Text na stránkách 4
Text:
Seite 4
„Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 79
7. April 1897
Joachimsthal, 5. April. (Zum 50jährigen Re-
gierungs-Jubiläum Sr. Majestät des Kaisers.)
Das Militär-Veteranen- und Krieger-Corps in Joachims-
thal hat den Beschluss gefasst, anlässlich des 50jährigen
Jubiläums der glorreichen Regierung Sr. Maj. des Kaisers
in Joachimsthal ein Krieger-Denkmal, auf welchem die
Namen sämmtlicher in den Jahren 1849, 1859, 1864 und
1866 gefallenen Krieger aus dem politischen Bezirke Joa-
chimsthal verzeichnet sein werden, zu erstellen und zu ent-
hüllen. Das Protectorat hat Bezirkshauptmann F. J.
Pappisch übernommen und das engere Comité des Krieger-
denkmales besteht aus dem Bezirksobmanne Johann Seidl
als Vorsitzenden, Bürgermeister Franz Rauscher als dessen
Stellvertreter und Josef Schöffl, Commandauten des Vete-
ranen- und Kriegercorps. Ein an die Bevölkerung des Be-
zirkes Joachimsthal erlassener Aufruf bittet um Zuweisung
von Spenden für den pietätsvollen und patriotischen Zweck,
absolut einheitlichen Theil des deutschen Sprachgebietes in
Böhmen vorstellen, weil wir es am wenigsten nöthig haben,
unter das Joch der neuen Sprachenverordnung zu gehen.
Ein Bedürfnis ist sie nicht. Es handelt sich lediglich um
eine Concession an die Tschechen zu Ungunsten der Deutschen.
Das deutsche Volk in Böhmen ist nie agressiv vorgegangen,
wir wollen stets nur den Frieden wahren; aber wir wollen
auch in Ruhe gelassen werden. Bei jeder Gelegenheit
werden uns Prügel zwischen die Füße geworfen, so daſs
wir immer in der Abwehr sind. Mit der Sprachenver-
ordnung will man uns von österreichischen Staatsbürgern
zu böhmischen Staatsbürgern degradieren und dagegen
müssen wir schärfste Einsprache erheben. Der Endzweck
der Verordnung ist aber der, eine Spaltung unter den
Deutschen hervorzurufen. Diese hatten bis jetzt die führende
Rolle in der Opposition inne, und darum will sie Graf
Badeni trennen. Wohl hat der liberale Großgrundbesitz
treu zu uns gehalten und damit in dankenswerter Weise
dem Gefühle deutscher Solidarität Ausdruck gegeben. Nach
der neuen Version freilich soll der Großgrundbesitz eine
Schwenkung vollzogen haben, welche auf Rechnung der
Drohung Badeni's kommt, eventuell mit einer clericalen
Mehrheit zu regieren; für die Folgen würde dann Badeni
den Großgrundbesitz selbst verantwortlich machen. Es ist
somit die Gefahr vorhanden, daſs wir deutschböhmischen
Abgeordneten vereinzelt bleiben. Darum ist es Pflicht,
daſs alle Deutschen ohne Parteiunterschied sich vereinigen
und zusammenschließen. Es wäre gefährlich in solcher Zeit,
sich zu spalten, der Entzweiung noch weiter Vorschub zu
leisten. Wir müssen uns zusammenfinden, eng zusammen-
schließen zur wirksamen Abwehr. Darum begrüßen wir
die gegebene Anregung, daſs sich die beiden Parteien ver-
einen und daſs sie gemeinschaftlich vorgehen sollen, auf das
Freudigste. Damit aber das gemeinsame Vorgehen ein
umso wirksameres sei, muss die Regierung die Ueberzeugung
gewinnen, daſs das ganze Volk hinter seinen Abgeordneten
steht, daſs wir nicht von selbst, nur aus eigenem Antriebe
vorgehen, sondern daſs wir die Sprache des Volkes sprechen,
daſs unser ganzes deutsches Volk wie ein Mann hinter
uns steht. Deshalb ist die Kundgebung gegen die Sprachen-
