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Seite 9 Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt Nr. 54 7. März 1897 Zwei Brüder. Roman von J. Dungern. (16. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) Wie sehr hatte sie sich damals geirrt und ge- schmelchelte Eitelkeit und reizbare Phantasie für Liebe genommen. Jetzt wuſste sie, was wahre Liebe sei. Sie fühlte es an der Angst, daſs Mark sie lieben möge, während sie ihm doch niemals ange- hören könne; er würde leiden, er, welchem sie doch das schönste Glück auf Erden gönnte! Nein, lieber wollte sie allein unglücklich sein, als Mark ebenfalls leidend zu wissen. — Wie verhältnismäßig glücklich hatte sie in der Zwischenzeit gelebt! Von Joche befreit, das sie an den verachteten Mann kettete, hatte sie oftmals gemeint, noch das freie, ungefesselte Mädchen zu sein, für welches die Welt sie hielt. Wenn nun der heimlich Geliebte kommen und ihr von seiner Liebe erzählen würde, was sollte sie dann machen? Wie oft hatte sie sich diese Frage vorgelegt und keine Antwort darauf gefunden und jetzt wieder dachte sie daran, als der Schall von Füßtritten sie aufblicken ließ und Mark Challoner vor ihr stand. Gertrude sah die Befangenheit des jungen Mannes und dies vermehrte die ihrige; unwill- kürlich schlug sie den Weg nach dem Hause ein, doch Mark legte respettvoll seine Hand auf ihren Arm und bat sie, „mit ihm zu gehen und ihn an- zuhören.“ Und nun begann die Folter für dies junge, liebebedürftige Menschenherz. Mark erzählte ihr in glühenden Worten von seiner Liebe, die ihn so ganz behertsche, daſs er keinen anderen Gedanken mehr habe, als den, Grace sein Weib zu nennen; er flehte sie an, sich ihm anzuvertrauen und an seiner Seite durch dieses Leben zu gehen, ihn, mit einem Worte, zum seligsten Menschen der Erde zu machen. Sie lauschte mit einem Gefühle des Glückes seinen Worten, dann aber stöhnte sie so tief und schmerzlich auf, daſs Mark sie entsetzt anblickte; er konnte ja nicht ahnen, warum sie den Becher des Glücks nicht an die Lippen setzen durfte! Tausend Gedanken türmten auf sie ein, als er aber jetzt bat, ihr Jawort auszusprechen, schob sie mit einer unaussprechlichen Gederde des Grams seine Hand bei Seite und brach in Thränen aus. „Sie verwerfen mich, Grace,“ rief er be- stürzt aus. „Nein, das thue ich nicht, doch lassen Sie uns Platz nehmen und frei und offen mit einander sprechen.“ Mark war außer sich; sie wollte seine Hand nicht annehmen, also sie liebte ihn nicht und dennoch sah sie so todtenblaſs und entsetzt aus und er hörte ihren lauten Herzschlag, während fortwährend Thränen ihren Augen entströmten. „Es ist nur zu wahr, daſs ich Sie von Herzen liebe, Mark Challoner,“ sagte Gertrude, als sie ihre Selbstbehertschung wieder gewonnen hatte. „Nein, danken Sie mir nicht,“ fuhr sie traurig fort, als er ihr beide Hände entgegenstreckte, „denn ich kann Ihren Antrag nicht annehmen ohne Ihnen ein großes Leid zuzufügen. Und ich liebe Sie zu sehr, um dies zu thun; ich kann niemals, niemals Ihr Weib werden, aber ich werde nie einen An- deren lieben, als Sie.“ „Mein Gott, was soll ich hiervon denken?“ sagte er hastig; „ich versichere Sie, daſs ich nicht im Entferntesten weiß, warum Sie diese grausame Handlung begehen.“ „Ich thue es, weil Sie ein Mann von hoher Geburt sind und ich eine Opernsängerin bin, eine Frau ohne Namen und Familie; und da ich weiß, daſs Sie das nicht in Betracht ziehen würden, weil Sie zu edelmüthig dazu sind, so muss ich für Ihre Ehre handeln und schlage Ihre Hand aus.“ Die Wahrheit, die ganze Wahrheit konnte sie ihm un- möglich gestehen, schob also diesen Grund vor. „Sie wollen mich also zeitlebens unglücklich machen, weil Sie mehr an das Gerede der Welt denken, als an mich?“ entgegnete Mark. „Jeder ehrliche Mann, mag er auch noch so hoch stehen, wird sich glücklich schätzen, Sie zu seinem Weibe machen zu dürfen, Miß Lambert. Rechnen Sie Ihren Rum, Ihr Genie für Nichts?“ „In meinem Kreise ist es allerdings etwas,“ war Gertruden's Antwort; aber in dem Ihren? Fragen Sie einmal Ihren alten, mir so wohi- wollenden Freund, Lord Sandilands; er wird Ihnen sagen, daſs ich Recht habe.