du hast entschieden Eindruck auf ihn gemacht!“ neckte Ruth. „O, Ruth, das könnte Dir gefallen,“ entgeg- nete Vera in humoristischer Laune, „diesen Afred Lehmann zum Schwager, und Rakow dadurch wieder zur Heimat bekommen.“ „Aber Vera,“ für Elsbeth hatte diese Vor- stellung etwas unwiderstehlich Komisches. „Ganz gewiss,“ versicherte Vera, „sie hat erst heute früh diesen Wunsch gehegt.“ „Doch nur betreffs Rakows,“ widersprach Ruth lachend. „Kinder, warum hat ihn denn Keine Herr Lieutenant genannt?“ fragte Elsbeth, „es ist ihm sicher so grenzenlos schwer geworden, es mit Mühe und Noth bis dahin zu bringen, und dann nimmt Niemand von dieser glorreichen Carriere Notiz.“ „Sch den kann es diesen Lehmanns nicht, daſs sie einsehen mussten, vornehme Erziehung und Takt lassen sich nicht durch Geld erk ufen, und Protzen- thum imponirt den Commandeuren nicht,“ meinte Ruth, ernster werdend. „Wenn ich nur wüſste, welche Bewandtnis es mit der Erscheinung der Ahnfrau hat,“ begann Vera, „es heißt, er hat sie gesehen, er gesteht es serbst zu und dann bricht er das Gespräch so schnell ab. Dahinter steckt etwas, ihr könnt es mir glauben.“ Als der Prediger in die Laube trat, theilte sie auch ihm diese Beobachtung mit, welche derselbe aber dahin widerlegte, daſs er sicher an einen leb- haften Traum des jungen Mannes glaube und demselben sehr wohl nachfühlen könne, wie peinlich es ihm wäre, Anlass zu solcher Erzählung gegeben zu haben. Sechstes Kapitel. Ellinor Lehmann lag unter den schattigen Bäumen des Parkes in ihrer Hängematte. Ein Buch lag in ihrem Schooße, aber sie hatte wohl noch kaum hineingesehen. Sie blickte dem Fluge eines Vogels nach, welcher hoch über ihr in den blauen Luften schwebte. Ellinor gehörte zu jenen Naturen, welche sich niemals befriedigt fühlen. Sie war vier Jahre jünger, als ihr Bruder, hatte eine große, fast zu schlanke Figur und blondes Haar. Wenn ihre Nase nicht so gewöhnlich und ihr Mund nicht zu dick gewesen, hätte man sie ganz hübsch nennen können. Sie war mit dem Bewusstsein aufge- wachsen, ein reiches Mädchen zu sein. In der kleinen Stadt, in welcher ihr Vater früher als Viehhändler gelebt, hatte man trotzdem die Ihrigen nicht zur besseren Gesellschaft ge- zählt, und als sie in die Pension gekommen, hatte sie sich in ihrem ganzen Benehmen befangen und unsicher den von Kindheit an formgewandten jungen Mädchen gegenüber gefühlt. So war sie stets allein geblieben und, da sie launenhast war, von den Andern auch nie gesucht worden. Das Bedürfnis eine Freundin zu besitzen, hatte sie eigent- lich auch nie empfunden. Sie las heimlich Romone und hatte stets den Kopf voller Männerideale, die je nach der Lektüre, wechselten. Vornehm musste ihr zukünftiger Gatte natürlich sein, obwohl sie über alle vornehmen Damen die Nase rümpfte, Geld brauchte er nicht zu besitzen, aber eine Stellung, die es ihr ermöglichen sollte, Jenen, die einst keine Notiz von ihr genommen, Alles zu vergelten. So träumte sie auch heute mit offenen Augen, als sie den Schritt ihres Bruders vernahm. Sie richtete sich nachlässig aus ihrer liegenden Stellung auf und blickte Alfred fragend an. „Wo warst Du gestern Abend?“ „Bei Pastors,“ entgegnete er pflegmatisch und setzte sich Ellinor gegenüber auf einen abgehauenen Baumstumpf. „Sahst Du Fräulein Ruth und Vera Fresen? fragte sie interessiert. „Allerdings, Elli, wozu wäre ich sonst so lange geblieben?“ Alfred gefil sich darin, als Kenner von Frauenschö heit zu gelten. „Demnach sind sie hübsch?“ vollendete die Schwester. „Sage mal, Alfred, ist es wahr, daſs die Eine dem bewuſsten Ahnenbilde so ähnlich sieht?“ „Ja, und zwar so frappant, als wäre es das Original des Bildes.“ „Wie sonderbar,“ meinte Ellinor, „diese Vera Fresen ist doch auch nur bürgerlich, und wenn sie dem Gemälde gleicht, müßte sie eigertlich sehr vor- nehm aussehen.“ Das Ahnenbild. Roman von Anna Maria Witte. Machdruck verboten.] (3. Fortsetzung.) (Fortsetzung folgt.)
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