verordnung erwünscht und deshalb werden wir auch nicht
vereinzelt bleiben, sondern ganz Deutschböhmen wird einig
aufstehen. Erfreulich ist es, daſs gerade Eger die Führung
übernommen hat. Aber es genügt nicht, die Kundgebung
mit Mehrheit anzunehmen. Einmüthig soll sie zum Be-
schluſs erhoben werden, einmüthig soll der Ruf erklingen,
daſs wir uns die Sprachenverordnung nicht gefallen lassen
werden und daſs wir energisch gegen eine solche Sprachen-
verordnung protestieren.“ Die Rede wurde mit großem
Beifall aufgenommen und sodann der Resolution einstimmig
zugestimmt. Die Resolution hat folgenden Wortlaut: „Der
Egerer Bürgerausschuss erklärt die beabsichtigte Sprachen-
verordnung, welche nach seiner Ueberzeugung mit ihrem
Zwange der Zweisprachigkeit nur einen gewaltsamen Vor-
stoß der Tschechen in das geschlossene deutsche Sprachgebiet
und zugleich die Ausscheidung der Deutschen von den
Aemtern und demnach von der Verwaltung und Rechts-
sprechung in der eigenen Heimat bedeutet, vom Stand-
punkte der Deutschen für unannehmbar und von jenem der
Stadt Eger noch insbesondere mit Rücksicht darauf, als
der Egerer Kreisgerichtssprengel mit seinen 20 Bezirks-
gerichten auf einem Flächenraum von 75·7 Quadratmeilen
auch nicht eine einzige tschechische Gemeinde aufweist. Der
Bürgerausschuss erhebt daher gegen die geplante Maßregel
entschieden Verwahrung und erwartet von den Abgeord-
neten deutscher Nationalität, welcher politischen Schattierung
sie auch angehören, daſs sie ihre Stammesgenossen in
Deutschböhmen nicht im Stiche lassen und mit allen ge-
setzlichen Mitteln das Zustandekommen und Rechtsgiltigkeit
werden dieser Sprachenverordnung bekämpfen und hintan-
zuhalten bestrebt sein werden.“
Vom Büchertisch.
Dilettautenarbeiten in Holz ꝛc. Bei der stets
wachsenden Beliebtheit, welche die Dilettantenarbeiten in
Holz ꝛc. (Laubsäge-, Schnitz-, Einlege- und Holzmalerei-,
Holzbrand-, Flach- und Kerbschnitt-, Kleineisen und Metall)
in immer weiteren Kreisen finden, sind auch die Liefe-
ranten in den Stand gesetzt, immer reichhaltigere Muster-
vorlagen zu liefern. In erster Linie ist zu empfehlen
die Firma Mey & Widmayer Verlag Amalienstraße Nr. 7
in München, welche alle Hilfsmitkel für derartige Ar-
beiten, wie Anleitungen zu allen Arbeitsarten, rohes Holz
in Tafeln, fertige Gegenstände, auf Holz gedruckte Vor-
lagen, alle Werkzeuge und Materialien. Laubsäge- und
andere Maschinen, Dreh- und Hobelbänke, complette
Werkzeugkasten, Brandapparate Kc., vornehmlich aber
künstlerisch ausgeführte Vorlagen auf Papier liefert. Die
62 Großfolioseiten starke Preisliste mit über 1500 Ab-
bildungen, welche für 30 Pf. in Briefmarken zu haben
ist, gibt den treffendsten Beweis für die große Leistungs-
fähigkeit des Hauses.
Vermischtes.
(Stierkämpferinnen) treten seit einiger Zeit in
Spanien auf und zeigen, daſs es heutzutage kaum noch
ein Gebiet gibt, auf dem die Frau nicht mit dem Manne
in Wettbewerb um's liebe Brot tritt. Zunächst waren
es natürlich Spanierinnen, welche diesem neuen Erwerbs-
zweig nachgiengen, der ihnen aber bald auch von Aus-
länderinnen streitig gemacht wurde, und derzeit treten,
wie der „K. V.“ geschrieben wird, in Barcelona zwei
Schwestern aus — Brandenburg als Stierkämpferinnen auf.
