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„Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 29
6. Feber 1897
Die Productenbörsen.
Man schreibt uns aus Berlin:
Wir glauben, daſs selbst die Agrarier, die
sonst nicht leicht einsehen, was gegen ihre vor-
gefassten Meinungen geht, inzwischen eingesehen
haben dürften, dass das Verbot des Terminhandels,
durch welches die Productenhörsen so rebellisch ge-
macht worden sind, sozusagen eine — Dummheit
war. Die Regierung braucht das nicht erst ein-
zusehen, sie hat es noch vor dem Erlass eingesehen
und gewarnt. Nur infolge einer noch heute nicht
ganz aufgeklärten Ueberrumpelung, der auch ein
großer Theil der Nationalliberalen zum Opfer fiel,
ist das Verbot zustande gekommen.
Jetzt ist die große Frage: Was thun? Die
agrarischen Heißsporne, die viel klüger wären, als
sie leider sind, wenn sie ihren Fehler schlecht und
recht gut machen wollten, rathen mit Scorpionen
zu züchtigen. Die Regierung befindet sich in einer
heikeln Lage. Nachdem sie sich zur Bestätigung
des Terminhandelsverbots hat einmal hinreißen
lassen, glaubt sie im Jateresse der Aufrechterhaltung
ihrer Aulorität auch auf ihrem Standpunkt ver-
harren zu müssen, gerade weil die Productenbörsen
offen rebellieren. Wenigstens spricht man von
Zwangsmaßregeln, die ergriffen werden sollen, und
in der That wird in den Interessentenkreisen be-
reits ernstlich erwogen, was alsdann zu thun sei.
Dass Zwangsmaßregeln auch nicht geeignet
sind, den Status quo ante herzustellen, könnten
alle, die nicht unter Agrariern aufgewachsen oder
am grünen Tische in Amtsbureaus alt und steif
geworden sind, zwar ganz von selbst einsehen. Das
werden sie aber wieder nicht thun; sie werden nach
wie vor glauben, durch Gesetze den freien Handel
und die freien Handelsherren nach ihrer Pfeife
tanzen lassen zu können. Wie wenig Aussicht auf
ein solches Ergebnis vorhanden ist, lässt sich schon
jetzt daraus erkennen, daſs die ehemäligen Probucten-
hörsen-Icteressenten ganz von selbst ihre freien Ver-
einigungen aufgeben wollen, aber nicht um an die
Productenhörsen zurückzukehren, sondern um nicht
nur ohne Börse, sondern auch ohne Zusammen-
kunft, nach wie vor Getreidegeschäfte zu machen
Durch Makler von Contor zu Contor oder auch
auf telephonischem Wege lassen sich Geschäfte eben-
so wie in einem officiellen oder nicht officiellen
Börsensaale abschließen und das kann keine Regie-
rung in der Welt verbieten, selbst nicht eine, die
die jetzigen Zusammenkünfte sollte verbieten wollen.
Wozu erst adwarten, bis wir mehr oder weniger
gewaltsam hinausgeworfen werden, sagen daher
Einige, gehen wir selber. Andere dagegen meinen,
man müsse bei dem, was man für sein gutes Recht
halte, verharren und abwarten, ob man Gewalt-
maßregeln wagt, da für gesetzliche Maßregeln keine
Grundlage vorhanden sei.
Welche von beiden Parteien auch siegt, die
Agrarier ziehen den Kürzeren, insofern sie noch
lange warten können, vielleicht' für immer sogar,
bis ihnen die Vortheile der Preisregulierung durch
die Börse zutheil werden, die sie durchaus nicht
verkennen ebensowenig wie sie den Schaden ihres
Wegfalls mit Freuden wahrnehmen. Denn wenn
selbst die jetzigen freien Vereinigungen aufgelöst
werden sollten, so dauert es doch eine ganz geraume
Weile, bis die Auflösung ausgeführt werden kann.