“ „Nein, im Gegentheile,“ rief Mark triumphirend aus, „er kennt meine Liebe und billigt dieselbe. Wenn das Ihr bester Grund ist, theuere Gertrude, so zerfällt er in Nichts; ach nein, mein theures Mädchen, Sie dürfen mich nicht abweisen.“ „Ist das wahr,“ rief sie athemlos, während ihre Augen von Glück strahlten, „Lord Sandilands billigt Ihre Werbung?“ Doch gleich darauf lagerte sich derselbe kummervolle Ausdruck auf ihre Züge; sie seufzte: „Es ist Alles umsonst, ich darf nicht“ und sank ohnmächtig auf die Bank zurück. Zum Tode erschreckt kniete Mark vor ihr nieder, ergriff ihre Hände und rief sie in rührendstem Tone in's Leben zurück. Nach einigen Sekunden erwachte Gertrude aus ihrer Betäubung, suchte sich wieder aufzurichten und hat Mark mit schwacher Stimme, sie jetzt zu verlassen, da sie sich sonst nicht echolen könne. Der junge Mann flehte, ihn nicht fortzusenden; aber er sah an dem Erzittern der ganzen zarten Gestalt, daſs die Erschütterung ihres Gemüthes nur in der Einsamkeit sich beruhigen würde, und gieng endlich in der verzweiflungs- vollsten Stimmung in's Haus zurück. Als Mark in den Salon trat, wo der alte Lord mit den Besitzern des Hauses und Mrs. Block sich befand, war jener über das verstörte Aussehen seines Schützlings betroffen. Er kürzte also seinen Besuch so viel als möglich ab und fragte Mark, sobald sie zusammen im Wagen saßen, ob er Miß Lambert nicht getroffen habe? Mark bejahle und theilte dem väterlichen Freunde seine Unterredung mit Gertrude mit. Auch den alten Herrn versetzte diese Nachricht in großes Erstaunen. Es war unmöglich, hier Trost und Rath zu ertheilen, ehe er selbst die Sängerin gesprochen hatte. Er beschloss, daſs dies gleich am nächsten Tage geschehen sollte. „Und ist es nöthig für Mark's und Gertruden's Glück, so will ich meine Schuld reuig bekennen und dem Mädchen Alles mittheilen,“ fügte er in Gedanken hinzu. 15. Kapitel. Der Mensch denkt. Wir müssen noch Etwas nachholen in unserer Erzählung. Lord Ticehorst wusste nicht, was er thun sollte. Trotz seiner eben nicht großen Verstandes- kräfte hatte er eingesehen, dass Grace Lambert kein Mädchen war, das man durch Geld und reiche Geschenke gewinnen konnte. Er beschloss also, Hasbürn darüber zu fragen. Vord Ticehorst und Hasbürn saßen nach dem Frühstücke beisammen und lasen die Zeitungen, als der junge Lord einen Ruf des Erstaunens ausstieß und, Hasbürn die Zeitung vorlegend, auf eine Anzeige des Mr. Munus deutete, welcher das englische Publikum benachrichtigte, daſs es ihm geglückt sei, die berühmte Primadonna Miß Lambert für eine Tour durch die größten Städte Englands zu ge- winnen; er sei von einer ausgezeichneten Truppe begleitet und der Erfolg der Künstler sei durch die berühmten Namen derselben so gut wie gesichert. Gilbert Hasbürn, der drnkelroth geworden war, als er den Namen seiner Frau gelesen, er- langte rasch seine Fassung wieder und legte schweigend das Papier auf den Tisch. „Haben Sie gelesen? Und was denken Sie davon?“ fragte der Lord. „Gewiss“, entgegnete der Andere ruhig. „Munus wird gute Geschäfte machen.“ „Aber ich will nicht, daſs Miss Lambert so überall umherzieht.“ „Was geht das Sie an, Ticehorst?“ Mich? Nun, Sie erinnern sich doch noch an das Rennen und die ganze Geschichte und da erzählte ich Ihnen doch, daſs ich um Miss Lambert's Hand bitten wollte.“ Lord Ticehorst, dem dieses Geständnis sehr schwer wurde, sah Hasdürn an. Dieser blieb sehr kalt und ruhig, nur seine Mundwinkel krümmten sich unter verhaltenem Spotte, als er ernst sagte: „Ah, Sie gedenken also der Dame einen vollständigen Heiratsantrag zu machen?“ Ticehorst gerieth in Eifer. „Jedenfalls“, rief er aus, „werde ich zu Miß Lamavert gehen und meinen Antrag stellen. Sie können indessen zu dem alten Schwindler, dem Munus, gehen und die Sache mit Geld abmachen. Es kommt nicht darauf an, was es kostet.