(Die Mohammedaner und die Peſt) Aus
Bombay berichtet die „Boss. Ztg.“ Die Mohammedaner
fahren in ihrem Widerstande gegen die zur Unterdrückung
der Pest getroffenen Maßnahmen fort. Die europäische
Commission kann sich ohne ein großes Geleite von Mi-
litär und Schutzleuten in den mohammedanischen Stadt-
theilen nicht blicken lassen. Sie hat deshalb einen Auf-
ruf an die Mohammedaner erlassen, worin sie diese der
besten Behandlung in den Hospitälern versichert. Besonders
solle alle Rücksicht auf „Purdah“-Frauen genommen werden.
Gestern verließ ein Mohammedaner mit seiner Frau die
Stadt. Als er von den Aerzten zur Untersuchung auf-
gefordert wurde, willigte er endlich zögernd ein. Als seine
Frau aber untersucht werden sollte, zog er einen Dolch und
stieß ihn ihr in's Herz. Darauf verwundete er den Arzt
und versuchte schließlich sich selber zu entleiben. Die
Pest wüthet furchtbar in Bulſar, einer Stadt von 13.000
Einwohnern in der Provinz Gujrat. Alles flüchtet.
Die Todten liegen unbegraben in den Häusern und an
den Straßen, denn es gibt keine Todtengräber mehr in
Bulſar.
(Künstlers Lohn.) Schlüter hat für seinen großen
Kurfürsten etwa 11.000 Thaler bekommen. Hundertfünfzig
Jahre später wurde Friedrich II. ein Denkmal gesetzt.
Zwölf Jahre währte die Bauzeit. In dieser Zeit erhielt
Rauch jährlich 3000 Thaler. Außerdem wurden ihm
nach Vollendung des Denkmales noch 20000 Thaler zu-
gewiesen. Danach hat Rauch als Künstlerhonorar für
das Friedrichs-Denkmal im ganzen 56.000 Thaler er-
halten. Rheinhold Begas soll für seine Schöpfung eine
Million Mark erhalten haben. Das Kurfürsten-Denkmal
kostete etwa 225.000 Marl, das des alten Fritz 720.000
Mark, und für das Kaiser Wilhelm-Denkmal sind vier
Millionen Mark bewilligt worden.
(Das „Kind Gottes.“) Gegenwärtig erregt in
Arragonien ein frühreifes Kind von 9 Jahren, das dort
unter dem Namen „Ninno de Dies“ (das Kind Gottes)
bekannt ist, allgemeines Aufsehen. Es geht von Ort zu
Ort und hält feurige Lobreden auf den Thronyrätendenten
und die von ihm vertretene politische Bewegung. Der
„Heraldo“ versichert allen Ernstes, es handle sich um ein
Wunderkind, da seine Reden mit denen mancher karlistischer
Parlamentarier wetteifern können und auf die Bevölkerung
großen Eindruck machen. Das Kind ist der Sohn eines
Italieners und einer Andalusierin und hält seine politischen
Predigten für Geld. Ein Impresario hat sich seiner al
eines würdigen Ausbeutungsobjectes „angenommen.“ Den
karlistischen Führern ist die Sache sehr fatal, da sie fürchten,
daſs man an ihrem Ernst zweifeln könne; aber sie können
nichts gegen den Unfug machen, da die arragonesische Be-
völkerung geradezu mit Fanatismus an dem „Kinde
Gottes“ hängt.
Gütige Beiträge, n. z. einmalige Spenden sowohl, als auch
bis zur Vollendung des Denkmales laufende Monatsbei-
träge werden bei den Bürgermeister- und Gemeindeämteru.
des Bezirkes entgegengenommen, welche die Sammlungs-
ergebnisse an den Vorsitzenden des Bezirks-Kriegerdenkmal-
Comités in Joachimsthal übermitteln.
Telegramme.
Wien, 6. April. (Abgeordnetenhaus.) Die
erste Sitzung nach der Cabinetskrise fand heute ein
übervolles Haus, in welchem sich der erste be-
wegte Zwischenfall zutrug.
Alterspräsident Ritter v. Proskowetz eröffnet
die Sitzung um 11 Uhr 20 Min. Auf der
Ministerbank sämmtliche Minister.
Im Einlauf befindet sich eine Regierungs-
vorlage betreffend das Checkgesetz und eine Zu-
schrift des Justizministers betreffend die Frei-
lassung Szajers, worin das Einlangen des Acten-
materials bekannt gegeben wird.