Die Regierung muss sich erst durch ihre Rathgeber
vergewissern, ob für die Auflösung eine gesetzliche
Begründung ausfindig zu machen ist. Alsdann
muss sie die Vereinigungen auffordern, bis zu
einem bestimmten Termine den Anforderungen des
Börsengesetzes zu genügen, widrigenfalls sie auf-
gelöst werden würden. Alsdann treten die Ver-
einigungen erst aus ihrem passiven Widerstande
heraus und gehen zum activen über, d. h. sie er-
heben Widerspruch und die Entscheidung wird dem
Oberverwaltungsgerichte überlassen. Dieses kann
anderer Meinung sein als die Regierung, d. h.
urtheilen, dass Vereinigungen von Kaufleuten, die
Geschäfte machen wollen, nicht ohne weiteres Börsen
seien. Erst wenn das Oberverwaltungsgericht im
Sinne der einschreitenden Regierung entschieden,
und zwar auch nur für Preußen, nicht für die
Bundesstaaten, entschieden hat, kann die Regierung,
wenn sie will, zur Auflösung schreiten. Ob sie
aber wollen wird, nämlich einen neuen Schlag ins
Wasser thun, ist eine andere Frage. All die Zeit
aber haben die Agrarier den Schaden von ihrem
eigenen Vorgehen zu tragen. Vielleicht petitionieren
sie noch um Wiedereinführung des börsenmäßigen
Terminhandels. Sie würden dann nur thun, was
vor dem Erlafs des Verbots ihnen vorausgesagt
worden ist.
Local-Nachrichten.
(Wohlthätigkeits-Concert) Heute nach-
mittags 4 Uhr findet im Kurhause zum Besten des
Armenfondes wieder ein Concert der Kurkapelle unter
Leitung des Musikdirectors Herrn A. Labitzly mit
folgendem Programme statt: 1. Marche de Ecri-
meurs von G. Nazy. 2. Ouverture „Coriolan“
von Beethoven. 3. Dorothy, Walzer a. d. Optte.
„Mister Menclaus“ von J. Bayer. 4. Fantasie
a. d. Op. „Geigenmacher von Cremona“ v. Hubey.
5. Eryka, Polka von Mayrhofer. 6. Zweiter Satz
a. d. Symphonie C dur von Mozart. 7. Rondò
capriccioso von Mendelssohn. 8' a) Ganz allein,
b) Leb' wohl, Melodien für Streichinstrumente von
A. Labitzly 9 Ein Immortellenkranz für Franz
Schubert von Schreiner.
(Officiersball.) Den „Starn in dieser
Ballsaison bildet unstreitig der vorgestern im Kur-
hause stattgefundene Officiersball, veranstaltet vom
Officiersvereine für Karlsbad und Umgebung-
Toilettenpracht, reizender Damenflor, schmucke Uni-
formen aller Waffengattungen, glänzende vornehme
Saaldecoration, schneidiges Olchester und fröhliches
Tanzanimo bilden die Schlagworte, mit welchen sich
das ganze Arrangement zusammenfassen läſst. Der
Besuch war nicht übermäßig stark, doch traten
immerhin, als um 9 Uhr das Tanzvergnügen seinen
Anfang nahm, über 80 Paare die Polonaise an,
welche von Herrn Bürgermeister Schäffler mit
der Frau Oberst v. Jaworski eröffnet wurde.
