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Karlsbader „Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 110
14. Mai 1897
lich machen, sondern auch der Waltung derselben
in schroffster Weise Eintrag thun. Es kann uns
das Gemeingefühl als Deutsche nicht davon ab-
halten, auf Vorkommnisse hinzuweisen, welche nicht
nur der Gemeinbürgerschaft der Deutschen direct
Eintrag thun, sondern auch deren Nothwendigkeit
geradezu negieren.
Innerhalb der letzten zwei Tage hat die
„deutsche Volkspartei“ zwei Erklärungen proclamiert,
die sich diametral gegenüberstehen. In der einen
wird die Obstruction in wirtschaftlichen Dingen
verworfen, in der anderen mit vielen Worten gleich-
zeitig scharfe Opposition und Einigkeit der Deutschen
gepredigt. „Solange die Sprachenverordnungen“,
heißt es in der betreffenden zweiten Exklärung.
„nicht beseitigt sind, wird die Deutsche Volkspartei
den Kampf gegen die Regierung mit den schärfsten
und äußersten Mitteln und bis zum Still-
stande der parlamentarischen Thätigkeit
führen. Die Recruten- und Steuerbewilligung,
der Ausgleich mit Ungarn, sowie jede andere
Regierungsvorlage, die von politischer Bedeutung
ist, wird daher betämpft und deren Zustandekommen
womöglich verhindert werden. Die Beurtheilung,
in welchen wirkschaftlichen Fragen die Politik des
äußersten Widerstandes anzuwenden sei, behält sich
die Partei selbstverständlich vor. Als zur Ob-
struction ungeeignet erweisen sich alle jene Anträge
und Vorlagen, für welche wir nach dem Wortlaut
und dem Geiste unseres Programmes stimmen müssen,
wie z. B. der in Verhandlung stehende Gesetzent-
wurf bezüglich der bäuerlichen Genossenschaften. Es
erscheint als nothwendig, in Bezug auf die par-
lamentarische Tactit ein Einvernehmen mit
deanderen deutschen Parteien der
Minderheit anzustreben, damit ein geschlossenes Auf-
treten aller dieser Gruppen erzielt' und eine ver-
schiedene Behandlung einzelner Fragen vermieden
werde. Nur auf dieser Basis ist es möglich, unter
Wahrung der eigenen Selbständigkeit ein solches
Zusammenwirken mit den anderen deutschen Par-
leten zustande zu bringen, welches nothwendig ist,
um in einem Kampfe, dessen Dauer sich nicht ab'
sehen lässt, mit voller Sicherheit dem deutschen
Volke zu seinem Rechte zu verhelfen.“ — Jn was
soll das heißen? fragt man sich unwillkürlich.
Die polnischen Juden haben ein Sprichwort,
das eine eigene Tactk in geschäftlichen Dingen an-
gibt: „Ein guter Jud braucht keinen Brief und
dei an' schlechten Juden nützt ta Brief.“ An das
Sprichwoct wird man erinnert, wenn man die Er-
tlärung der Volkspartei liest. Ist es nothwendig,
etwas zweimal zu betheuern, an das man glaubt,
an dem man festhalten will. Wozu die vielen
Worte, wo Thaten viel näher liegen? Allerdings
erhält die Erklärung ihre große Bedeutung, wenn
man liest, daſs der Abg. Kaiser, der Obmann der
Fraction, den Antrag Funke's auf namentliche
Abstimmung nicht einmal unterstützen ließ. — „Be,
an schlechten Jaden nützt la Brief.“
Und das wird sich — wir scheuen uns nicht-
es hier zum erstenmale aber ungescheut auszu-
sprechen — auch in Zukunft ergeben. Dr. Stein-
wender, immer noch der geistige Führer der Partei,
ist ungeduldig geworden; er will auch etwas werden“
Weiß der liebe Himmel, welcher Lohn ihm in Aus-
sicht steht, aber seine ganze Haltung, die auch be-
stimmend auf den großen Theil des Clubs wirkt,
weist darauf hin, daſs er zu einer entschied nen
rücksichtslosen Opposition nicht mehr zu haben ist.
Denn was ist, so fragen wir, eine Obstruct'on, die
nicht permanent ist? Gibt es eine Feuersbrunst
mit Zwischenpausen? Die Obstruction ist das
äußerste parlamentarische Mittel, das zur Verfügung
steht; es darf nur im Momente höchster Noth ge-
braucht werden, es ist sozusagen das Feuersignal;
das Feuer muſs brennen, bis es nichts mehr zur
Nahrung findet oder gelöscht wird. Wenn man
aber eine Obstruction mit Pausen treiben wollte,
dann hätte man sie lieber nicht erst beginnen sollen.
Man gebraucht heute die Ausrede: Schönerer habe
Alle überrumpelt; nun die Ausrede ist sehr schwach.
Denn einmal gieng, soviel wir wissen, die Idee
der Obstruction von Schönerer gar nicht aus und
dann waren doch die „radicalen“ Volksmänner, an
denen die Volkspartei angeblich nicht arm ist, Mannes
genug, sich nicht von einem Manne überrumpeln
zu lassen.