Schon bei den nachträglichen Angelobungen
war die allgemeine geräuschvolle Unaufmerksamkeit
durch den Aufruf zweier Namen unterbrochen
worden, beim Namensaufruf der Abgeordneten
Szajer und Schönerer. Auf der äußersten Linken,
dort, wo inmitten der Christlichsocialen die An-
hänger Stojalowskis Platz genommen haben, hat
Szajer einen Ecksitz inne, der zweifellrs bequemer
ist, als jener des Rzeszower Untersuchunsgefäng-
nisses. Die Tracht Szajers, die lange braune
Sukmana, den breiten rothen Manchetten, der
goldgelb-glänzenden Posamentirung am Kragen, den
Taschen und den Nähten, der hellblaue Zupan unter
der Sukmana war ein schöner lebendiger Farben-
fleck in dem dunklen Gesammtbilde der vollbesetzten
Abgeordnetenbänke. Auf der massigen Gestalt sitzt
ein intelligenter Kopf, die dunklen Haare sind straff
emporgekämmt. Die Angelobung leistet Szajer in
poluischer Sprache. Abgeord. Schönerer beant-
wortet die Angelobungsformel mit den weithin
tönenden Worten: Ich gelobe! Und insbesondere
gelobe ich jederzeit für die Rechte und Interessen
des deutschen Volkes in Oesterreich einzutreten!
Diese Improvisation wurde von den Anhängern
Stojalowskis und von einigen Stimmen auf der
Gallerie mit Beifall und Heil!-Rufen quittirt, vom
Hause selbst mit großer Heiterkeit aufgenommen.
Der Alterspräsident R. v. Prostowetz will
nun die verificirten Wahlen zur Kenntnis des
Hauses bringen.
Abg. Karl Hermann Wolf, der im Halbrund
vor der Ministervank steht, ruft: „Was ist's mit
den Dringlichkeitsanträgen?
Der Alterspräsident verw ist diesbezüglich auf
die Geschäftsordnung, worauf Abg. Wolf das Wort
zur Geschäftsordnung verlangt.
Unter stürmischem Beifall, in welchem der
Widerspruch der äußersten Linken und der Schöne-
rianer untergeht, verweigert Ritter von Proskowetz
die Ertheilung des Wortes an Wolf. Da dieser
immer wieder zu reden verlangt, ruft der Alters-
präsident energisch: „Jetzt spreche ich!“
Es wird hierauf zur Wahl des Präsidiums
geschritten.
Bei der Wahl des Präsidiums werden 373
Stimmen abgegeben. Davon entfallen 258 auf
Dr. Kathrein, 114 auf den Grafen Attems, die
übrigen Stimmen sind zersplittert. Es erscheint
somit Dr. Kathrein zum Präsidenten des Abge-
ordnetenhauses gewählt. Derselbe besteigt
den Präsidentensitz und hält eine längere Ansprache
an das Haus. Er werde die Verhandlungen mit
vollster Unparteilichkeit leiten und allen Parteien
die möglichst größte Redefreiheit wahren und schützen.
Er begrüßt die Vertreter der Arbeiter und sagt
dann weiter: Große socialpolitische Fragen harren
der Lösung. Durch friedliches Einvernehmen aller
Theile kann viel Nützliches geschaffen werden. Der
Präsident schließt mit einem „Hoch!“ auf den Kaiser.
Die Socialdemokraten hatten sich vor der Rede
des Präsidenten entfernt.
Das Haus schreitet nun zur Wahl des ersten
Vicepräsidenten.
Abg. Wolf meldet sich zum Wort und ver-
langt vor der Wahl des Vicepräsidenten die Er-
ledigung der Dringlichkeitsanträge.
Der Präsident erklärt hierzu nicht das Wort
ertheilen zu können.
Abg. Wolf (ruft): Wir werden ja sehen, was
das für ein Parlament ist. Das ist ja eine polnische
Wirtschaft.
Zum ersten Vicepräsidenten wird sodann mit
251 von 361 abgegebenen Stimmen David Ritter
v. Abrahamowicz gewählt. Von den übrigen Stimmen
Název souboru:
karlsbader-badeblatt-1897-04-07-n79_3410.jp2