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„Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 110
14. Mai 1897
legen. Begründet war diese Aufforderung
mit dem Hinweise auf § 3 der Concessions-
urkunde, wonach die Staatsverwaltung berechtigt
ist, die Legung des zweiten Geleises für jene
Strecken des den Bestimmungen der Concessions-
urkunde unterliegenden Bahnnetzes, bezüglich deren
sie es für nothwendig findet, zu verlangen, wenn
der jährliche Rohertrag während zweier aufeinander-
folgender Jahre die Summe von 140000 fl.
per Meile überschreitet, welcher Fall bereits
eingetreten sei. Später verlängerte das Eisenbahn-
ministerium den Vorlagetermin für das geheischte
Project bis zum 1. März 1897 und behielt die
eventuelle Einleitung mündlicher Verhandlungen
weiterer Entschließung vor. Infolge dessen wurde
am 28. Feber l. J. ein generelles Project für das
zweite Geleise auf den fraglichen Strecken vor-
gelegt und die Arbeiten zur Aufstellung der voll-
ständigen Bauprojecte sind seither im Zuge.
(Kaiserl. Rath Ober-Inspektor Her-
mann Tapezierer der Aussig-Teplitzer
Bahn gestorben). Aus Teplitz schreibt uns
unser Correspondent: Der erst kürzlich von Sr.
Majestät dem Kaiser so huldvoll ausgezeichnete
Ober Inspektor Hermarn Tapezierer der Aussig-
Teplitzer Bahn und kais. Rath ist Nachts gestorben.
Kaiserl. Rath Tapezierer erreichte ein Alter von
54 Jahren und genoß in den Kreisen der hiesigen
Eite Gesellschaft, wie der Beamtenschaft die größte
Wertschätzung. Die Leiche wird auf dem 1s ge-
litischen Friedhose beerdigt.
Theufing, 11. Mai. [O-C.] Am 9. d. M. ist der
seit vielen Jahren hier als Stadtsekretär angestellt ge-
wesene Herr Johann Schuster aus unserer Stadt ge-
schieden, um seinen neuen Posten als Rentmeister bei
der Domäne Tüppelsgrün anzutreten. Sowohl die Stadt
als auch die Bevölkerung der ganzen Umgebung hat an
diesem Herrn einen Freund verloren, der wohl kaum wieder
ersetzt werden kann. Er war in seinem Amte pünktlich und
genau, dabei aber gegen Jedermann derart zuvorkommend,
daſs nur eine Stimme des Lobes sich für ihn erhebt.
Wie geachtet und geschätzt er und seine werte Familie
hier war, hat der für ihn am 8. d. M. vom hiesigen
Gesangsvereine, dessen Obmann er gewesen, veranstaltete
Abschiedscommers gezeigt. Er und seine Frau Gemalin
waren den ganzen Abend hindurch der Gegenstand von
Ovationen und haben die gehaltenen Reden bewiesen,
welch' hoher Achtung sich diese Familie hier erfreute und
rufen ihm seine Freunde nochmals ein herzliches Lebe-
wohl zu.
Joachimsthal, 12. Mai. (Vom Zuge überfahren.)
Auf dem Schienenstrange der Station Wickwitz-Welchau
der Buschtehrader Eisenbahn wurde am 6. d. M. der
Leichnam eines anscheinend dem besseren Arbeiterstande
angehörigen 25 bis 30 Jahre alten Mannes, der vom
Zuge überfahren worden war, aufgefunden. Die Leichen-
beschau stellte zweifellos einen Selbstmord fest. Die
Identität des Selbstmörders konnte bisher nicht sicher-
gestellt werden.
Aus dem Gerichtssaale.
Die Karlsbader Postdiebe vor
Gericht.
(Schwurgerichtsverhandlung.)
[O.-B.] Eger, am 13. Mai.
Anfang September v. J. erregte die Kunde von einem
großen, in Karlsbad verübten Postdiebstahl berechtigtes
Aufsehen. Ein für Prag bestimmter Postbeutel mit fast
20.000 fl. Inhalt, war durch einen anderen vertauscht
worden, welcher wertlose Papierschnitzel enthielt. Die
sofort energisch eingeleitete Untersuchung hatte schon am
dritten Tage die Verhaftung des Diebes, des 27 Jahre
alten Postexpeditors Josef Chocensky und seines
Complicen, des 16 Jahre alten Gottlieb Chocensky,
Kelnerlehrling und Bruder des ersteren, zur Folge. Heute
begann die auf drei Tage anberaumte Schwurgerichts-
verhandlung gegen das Bruderpaar. Den Vorsitz der
Verhandlung hatte Herr LGR. Liehmann inne. Als
Votanten fungirten die Herren LGR. Seyß und LGR.