Nein, mit solchem „Bliml-Blaml“ darf man
den Deutschen Böhmens nicht kommen. Es mag
nur als ein'charakteristisches Omen angesehen werden,
daſs sowohl Professor Kaiser als auch Prof. Stein-
wender Mittelschulprofessoren sind, die, wenn auch
als Abgeordnete immun, immerhin im gewissen
Grade von der Regierung abhängig sind, es soll
ihnen darum keineswegs übel genommen werden,
daſs sie einer radicalen, bis zur letzten Conse-
quenz gehenden Opposition abhold sind. Aber
dann wird man wohl auch von ihnen verlangen
können, daſs sie von ihrer nominellen und factischen
Führerschaft einfach zurücktreten und Andere an
ihre Stelle lassen, die unabhängig sind.
Daſs die Leute dazu da sind, beweist die oben
citirte Erklärung, die über Einschreiten alpenlän-
discher Abgeordneter gefaſst wurde, nachdem die
eingangs erwähnte Einschränkung der Obstruc ion
am Tage vorher pablicirt worden war. Diese
Männer werden nicht nur imstande sein, die Abge-
ordn ten Kaiser und Steinwender in ihren quali-
tativen Eigenschaften vollständig zu ersetzen, sie
werden es auch ermöglichen, jenes „Einvernehmen
mit den anderen deutschen Parteien“ der Minder-
heit“ herzustellen, von dem, wie es scheint, Dr.
Steinwender immer nur academisch etwas hören
will. Wenn sich diese Nothwendigkeit friedlich voll-
zieht, wird das der geeinten und vereinten Oppo-
sition gegen den Grafen Badeni nur zu statten
kommen. Geschieht das nicht, so wird voraussicht-
lich wieder einmal der Dritte davon profitiren, wenn
sich, was alsbald eintreten wird, zwei streiten; nur
wird der Dritte diesmal die christlichsociale Partei
und mit ihr Graf Badeni sein.
Entweder — Oder?
Kein Zweifel, der Sturm welcher in den An-
klagen der Minister die parlamentarischen Wipfel
schüttelte und fegte, hat sich für einige Sitzungen
gelegt und im österreichischen Parlamente wird ver-
handelt, als ob es niemals Sprachenverordnungen
gegeben hätte. Dieser Anschein muss geweckt werden,
wenn die Methode eingeschlagen sein wird, zu
welcher sich die deutsche Volkspartei bezüglich der
Obstruction bekennen will. Schon dieser Anschein
allein ist im Stande die Wirkung der Obstruction
zu beeinträchtigen, was denn auch sich in dem
Triumphgeschrei aller Gegner des Deutschthumes
über das rasch vorübergegängene Gewitter, welches
nicht einmal die Haut der Regierung genässt hätte,
erweist. Die Freunde werden entmuthigt, der Muth
der Gegner gehoben — das ist jetzt schon die Folge
dieses Wankelmuthes der Deutschnolilichen, oder
besser gesagt, eines Theiles derselben. Selbst in
der Erklärung dieser Partei über ihren Entschluss,
die Obstruction in wirtschaftlichen Fragen nicht zu
unterstütz'n, beginnt mit dem Satze: „So lange
die Sprachenverordnungen nicht beseitigt sind, wird
die deutsche Volkspartei den Kampf gegen die Re-
gierung mit den schärfsten Mitteln und bis zum
Stillstande der parlamentarischen Thätigkeit führen.“
Nach diesem Beginn kommen aber die Aus-
nahmen! Man sollte es nicht glauben. Ger de
im „Stillstande der parlamentarischen Thätigkeit“
liegt aber das „schärfste und äußerste Mittel.“
Wenn dieser Widerstand nicht erreicht wird, dann
ist eben die Obstruction nicht wirksam. Daſs man
diesen Stillstand erreichen kann — darüber muss
man sich im vorhinein klar sein. Ist dies nicht
der Fall, dann greife man lieber nicht zu diesem
Mittel. Daſs nichts damit zu erreichen ist, wenn
heute Obstruction gemacht wird und morgen aus
freiem Entschluss nicht — liegt auf der Hund. So
ist denn die Wirkung der Ministeranklagen und der
dreitägigen Debatte darüber durch die darauf fol-
Berliner Plauderei.
(Original-Beitrag.)