“ „Nun, das wird sich mit Ihrem Golde ganz gut abwickeln lassen“, sagte Gilbert ruhig. „Sie brauchen auch nicht nach London zu reisen, denn Miß Lambert ist ganz in der Nähe. Ich erhielt diesen Morgen einen Brief von Hanbury, der gegenwärtig in Hartricht bei den alten Belweter's ist. Auch Miß Lambert ist dort zu Gaste. Das Schloss ist ja nur einige Meilen von hier. Fahren Sie hin und machen Sie ihren Antrag. Ich selbst hin gezwungen, Briefe zu schreiben und kann Sie nicht begleiten. — Dies ist aber auch nicht nöthig, solche Geschäfte muss man selbst besorgen.“ Nach einer Stunde stand Lord Ticehorft's Kutscher am Thore des Hotels und Gilbert sah ihn in der elegantesten Morgentoilette in den Wagen steigen und davonfahren. Er kehrte in's Zimmer zurück, wo er sich eine Cigarre anzündete und auf dem Sopha ausgestreckt, sich seinen Gedanken überließ. „Welch' sonderbarer und lächerlicher Zufall“, sagte er für sich, „daſs mein intimster Freund nun eben auf dem Wege ist, meine Frau zum Weibe zu begehren; natürlich wird er einen Korb erhalten, und darum' lässt mich diese Sache so ruhig. Wunderbar ist es aber, daſs nach langer Zeit der Gleichgültigkeit und des Vergessens ich auf einmal wieder in eine tolle Liebe zu dieser Frau verfalle. Beim Himmel, ich könnte den Lord vernichten und ich werde es auch thun, wenn er es wagen sollte. Und er wird es, ich las es in seinen Augen und was sie betrifft, so ist sie das entschlossenste Weib unter der Sonne. Ich werde niemals den Blick vergessen, mit welchem sie mich in jener Nacht an- fah, noch dem Ton ihrer Stimme, als sie die paar Worte sagte, welche ihr mein Bruder verrathen hatte. Zum Glücke ist er jetzt nicht in Hartricht, soust würde Richard es mir geschrieben haben.“ Während dieser Zeit fuhr Tic horst nach dem Schlösschen, das den Gegenstand seiner Anbetung beherbergte und lächelte vor sich hin, wenn er an die kommende Stunde dachte. Hasbürn hatte ihm wohl gesagt, daſs Mark Challoner sich um die Künstlerin bemühe; doch wie konnte dieser neben Lord Ticehorst, Viscount von Echingham, in Be- tracht kommen? Die triumphirenden Gedanken, die ihn be- wegten, theilten sich seiner Leitung der Pferde mit; er fuhr immer rascher und in der wildesten Weise, so daſs sein Groom, ein älterer, ruhiger Mann, der seine Pferde über Alles liebte, von seinem Hintersitze mit bösen Blicken auf seinen Herrn herab- schaute. Plötzlich ließ Ticehorst die Pferde eine ruhigere Gangart einschlagen, denn der Gedanke: „Was wird die Gesellschaft dazu sagen?“ war mit großer Macht über ihn gekommen. Doch gleich darauf bekam der ganze Hochmuth des Edelmannes wieder die Oberhand. Was zum Henker hatte ein Lord Ticehorst nach der Gesellschaft zu fragen? Und welches Mädchen in diesem Kreise konnte sich mit Grace Lambert messen? In die Betrachtun- gen versunken, war der Lord bei Belweter's Schloss angekommen; die Eigentümer desselben waren wahr- haft liebenswürdige Menschen, welche die Gast- freundschaft im weitesten Maaße übten. Eine kleine Schwäche für Musik gab den Spöttern Gelegenheit, ihren Witz an der guten alten Lady auszuüben; allein es war auch die einzige schwache Seite der- selben. Nun hatte sie in einem Concerte Miß Lambert singen hören und war in solchem Maaße von derselben entzückt, daſs sie keine Ruhe hatte, bis die junge Künstlerin ihr die Zusage ertheilte, einige Wochen bei ihr zuzubringen. Lord Belweter, ein würdiger alter Herr, lebte seinen kleinen Ge- wohnheiten und schränkte seine Gattin in ihren Wünschen nicht ein. Die Belweter's waren höchst angenehm über- rascht, als gerade heim zweiten Frühstück Lord Ticehorst gemeldet wurde. Sie empfingen diesen hervorragenden Verwandten der Lady Carabas außer- ördentlich freundlich und kaum war das zweite Früh- stück vorüber, so ruhte der alte Lord nicht eher, bis er Ticehorst seine Ställe und Pferde gezeigt hatte. Gertrude hatte den Ankömmling artig und freundlich bewillkommnet, war aber sehr erstaunt, als der Gast, gerade als sie im Musikzimmer am Klarier saß, schüchtern hereintrat und verlegene Entschuldigungen stammelte. Die junge Frau stand rasch auf und trat dem Lord entgegen, der sie bat, doch weiter zu singen und ihm diesen Genuß nicht zu entziehen. (Fortsetzung folgt.)
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