Müller, Ankläger ist der Herr St.-A-Dr. Kostial
und ex offo Vertheidiger für beide Angeklagte der KGA
Neuhauser.
Die Anklageschrift besagt im Wesen folgendes: Bei der
am 4. September v. J. um 8 Uhr vormittags in Prag ein-
gelangten Karlsbader Fahrpost wurde constatiert, daſs der
eine Fahrpostbeutel dto. Karlébad 3. September' 1896 die
5 Stück Geldsendungen im Gesammtwerte von 19.421 fl.
771/2 kr. nicht enthalte. Die sofortige amtliche Erhebung
ergab, daſs dieser Geldbeutel Nr. 22 an der einen Seite
einen Riss habe und anstatt der 7 Geldbriefe ein fingiertes,
mit Spagat verschnürtes Packet, enthaltend zusammen-
gelegtes Papier, ein Exemplar der „Bohemig“ und der
„Post“ beherberge. Der Verdacht lenkte sich sofort auf
die Karlsbader Postfiliale Nr. 2. Es wurde erhoben, daſs
mit der Expedition der 7 Geidbriefe die beiden Post-Expe-
ditoren Emil Scharrer und Josef Chocensky und der Amts-
diener Anton Böhm betraut waren. Chocensky hatte am
3. September von 1 bis 9 Uhr abends Dienst, Scharrer
von 6 bis 12 Uhr nachts. Die Expedition der Geldbriefe
nahmen sie gemeinsam vor und zwar war Scharrer der
Intervenient, Chocensky der Kartist. Ausgefertigt wurden
sünf Geldbeutel und zwar unter gegenseitiger Controlle.
Nach Bekanntwerden der Spoliirung kam ein Postcom-
missär nach Karlsbad, welcher Chocensky einvernahm. Erst
am 5. September ließ sich dieser zu folgendem Geständ-
nis herbei: Am 3. September habe Scharrer bei seinem
Dienstantritt um 6 Uhr einen bereits fertiggestellten Post-
beutel mitgebracht und im Tischschuh verwahrt. Als dann
vom Diener 2 richtige Posthentel fertig gestellt waren, habe
Scharrer den mitgebrachten Postbeutel unterschoben (dieser
trug die Nummer 22) und den echten Beutel Nr. 42 beseitigt.
Das alles will Chocensky gesehen haben. Als er dann
um 12 Uhr nachts auf einen Augenblick das Gasthaus
„Elysium“ verlassen habe, sei auf einmal Scharrer daher-
gekommen und habe ihn aufgefordert, mit ihm in den
Wald zu gehen, was er jedoch ablehnte, worauf sein
Bruder Gottlieb' kam und mit Scharrer gieng, beide von
Chocensky aus der Ferne beobachtet. Auf diese Weise
will Chocenély den Platz erfahren haben, wo das Geld
angeblich von Scharrer vergraben wurde. Der Com-
mission, welche sich daraufhin in den Wald begab, konnte
aber Chocensly den Ort nicht genau angeben. Erst sein
Bruder Gottlieb bezeichnete die genaue Stelle, wo auch
thatsächlich das ganze Postpacket gefunden wurde. Dieser
Verantwortung schenkt die Anklage aus mehrfachen
Gründen keinen Glauben. Einmal bestand zwischen
Scharrer und Chocensty kein intimer Verkehr, dann
hätte Scharrer kaum den jugendlichen, ihm unbe-
kannten Gottlieb Chocensty ins Vertrauen gezogen; auch
ist dieses Zusammentreffen der drei in der Nacht um 12
Uhr etwas sehr merkwürdiges. Es erscheint vielmehr die
Annahme gerechtfertigt, daſs Josef Chocensly unter Bei-
hilfe seines Bruders allein die That begangen hat und
daſs sie sich verabredet haben, die Schuld auf Scharrer
abzuwälzen. Die alleinige Thäterschaft Chocensly's erhellt
auch die Thatsache, daſs an dem bezeichneten 3. September
dem Scharrer erst Mittag kundgegeben wurde, er müsse
in der Nacht Dienst machen, er somit um 6 Uhr nicht
einen fertiggestellten, falschen Beutel mitbringen konnte.
