Text na stránkách 2
Text:
Seite 2
„Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 54
7. März 1897
aber dieses Verzweiflungsmittel muss sobald als
nur irgend möglich davon gethan werden.
Zur Lage.
Die kretensische Frage ist noch nicht gelöst,
aber sie ist es nicht mehr, welche die Welt beschäf-
tigt. Es hat sich vielmehr aus ihr eine griechische
Frage entwickelt, die uns zunächst zwei Nüsse zu
knacken aufgiebt. Was wird Griechenland thun?
Werden die Mächte ihre Drohungen im Falle
Griechenland ihrem Willen trotzt, ausführen?
Beide Fragen hätten eigentlich unwöglich sein
sollen. Daſs sie ernstlich gestellt werder, ist ein
ungeheuerliches Armutszeugnis einerseits für den
gesunden Menschenverstand der maßgebender Per-
sonen in Athen und gleichzeitig für das Solidari-
tätsgefühl und die Selbstachtung der Großmächte
bezw. der Schwankenden unter ihnen.
Aber in politischen Erörterungen hat man
nicht mit dem zu thun, was sein sollte, sondern
was ist. Und es ist Thatsache, einerseits daſs
Griechenland aller Wahrscheinlichkeit nach trotz dem
Ultimatum oder der Sommation der Großmächte
auf seiner Politik beharren wird, andererseits daſs
einige Großwächte trotz ihrer eigenen Drohungen
zu schwanken scheinen, ob sie die von ihnen ange-
drohten Zwangsmaßregeln wirklich ausführen sollen.
Es sollen dies namentlich England, Italien und
selbst Frankreich sein. Man hat sich nun eine
Vorstellung zu machen, was unter solchen Verhält-
nissen wohl in nächster Zukunft weiter geschehen
wird.
Die sechs Tage werden ablaufen, und Griechen-
land wird aller Wahrscheinlichkeit nach antworten,
daſs die von den Großmächten den Kretensern ge-
währte Autonomie unter wenn auch nur nomineller
türkischer Oberhoheit den Griechen nicht genügen
könne, die vielmehr die Einverleibung Kretas ver-
langen. So wenig Ehrgefühl und Furcht vor der
lächerlichsten Blamage, die je dagewesen, werden
selbst die schlaffsten, kurzsichtigsten und egoistischsten
Großmächte nicht haben, dass sie dann einfach wie
begossene Pudel abziehen. Sie werden vielmehr
unter allen Umständen etwas thun, nur dass dies
wohl etwas Halbes sein dürfte und das ebenso
wenn nicht noch mehr, den europäischen Frieden
gefährden müſste, wie Nichtsthun. Die Großmächte
werden nolens volens den Piräus blokiren, die
griechischen Schiffe vor Kreta heimführen oder wenn
sie Widerstand zu leisten Miene machen, in den
Grund bohren und alle wichtigsten Punkte auf
Kreta besetzen und den Oberst Vassos zwingen, sich
in entlegenere und unzugänglichere Theile der
Insel zurückzuziehen. Oberst Vassos wird Kreta
nicht verlassen wollen, und die Mächte werden die
nicht leichte Aufgabe zu lösen haben, Vassos durch
Aushungerung zur Uebergabe zu zwingen. Eine
langwierige Geschichte das, aber die nicht unrechte
Strafe dafür, daſs sie ihm überhaupt gestattet, in
Kreta zu landen.
Mttlerweile wird Griechenland der Türkei den
Krieg erklären, und wenn die Türken nicht ganz ihre
Vergangenheit verläugnen, werden sie die Griechen
schlagen, die numerisch und wohl auch hinsichtlich
der Qualität schwächer sind als die Türken. Nur
droht da die Gefahr, daſs andere Völkerschaften
auf der Balkanhalbinsel mit eingreifen und die
Gefahr auf weitere Gebiete, sogar bis ins Herz
Constantivopels hinein Krieg und Aufruhr tragen.
In diesem Falle befinden sich alle Christen unter
türkischer Herrschaft in directer Lebensgefahr.
Wären die Mächte nur im eignen Interesse
wirklich einig und energisch, dann würden sie einen
Strich durch die Rechnung Griechenlands, daſs
Europa ihm nicht auf das Festland folgen werde,
machen und griechisches Gebiet occupiren, was nicht
schwer fallen könnte und fast unblutig verlaufen
würde, da die griechischen Streitkräfte ja alle Hände
voll zu thun hätten, sich im Norden des Türken zu
erwehren. Selbstverständlich fiele diese Aufgabe den
zunächst interessierten Mächten zu.
Aber das wird voraussichtlich nicht geschehen,
und da hätte man allen Ernstes das Eingreifen
Russlands und der seiner Politik mehr zustimmen-
den Großmächte zu erwarten, wie es von Peters-
burg bereits mehrfach mehr oder minder deutlich
in Aussicht gestellt worden ist. Und da hätten die
Mächte richtig die Gefahr heraufbeschworen, die sie
durch ihr bisheriges Vorgehen vorbeugen gewollt
haben. Das nennt sich Dplomatenweisheit.