Unter den Besuchern der besten Kreise Karlsbads
bemerkten wir den Commandanten des hiesigen
Militärbadehauses, Herrn Oberst v. Jaworski,
mehrere Officiere benachbarter Garnisonen, zahl-
reiche Reserve-Officiere und Cadeten,“ Ver-
treter der Beamtenschaft, der Stadtvertretung, des
Schützencorps und Kriegercorps, sowie viele Gäste
aus der benachbarten Umgebung. Sehr geschmack-
voll war den Arrangeuren diesmal die Saaldeco-
ration gelungen. Reiche Draperien in den Reichs-
farben zogen sich längs der Saalwände hin, die
Ballustraden der Galerie waren in denselben Farben
drapiert und mit Fahnen flanktert, inmitten der
Fenste fronte des Saales waren, von einem Blumen-
hain umgeben, die Kaiserbüsten angebracht und aus
dem dunklen Grün blitzten vielfärbig die electrischen
Glühlichter hervor. Eine ähnliche Decoration war
auch in den Saalecken angebracht. Für die Tanz-
pause hatten die Arrangeure durch Umwandlung
eines Zimmers in einen Damensalon als geschmack-
volles Buen retiro der Damenwelt eine besondere
Aufmerksamkeit erwiesen, welche denn auch dankbar
begrüßt wurde, ebenso wie die schönen Damenspenden
den Beifall aller Tänzerinnen fanden. Das Tanz-
arrangement war dem Tanzlehrer Binturini aus
Franzensbad übertragen worden — die Ballmusik
besorgte die Kapelle des 92. Infanterie-Regiments
aus Theresienstadt und die Tanzkarte wies die
flottesten Tänze auf, kein Wunder, wenn dem Ver-
gnügen mit vollem Eifer gehuldigt wurde, umso-
mehr als der liebenswürdige Kapellmeister es durch-
aus nicht an Wiederholungen sehlen ließ. — Das
eventuelle Reinerträgnis haben die Arrangeure zu
Gunsten des Vereins vom „Rothen Kreuze“
bestimmt.
(Die Christlich-Socialen), die Schlepp-
träger der „Schwarzen Kutte,“ die Verfechter des
Rückschrittes, beginnen nun auch in Karlsbad ihr
Haupt zu erheben und dreister als sonst sich zu
geberden. Sie werden allmählig kühner und haben
bereits sich bis zur ersten müthigen That, zur Ver-
anstaltung einer christlich-socialen Versammlung auf-
man keine schöne Schrift verlangen, aber von einem
Kaufmann ...! Weiter! Weiter! fährt er die
junge Dame an, die ihm bereits ziklernd und
zagend, ihre Depesche hinreicht. „Herrn Karl
Meyer!“ Die junge Dame ist hübsch, das stimmt
ihn milde und witzig. „Mit 'nem weichen Ei ja?
Aber wo ist er denn, der Herr Karl Meyer? In
Konstantinopel? In Boxtehude.“
„Entschuldigen Sie“, stammelt sie erröthend,
„ich dachte, der Bestimmungsort würde von amts-
wegen mittelegrophiert?
„Von Amtswegen? das fehlte uns grad noch!
Wir tel graphieren nur, was man uns zahlt!
Das weiß jedes Kind! Also wohin?“
„Nach Stultgart, bitte.“
„Immer diese Scherereien! Fünfzig Pfennig!“
Sie legt ein Goldstück hin. „Bitte!“
„Ja haben Sie denn kein kleines? Wir sind
doch keine Wechselstation?“
„Ich habe leider kein anderes.“
„Aber ich soll's haben! Ich soll's aus dem
Aermel schütteln! Was an uns für Anforderungen
gestellt werden, geht schon wirklich über'n Schell'n-
könig!“
Endlich ist der Schalter leer. Aufathmend
reicht der Gestrenge die Depeschen seinem Unter-
gebenen zur weiteren Behandlung, lässt sich auf
einen Stuhl sinken, zieht eine Zeitung aus der
Tasche. „Jetzt hab' ich noch net einen Buchstaben
lesen können!“ raisonniert er empört in sich hinein,
„man sollt' wirklich glauben, man wär' blos auf
der Welt, um anderen Leuten den Narr'n zu
Kaum hat er aber zwei Worte gelesen,
machen!“
klopft es wieder am Schalterfenster. „Heut ist
der Teufel wieder los!“ Es ist die alle Frau,
die inzwischen mühsam ihre Depische zusammen
geschrieben hat. „Na, was ist's jetzt?“ Mit grim-
migem Blick mustert er die Depesche. „Das haben
Swieder pfiffig gemacht! Text, Adresse, Unter-
schrift — Alles durcheinander wie Kraut und
Rüben! Da kennt sich kein Teufel aus!“
„Der weiß schon, an den 's geht. Geben
Sie's nur fort sind S' so gut!“
„Ja sind denn Sie ganz vernagelt? Ich
muſs wissen! Wohin geht's? An wen?“
„An den Herrn Pfarrer halt. Dem seine
Mutter ist g’storben und übermorgen ist die Leich,“
und wenn er halt kommen könnt'...“
„In Ihrem Geschwätz kennt sich kein Mensch
aus! Wo ist der Pfarrer?