Auch erscheint erwiesen, daſs Chocensky den ersten Geld-
beutel abgefertigt hat, so daſs ihm Gelegenheit geboten
war, eine Verkauschung vornehmen zu können. Gegen
Chocensky spricht ferner der Umstand, daſs bei ihm in
einem Carton, welchen er am Tage der That mit Wäsche
erhielt und am abend nach Hause trug, Reste von Siegel-
lack gesunden wurden und daſs er aus der Untersuchungs-
haft mehrere Schmuggelbriefe an seine Mutter und zwei
Freunde richtete, in welchen er sie unter Mittheilung
seiner Verantwortung bittet, vor Gericht so auszusagen,
wie er Auf Grund dieser Thatsachen erhebt die Staats-
anwaltschaft gegen Chocensky die Antlage wegen Verbrechens
der Veruntreuung und des Betruges und gegen dessen
Bruder Gottlieb wegen des Verbrechens der Theilnahme an
der Veruntreuung und wegen Verbrechens der Verleumdung.
Heute wurden die beiden Angeklagten und ein Zeuge ein-
vernommen. Chocensky behauptet noch immer harknäckig,
Scharrer habe die That begangen. Auf verwickelte Fragen
oder auf solche, für deren Beantwortung ihm momentan
keine für ihn passende Antwort einfällt, antwortet er mit
einem stereotypen „ich weiß nicht Selbst über den In-
halt der Schmuggelbriefe befragt, antwortet er, obzwar er
deren Autorschaft anerkennt „ich weiß nicht“ Ueberraschend
für alle bringt der Staatsanwalt noch drei Schmuggel-
briefe hervor, welche ihm am 10. d. M. von der Prager
Polizeidirection, die sie wieder anonym in einem öffenen
Convert mit dem Stempel Haslau erhalten, zugesandt
wurden. In diesen Briefen (die Briefe sind alle tschechisch
und die Angeklagten sprechen nur mühsam deutsch, so dass
der Verhandlung ein Dolmetsch beiwohnt) bittet Chocensky
seine Mutter, sie möge 100 fl. nehmen und damit zum
Staatsanwalt Dr. Kostial gehen, damit dieser ihm höchstens
6 Monate Strafe gebe. In einem dieser Briefe heißt es,
bis er (Chocensky) nach Hause komme, werde er Geld wie
Späne haben (Der Angeklagte war bereits einmal wegen
des Verschwindens eines Geldbriefes in Jungbunzlau in
Untersuchung.) Auch der jüngere Chocensky scheint ein
nicht minder raffinierter Bursche zu sein. Er dürfte der-
jenige sein, der das Geld vergraben hat. Wahrscheinlich
im Einverständnis mit seinem Bruder ist er auch bemüht,
den Scharrer als den Hauptübelthäter zu brandmarken und
sich selbst gänzlich reinzuwaschen. Von den 22 vorgeladenen
Zeugen kam hente nur der erste zum Verhör, der Post-
commissär Becker, welcher die ganze Untersuchung in Karls-
bad geleitet hatte. Aus seinen logischen Darstellungen geht
nur wieder hervor, daſs kein anderer als Chocensky die
That ins Werk gesetzt hat. — Das Interesse des Publi-
cums an der Verhandlung ist ein reges.
(Fortsetzung folgt.)
Telegramme.
Abgeordnetenhaus.
Wien, 13. Mai.
Präsident Dr. Kathrein eröffnet die Sitzung
um 10 Uhr 10 Min. Auf der Ministerbank:
Sämmtliche Minister.
Nach einer Reihe von Interpellationen, einge-
bracht von den Abg. Sokol, Lecher, Formanek und
Pommer und vor Uebergang zur Tagesordnung
erhält Abg. Dr. von Hofmann-Wellenhof das Wort
zur Geschäftsordnung. Derselbe stellt namens seiner
Parteigenossen im Hinblick auf das gewaltsame
Vorgehen der Majorität und die geradezu hohn-
sprechende Vertheilung der Referate im Legiti-
mationsausschusse den Antrag, der Legitimations-
ausschuss sei aufzulösen und dessen Neuwahl in einer
der nächsten Sitzungen vorzunehmen. (Lebhafter
Beifall links, Gelächter und Widerspruch rechts,
erneuerter Beifall und Händeklatschen rinks.)