Da — es mag kommen wie es will — unter
allen Umständen Griechenland den Kürzeren ziehen
würde, ist es trotz aller griechischer Fanfaronaden
nicht unmöglich, daſs Griechenland deshalb sowohl
wie infolge der intimen Vorstellungen seitens der
verwandten Höfe nur um der erregten Stimmung
der Bevölkerung Rechnung zu tragen zunächst dem
Ultimatum der Mächte sein non possumus ent-
gegensetzt, aber alsbald einlenkt gegen das Ver-
sprechen, über kurz und lang sein Ziel doch zu er-
reichen. Nur durch Nachgiebigkeit kann Griechen-
land etwas gewinnen. Durch Starrsinn kann es
wohl die Mächte entzweien, selbst aber nur zu
Grunde gehen. Das liegt so klar auf der Hand,
daſs der Eigensinn der griechischen Machthaber
ganz und gar unbegreiflich wäre, wenn nicht die
Erregung der Volksstimmung ihnen als mildernder
Umstand zu gute gerechnet werden müsste. Gegen-
über der Gefahr eines Revolutionsausbruchs mag
es vielleicht kein anderes Mittel geben als Poltern,
Die Minoritäts-Sthulen.
Hoffentlich ist von der Vorlage der Majorität
der Schulcommission im höhmischen Landtage be-
züglich der Minoritätsschulen niemals wieder die
Rede! Die Deutschen schickten sich bereits an, die
Verhandlungen durch „todtreden“ unmöglich zu
machen, als der Landmarschall den Ausweg fand,
die Verhandlung abzubrechen und das Budget vor-
zunehmen. Selbst die Regierung gibt in einer
Note des Statthaltereipräsidiums an den Landes-
ausschuſs zu bedenken, daſs der Gesetzentwurf
Schulen errichten will, ohne dabei an die Be-
streitung des Kostenaufwandes zu denken. Ganz
richtig! Aber hätte das den Tschechen in Böhmen
jemals Sorge gemacht, woher das Geld kommt,
wenn es nur von den Deutschen aufgebracht werden
muss? Es mochte sogar ein besonders wonniges
Gefühl zu Zeiten Taoffe's gewesen sein, nicht nur
eine tschechische Schule in einer deutschen Gemeinde
zu erzwingen, sondern auch noch, diese Schule von
der deutschen Gemeinde erhalten zu sehen. In
Kohlengebieten, wo große Mengen tschechischer Ar-
beiter zuströmten, hatten die deutschen Gemeinden
die Ehre, für diese Arbeiterbevölkerung die Schulen
zu errichten und zu bezahlen und dafür von der
zugewanderten Menge auch national vergewaltigt
zu werden — ohne sonst irgendwie dafür einen
Ersatz zu finden, da die armen bedürfnislosen Ar-
beitermassen in Arbeiterhäusern schlecht und recht
untergebracht wurden, welche von den Unternehmern
errichtet wurden, und durch Consumvereine und
Einkaufsvereine ihre Bedürfnisse von außen her
bezogen. Die Arbeiter zahlen aber auch keine
Steuern und keine Gemeindebeiträge. Trotzdem
muſsten die deutschen Gemeinden dke tschechischen
Schulen erhalten, nachdem sie gegen ihren Willen
vom tschechischen Schulvereine errichtet worden waren.
Das war eine Barbarei gegenüber den Deutschen
und den deutschen Gemeinden, die aber durch die
„hohe“ Politik, durch das Bündnis zwischen den
Clerical-Feudalen und dem Tschechenthume hohn-
lachend aufrecht erhalten wurde. Als dann durch
den jahrelangen heftigen Widerstand des Deutsch-
thums die Errichtung der Minoritätsschulen einiger-
maßen erschwert wurde, als unter der vielverleum-
deten „Coalition“ die Aussichten für weitere Ver-
suche einer Vergewaltigung die deutschen Gemeinden
sich verschlechterten, da verfielen die Tschechen auf
allerlei Auswege, diese Minoritätsschulen trotzdem
zu errichten, aber dem directen Widerstande der
Karlsbad vor 100 Jahren..
[Fortsetzung.]
In unserem letzten Feuilleton nahmen wir die
Ankunft des Kurgastes zum Gegenstande unserer
Schilderung und streiften in Kürze die verschiedenen
Gebräuche und Vorschriften, wie solche vor einem
Säculum von den ankommenden Fremden berück-
sichtigt werden mussten.