„In Oberzeismaring.“
„Das ist keine Telegraphenstation. Also kann
man auch net hin telegraphieren.“
„Die nächste Station wird halt Tutzing sein.“
„Warum schreiben Sie's denn nachher net
her? Meinen S', das kann man schmecken?“
„Ja, aber es gehört nach Oberzeismaring.“
Seine Geduld ist erschöpft. „I ssas, Jessas!
Verstehn jetzt Sie net Deutsch? eben S' her,
mit Ihnen ist nix anzufangen! Achtzig Pfennig!“
Er schlägt ihr das Fenster von der Nase zu. „Wie
kann man nur so dumm sein!“ wundert er sich.
„Mit solchen Leuten verträgt man seine ganze
Zet!“ Eifrig stürzt er sich wieder auf seine
Zeitung. Eine halbe Stunde vergeht in unge-
störter Ruhe. Endlich lässt sich ein leises Klopfen
vernehmen. „Keine Minute hat man Ruh! Geben
S' her!“ Er reißt dem Störenfried, einem jungen
Mädchen, die Depische aus der Hand. „Herrgott,
das Augenpulver! Könnten Sie net noch kleiner
schreiben? Da braucht man ja ein Vergrößerungs-
glas! — Und Sie wieder ...!“ wendet er sich
zum Nächsten, der ein Blatt größten Formats über-
reicht, solche „Elephantenbuchstaben! Hätten Sie's
doch gleich auf ein Stadelthor geschrieben!“
„Hoho!“ gibt ihm der Angeschnauzte prompt
im selben Ton zurück. „Ich schreib', wie ich mag,
verstanden? Sind S' fein net so patzig, Sie,
sonst komm' ich Ihnen mit der Richtung, ver-
standen? Meinen Sie, das Publicum ist für Ihnen
da? Sie sind für's Publicum da, verstanden?
Dös merken S' Ihnen?“
Verdutzt guckt der Herr Offizial ihn an, streicht
mechanisch das hingeworfene Geld ein und findet
erst wieder Worte, als sich der Andere entfernt
hat. „Jetzt soll ich patzig gewesen sein!“ murmelt
er ihm kopfschüttelnd, mit aufrichtigem Erstaunen,
nach. „Ich, der gegen Alle die Höflichkeit selber
ist!“ Der ungerechte Vorwurf hat iha in tiefster
Seele verletzt. Ein neues energisches Klopfen weckt
ihn nach einiger Zeit wieder ans seiner Bektüre.
„Na, na, ich hör' schon!“ brüllt er das dralle,
resolut dreinschauende Dienstmädchen an, das ihm
mit vergnüglichen Schmunzeln ihr Telegramm hin-
hält. „Sie meinen gewiss, ich sitz' auf den Ohren?“
„Nein, das hab' ich schon g’sehn, daſs Sie
auf was anderm sitzen,“ lacht sie uneingeschüchtert,
„aber glaubt hab ich, Sie wären am End ersoffen,
Název souboru:
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