Abg. Dyk constatiert gegenüber dem Votredner,
die Majorität habe nur dasselbe Vorgehen be-
obachtet, wie die frühere Majorität und führt dies-
bezügliche Beispiele au, wobei er vom Präsidenten
wiederholt unterbrochen wird. Schließlich entzieht
der Präsident dem Redner das Wort. (Große Un-
ruhe) der Präsident will dem Aog. Spincic das
Wort erheilen. Rufe: Wozu denn? Präsident:
Zu den Dringlichkeits-Anträgen. Abg. Stein-
wender: Es ist ja ein Antrag gestellt worden
zur Geschäftsordnung. Präsident? Eine Debatte
ist unzulässig. (Stürmischer Wide spruch links).
Abg. Foller beantragt die dringliche Behand-
lung des Antrages des Abg. Hofmann von Wellen-
hof. Das Haus geht zur Tagesordnung über und
setzt die Verhandlung über die Dringlichkeitsanträge
Gregordic und Liginja über die politischen Zu-
stände im Küstenlande fort. Abg. Spincic spricht
zunäch croatisch und begründet sodann in deutscher
Sprache die Dringlichkeit.
Nich längerer Debatte und Annahme der
Dringlichkeit der Anträge wird die Verhandlung
abgebrochen und darnach von einer großen Anzahl
von Abgeordneten eine ganze Reihe von Anträgen
eingebracht. —
Der Präsident beantragt die nächste Sitzung
für Dienstag den 18 Mai, 11 Uhr vormittags.
Abg. Schönerer ruft: Oho! (Großer Lärm). Abg.
Pessler beantragt die nächste Sitzung schon
Morgen abzuhalten. Präsident Dr. Kathrein be-
merkt, daſs viele Abgeordnete den Wunsch geäußert
haben, dass die nächste Sitzung erst Dienstag ab-
gehalten werde. Der Antrag des Abg. Pessler
wird abgelehnt. Die nächste Sitzung findet sonach
Dienstag den 18. Mai statt. Tagesordnung:
1. Lesung der Regierungsvorlage betreffend die
Gerichtsgebüren, 2. Dringlichkeits-Anträge.
Abg. Schönerer meldet sich zum Worte.
(Großer Lärm rechts, Wiederspruch links.) Präsident:
Wozu wollen Sie sprechen? Abg. Schönerer: Ich
habe nach der Tagesordnung das Wort erbeten und
muss es bekommen. Präsident: Wollen Sie mir
gegenüber eine andere Sprache gebrauchen! (Leb-
hafter Beifall und Händeklatschen rechts, stürmischer
Widerspruch links.) Abg. Schönerer beantragt die
nächste Sitzung am Samstag abzuhalten mit der
Tagesordnung: Anträge betreffend die Sprachenver-
ordnungen. Wird abgelehnt. Der Präsident erklärt
die Sitzung für geschlossen. (Demonstrativer Beifall
rechts, stürmischer Widerspruch links, großer an-
haltender Lärm. Unter heftig geschrieenen Zurufen
zwischen den beiden Seiten des Hauses und stür-
mischen Lärm verlässt der Präsident den Saal.)
Schluss der Sitzung 6 Uhr.
Prag, 13. Mai. In einer allgemeinen Ver-
sammlung der Professoren der deutschen Univer-
sität in Prag wurde einstimmig eine Petition an
beide Häuser des Reichsrathes um Aufhebung der
Sprachenverordnungen beschlossen Dieselbe weist
auf die tiefe Erregung des deutschen Volkes in
Böhmen hin, über die Verordnungen, die wenige
Jahre nach der feierlichen Anerkennung des An-
spraches des deutschen Volkes auf natioralen
Frieden erlassen wurde, als Dank für die hin-
gebungsvolle rein sachliche Mitwirkung des deutschen
Volkes in Böhmen bei den größten gesetzgeberischen
Arbeiten dr letzten Jahre. Umso heftiger empöre
sich das Selbstgefühl des deutschen Volkes in
Böhmen, als es in diesen Verordnungen das Dictat
einer Partei zu erblicken hat, welche die Revin-
dication des von den Deutschen durch mehrhundert-
jährige Arbeit in Böhmen erworbenen und zur
Blüte gebrachten Gebietes sowie die Zerstückelung
Oesterreichs durch die Aufrichtung eines selbstän-
digen Königreiches Böhmen auf ihre Fahne ge-
schrieben hat. Die Petition verweist auf die un-
Název souboru:
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