Text na stránkách 9
Text:
Seit 9.
�Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 13
17. Jänner 1897
Zwei Brüder.
Roman von J. Dungern.
Hachdrua verboten.
E. Fortsetzung.)
Lord Sandilands hatte richtig geahnt —
Grace Lambert oder besser Getrude Keith war das
Kind, das er der Sorge von Mrs. Block über-
lassen hatte und diese Entdeckung, durch die überra-
schende Aehnlichkeit mit ihrer Mutter hervorge-
rufen, hatte ihn in dieser Nacht so außerordentlich
aufgeregt, daſs er keine Ruhe finden konnte und
den Gang seines bald abgelaufenen Lebens in sein
Gedächtnis zurückrief.
Vord Sandilands hatte seinen Titel und das
dazu gehörende Vermögen erst in späteren Jahren
rhalt. In seiner Jugend hieß er der sehr ehren-
werte John Border und war ein liebenswürdiger
und gestreicher, aber keineswegs reicher Mann.
Er hatte die Universität Oxford mit vielem Nutzen
besucht, war jedoch, nachdem er dieselbe verlassen,
ein ganz so leichtlebiger Herr geworden, wie die
meisten seiner Rang- und Gesinnungsgenossen. Er
wusste, daſs der Titel und das Vermögen des
damals noch lebenden Lords Sandilands ihm nicht
entgehen würden und wartete also auf dieses Er-
eignis, indem er sich herrlich amüsirte und in
Freuden lebte, also auch die Mode mitmachte, das
Festland zu besuchen. In Berlin lernte er einen
Franzosen Namens Etienne Gautier kennen, der
aus politischen Rücksichten aus Paris verbannt
war und seine Tochter Getrude anbetete. Das
junge Mädchen war seine unzertrennliche Beglei-
terin und so lernte sie also der ehrenwerte Sir
Border kennen und lieben. Eine Heirath war für
ihn eine Unmöglichkeit gewesen, da er schon längst
mit einer Kousine, der Tochter eines englischen
Peer, versprochen war und obenein nicht daran
denken durfte, ein Mädchen von niederer Geburt
zur Gattin zu nehmen. Was Gertrude betrifft, so
liebte sie den schönen liebenswürdigen Mann mit
allen Kräften ihrer Seele und bghte nichts
weiter Etienne Gäutier, wie heinahe alle Väter
bei solchen Gelegenheiten, war vollständig unwissend
über diesen Stand der Dinge und sollte es auch
bleiben, denn der Tod ereilte ihn nach kurzer
Krankheit und er vermochte nur noch seine Tochter
dem jungen Freunde anzuempfehlen und ihn zu
bitten, dieselbe nach L amington beingen zu lassen,
wo der Bruder ihrer Mutter — dieselbe war eine
Engländerin gewesen — in bescheidener Stellung lebte.
Es ist hier nicht nöthig, das Schicksal der
armen Gertrude weitläufig zu erzählen, denn es
war das von Tausend und Tausenden.
D's junge Mädchen kam nie nach Leamington,
denn Sir hatte ihr seine Liebe erklärt; sie ver-
mochte ihm nicht zu entsagen und ließ sich von
ihm nach England bringen, wo sie in einem kleinen
Häuschen auf dem Lande mit ihren Blumen, ihren
Vögeln und des Geliebten oftmaligen Besuchen ein
glückliches Leben führte; eines schönen Tages aber
nahm dieser selige Zustand insofern ein jähes
Erd, als Sir John einen Brief seiner Braut
ethielt, in welchem ihm diese erklärte, daſs sie nie
gegen die Verlobung Einspruch erhoben, da sie
die Liebe noch nicht gekannt und gehofft habe, daſs
das Familien- Uebereinkommen, an welchem ihre
beiderseitigen Herzen ja unbetheiligt gewesen, ihr
ein ruhiges Glück bringen werde. Nun aber habe
sie einen Mann kennen gelernt, den sie von ganzer
Seele lieb- und so hätte sie ihn auch geheirather;
es sei dies Hugo Wybrandt, en preußischer Off zier'
Ihre Eltern und Anverwandlen seien sehr löse
auf sie, aber sie könnten am Ende gegen eine vol-
lendete Thatsache nicht mehr auftreten und was
Sir John beträfe, so wäre sie fest überzeugt, daſs
dies Ereignis ihm sehr willkommen sein würde!
Sir John musste sich selbst gestehen, daſs er
ein glücklicher Bursche sei; er beantwortete den
herrlichen Brief seiner Kousine in humoristischer
Weise und sandte einen hübschen Schmuck als
Hochzeitsgeschenk.
Nun hätte er Getrude Gautier heirathen können
Aber er war zu sehr ein Mann der großen Welt.