Dieser Tage hat in Berlin ein Process statt-
gefunden, der, obwohl es sich nur um Kleinkrämerei
handelte, doch nicht nur das Interesse der weitesten
Kreise, namentlich der Frauenwelt, sondern auch
der kaufmännischen Kreise, ja der Juristen und
Politiker verdient. Aber da ich hier nur plaudere,
nicht einen politischen Leitartikel oder eine fach-
männische Abhandlung schreibe, lasse ich die Poli-
tiker, Gelehrten ꝛc. ganz aus dem Spiel und denke
nur an die weiteren und weitesten Kreise. Ein
Ramschwarenhändler hatte auf Placaten angezeigt,
dass bei ihm das Dutzend künstlicher Veilchen
1 Pfennig koste. Er wurde von einem Concurreuten
denunciert auf Grund des Gesetzes betreffend un-
lauteren Wettbewerb und zu 100 M. verurtheilt,
nicht sowohl weil er die Weilchen so billig verkaufte,
als vielmehr, weil er nur eine geringe Anzahl seiner
Beilchen sobillig verkaufen wollte. Es wurde
nachgewiesen, daſs die Herstellung künstlicher Veilchen
2 Pf. pro Dutzend koste, daſs der Angeklagte aber
nur zwölf Dutzend höchstens täglich zu diesem
Preise verkaufen wollte, und daſs wenn Jemand
etwa 15 Dutzend verlangte, er die Ware nur er-
hielt, wenn er 25 Pfennig pro Dutzend zahlte. Von
flägerischer Seite warde ausgeführt: Wenn ein
Kaufmann im Schaufenster Preise für Waren an-
kündige, dann gelte es als selbstverständlich, daſs
er jedes verlangte Quantum zu diesem Preise ver-
kaufe. Bei Bezug größerer Quantitäten pflege
sogar regelmäßig eine Preisermäßigung einzutreten
und es müsse als ein krasses Beispiel unlauteren
Wettbewerbs gelten, daſs der Angeklagte beim Ver-
langen größerer Quantitäten den Verkauf ver-
weigerte oder den Preis erhöhte. Durch das Ver-
fahren des Beschuldigten sei der ganze Zweig der
Fabrication künstlicher Blumen schwer geschädigt
worden. Sowohl die Engros- wie die Detailkunden
wollten die üblchen Preise nicht mehr bewilligen.
Fern sei es von mir, das Urtheil des Schöffen-
gerichts kritisieren oder gar eine Lanze für den
Ramscher einlegen und seine Praxis vertheidigen
zu wollen. Aber zu einer ganzen Anzahl Fragen
regt der Process doch an. Das Recht, seine Ware
zur Hälfte des Einkaufspreises zu verkaufen, wurde
nicht bestritten. Aber wo steht geschrieben zu
lesen, daſs ein Kaufmann Jedem und Jedem so
viel als dieser will und zu einem einmal offe-
rierten Preise jedes Quantum verkaufen muss?
Preise steigen mit der Zunahme der Nachfrage.
Wenn ein Kaufmann sieht, daſs ein Artikel stark
begehrt wird, verlangt er mehr dafür, das ist eines
der ältesten wirtschaftlichen Gesetze.“ Gewiss ist,
die übliche Geschäftspraxis, beiEntnahme größerer
Quantitäten eine Preisermäßigung eintreten zu lassen.
Aber es kiun doch auch die entgegengesetzte Proxis
nicht von vorneherein als „unkauter verurtheilt
werden. Der eine Kaufmann giebt dem Käufer
nach dem Kauf gratis etwas zu. Der andere hält
es für vortheilhifter, aller Welt, auch ohne dass
sie kauft, ein kleines Geschenk zu machen, damit alle
Welt auf ihn aufmerksam werde und bei ihm kaufe.
Es kann Jemand so von der Güte seiner Ware
überzeugt sein, daſs er denkt, wenn das Publicum
nur wüsste, wie gut meine Ware ist, dann würde
es gern mir nicht nur den üblichen, sondern sogar
einen höheren Peis zahlen. Bieten wir dem
Publicum zur Probe zunächst etwas von der Ware
umsonst oder zu einem ganz geringen Preise an.
Wenn man aber aus Rücksicht auf die Concurren-
ten ein solches Vorgehen als unlauter mit Strafe
belegen will, wo es sich um Pfennige handelt,
warum schreitet man nicht ein gegen die Finanziers
und großen Handelsherren, die lediglich um Preise
zu drücken für viele Mitlionen Ackien, Getreide,
Zcker auf den Markt werfen und keineswegs ge-
zwungen werden können, alle ihre Vorräthe zu dem
billigen Preise zu verkaufen.
Dass das Vorgehen des verklagten Kaufmanns
auch nicht entfernt meinem Geschmeck, meinem Be-
griff von anständiger Geschäftsführung entspricht,
möchte ich nicht erst direct versichern Aber man
kann leider nicht alles, was man als Unrecht em-
pfindet, auch als Unrecht bestrafen, oder wenn schon,
dann nach agrarischem oder socialdemokratischem
Recept radical. Für unsere Damen, die gerne
billig kaufen und zu den Ramschern laufen, geht
aus diesem Process die Lehre hervor, daſs ihr
winziger Profit mit dem Ruia Anderer erkauft
wird. Wollen die Damen aber durchaus nicht von
ihrer Praxis lassen, dann begnügen sie sich we-
nigstens damit, nur das Billige, nur das „Ge-
schenkte“ bei dem Ramscher zu taufen, nicht aber
die anderen Artikel, bei denen sie unbedingt über-
vortheilt werden müssen und zwar sehr. Auf diese
Weise kommen die Damen zu billigen — Pfennig-
artikeln, und wird der Ramscher bestraft, dem ge-
setzlich eigentlich nicht beizukommen ist.
Feuilleton.
Název souboru:
karlsbader-badeblatt-1897-05-14-n110_4910.jp2