Zu den letzteren gehörte natürlich vor Allem
der Besuch des Arztes. Damals waren es nur
drei, welche sich in die Proxis theilten — heutzu-
tage sind es hundert. Dieselben waren ständig in
Karlsbad und war es besonders Dr. David Becher,
welcher sich nicht nur hier, sondern weit über
Oesterreichs Gauen hinaus eines bedeutenden Rufes
als Arzt erfreute. Becher hatte denn auch die
größte und angesehenste Praxis und Schönfeld
sagt bereits, daſs „die Welt denselben für einen
wahren Gelehrten, und die Karlsbader Einwohner
für ihren Broterhalter anerkennen und man kann
mit Recht sagen, daſs die meisten Kranken ihm zu
liebe ihre Heilung da suchen. Sein Betragen gegen
Fremde ist auszeichnend gut und edel. Er sieht
nicht auf den Rang des Kranken, sondern erinnert
sich auf die Menschheit.“ Dr. Becher wohnte in
der Sprudelgasse neben der Johannisbrücke in
Nr. 215.
Seine Collegen waren Dr. Adam Gruber,
welcher auf der Alten Wiese im Hause Nr. 334
) Siehe Nr. 19 dieses Jahrganges.
(„Malteserritter“) logierte und Dr. Franz Mitter-
bacher („drei gold. Kronen“, Kirchenplatz Nr. 132).
Letzterer war der Sohn eines Apothekerprovisors
aus Karlsbad und k. Kreisphysicus, sowie Aufseher
über die hiesige Brunnenanstalten. Auch Dr. Mitter-
bacher werden von Karlsbader Chronisten viele
Verdienste nachgerühmt, wie ja auch viele Schö-
pfungen des damaligen Karlsbad ihn zum Veran-
lasser hatten. Er starb in demselben Hause im
Jahre 1796a).
Eine heute verschollene Type bildeten die
Salbeyblätter-Verkäuferinen, welche Blätter von
den Kurgästen benützt wurden um die Zähne
nach dem Brunntrinken zu reinigen. Ebenso war der
Brunnenbecherhandel sehr im Schwunge, welche
Gefäße nicht nur aus Porzellan, sondern auch aus
Gold und Silber hergestellt waren. Die Porzellan-
becher waren im Preise von 1 bis 6 fl. bei Mag-
dalena Decroin (Rothes Herz, Alte Wiese), bei
Aloys Gottl („Mercur“ Markt) und hei Franz
Voigt (Alte Wiese, grünes Paperl, wo auch be-
kanntlich Goethe logierte) erhältlich.
Gewöhnlich fanden sich die Gäste um 5 Uhr
beim Brunnen ein, woselbst sie bis 8 Uhr verblieben.
Eine Stunde später wurde im sächsischen oder
böhmischen Saalhause sodann das Frühstück einge-
nommen. Ein eigentümlicher Brauch in der Ordi-
nation bestand auch darin, daſs viele Kurgäste das
Mineralwasser mit Milch vermischt trinken muſsten,
Sein Erbe und seine Praxis trat sein Sohn Dr.
Bernard Mitterbacher an, geb. 1767. Derselbe gab im
Verein mit Dr. Damm' 1797 eine Untersuchung des
Sießhübler Sauerbrunn heraus. Mitterbachers Oheim
Johann war k. k. Rath und dirigierender Stabsfeldarzt
zu Petrinnia im Banate.
ferner durften in einer Viertelstunde nie mehr als
zwei Becher getrunken werden, deren Zahl sich im
Maximum bis 15 steigerte. Die Brunnenmusik
wurde erst 1800 eingeführt und zwar nur beim
Neubrunn eine Stunde lang, woselbst das Thürmer-
orchester hiemit betraut war. Die Entlohnung der
12 Musikanten erfolgte sofort an Ort und Stelle,
indem jeder vor der Kapelle promenierende Gast
einige Münzen in eine zu diesem Zwecke bereit-
stehende Büchse warf. Das Erträgnis muss jedoch
kein besonders großes für diese Musiker gewesen
sein, da dieselben wiederholt nicht beim Brunnen
erschienen.
Von Interesse sind auch die damaligen Brunnen-
gesetze, wie sie dem Kranken von dem Arzte vor-
geschrieben wurden. Dieselben hatten folgenden
Wortlaut: „Der Genuſs leicht verdaulicher Speisen;
Beobachtung der Diät; Vermeidung der Thee-
getränke; mäßiger Gebrauch echter Weine; Ent-
haltung des rohen Obstes; Verbot saurer Speisen
und Getränke; sehr mäßiges Abendbrot; Bestim-
mung der Schlafzeit um 9 Uhr abends; Meidung
aller fremden Arzneien; Einstellung aller gewalt-
samen Leibesbewegung und endlich Enthaltung von
aller Arznei auf eine Zeitlang nach glücklich voll-
brachter Kur, sowie das Gesetz nicht durch Hut-
abziehen, sondern nur durch Kopfnicken sich zu be-
grüßen.“ Wer das letztere Gesetz nicht einhielt,
muſste 20 kr. Strafe an die Armenanstalt be-
zahlen.
Das Leben für den Kurgast gestaltete sich im
großen Ganzen weniger eintönig als man annehmen
möchte. Die kleinere Badegesellschaft schloss sich
enger zusammen, für gemeinsame Unterhaltungen
wurde stets Sorge getragen und werden wir bei
Feuilleton.
Název souboru:
karlsbader-badeblatt-1897-03-07-n54_2340.jp2