Gertrude hatte keine Ahnung, wie es in dem Kreise
worin er sich bewegte, zuging — sie war eine
einfache, liebenswürdige und liebensdürftige Natur
und er konnte es taum wagen, sich ihre Erscheinung
in den Salons zu denken. Er sprach kein esc
dendes Wort, sondern bedachte sich noch immer,
bis Gertrudens süßer Liebestraum durch den Tod
heendet wurde.“
Wie ihre Mutter so starb auch sie, als sie
einem Mädchen das Leben gab und als Sir John
von einem kleinen Ausflug nach London zurück-
kehrte, fand er eine todte Frau und ein hilfloses
Kind.! —
Nun überfiel ihn die Reue mit all ihren trost-
losen Schmerzen und Sorgen aller Art ließen ihn
nicht zur Ruhe kommen. Die Welt staunte ihn
an und bewunderte die Treue des Mannes, welchen;
die Untreue seiner Braut so unglücklich' machte“
selbst Lady Lucie wunderte sich über die Bestän-
digkeit ihres früheren Bräuligams, während es
deren Gatten als etwas sehr Natürliches erschien.
Das Kind wurde unter Ophut einer Wärterin
und der nöthigen Dienerschaft in dem kleinen Hause
gelassen, da es ober dem Vater ein beständiger
Vorwurf war, so sah dieser es nur einige Male.
Als die kleine Gertrude acht Jahre alt war,
sandte sie ihr Vater, der indessen Lord Sandilands
geworden, zu Mrs. Block, indem er dieser wür-
digen Dame die größte Sorgfalt für sie anbefahl,
zu gleicher Zeit aber den Wunsch und Willen aus-
drückte, sie niemals zu sehen. War Sir John
skrupulös gewesen, als er das ihm auvertraute
Kind Gautiers bei sich behielt und zu seiner
Geliebten machte, so war Lord Sandilands durch
die Gunst der Verhältnisse, in welchen er sich wiegte,
noch härter und selbstsüchtiger geworden.
Nein, er wollte das Mädchen nicht sehen,
das ihm ein beständiger Vorwurf sein musste und
er glaubte sein Gewissen vollständig zu beschwich-
tigen, wenn er in großem Maßstabe für dessen
Erziehung Sorge trug.
Jetzt war nun durch die Begegnung dieses
Abends der Schleier von der Vergangenheit gerissen.
Der Anblick des Mädchens war ihm wie eine Gei-
stererscheinung gewesen, nicht allein wegen der
wahrhaft überraschenden Aehnlichkeit mit ihrer
Mutter, sondern weil sie ihm auch die eigene Jugend
wieder vor die Seele führte, in dem stolzen ruhigen
Blick der braunen Augen der Sängerin sah er wie
in einem Spiegel die Empfindungen seiner Jüng-
lingsjahre wieder.
Ja, dieses schöne und so reich begabte Mädchen
war seine Tochter; sie wäre der Stolz seines
Lebens, die Zierde seines Hauses, die Sonne seines
Alters und die Erbin seines Vermögens geworden,
wenn er statt unrecht recht gehandelt hätte.
Nun lagen zwei entfernte Gräber zwischen ihm
und denen, die er so hart geschädigt hatte, das
Grab von Etienne Gantier, der ihm vertraut hatte
und von dessen unglücklichem Kind.
„Wie wahrhaft schön sie ist,“ dachte der Vater
an jenem Frühlingsmorgen, „und wie gut ist diese
herrliche Stimme geschult worden! und daran
habe ich, eines elenden Vorurtheils willen, nicht
theilnehmen dürfen, habe diese Blume sich nicht
entwickeln sehen. Alles dieses habe ich durch meine
Worlbrüchigkeit an dem alten Manne verscherzt.“
Es waren traurige bittere Gedanken, die sein
Ge nüth bestürmten, doch dann faſste er den Ent-
schluß, Grace Lambert kennen zu lernen. Dies
konnte nicht schwer halten, da er ein bekannter
Musikliebhaber und die Zuflucht manches Künstlers
war. Lady Carabas musste ihm zu dieser Be-
kanntschaft verhelfen. Zugleich beschloss er auch,
an Mrs Block zu schreiben und ihr seine Ankunft
zu melden, bat sie aber zu gleicher Zeit seiner
Tochter nichts von seinem Besuche zu sagen; er
wollte dieselbe unerkannt beobachten und sich in der
Zwischenzeit von der Vorsteherin deren bisheriges
Leben erzählen lassen.
Lord Sandilands setzte sich an sein Pult und
schrieb einige Zeilen an Mrs. Block. Darauf legte
er sich zur Ruhe und dachte, von seinen etgenen
Erlebnissen und Erinnerungen vollständig einge-
nommen, mit keinem Gedanken an Mark Challoner
und dessen sonderbares Betragen am gestrigen
„Frei! Er war wieder frei! Dies war der
erste Gedanke, der ihn nach dem Scheiden erfasste;
frei, zu kommen und zu gehen, wohin es ihm ber
liebte, welch entzückendes Bewuſstsein! Und dennoch
hatte er bei Gertrude keinerlei Art von Bewachung
gefunden. Sobald der Glaube an ihn bei der
jungen Frau zu wanken begann und sie eingesehen
hatte, daſs der Held ihrer kindlichen Phantasie aus
ganz gewöhnlichem Thone gebildet war, begann sie
sich von ihm zurückzuziehen.
Indessen war G'rtrude zu jung und glückbe-
dürftig, als daſs dieses sich ganz ohne Thränen
und Vorwürfe ereignen konnte. Darauf antwortete
Gilbert zuerst freundlich, sodann mit rohen Miss-
handlungen und dies brachte eine ganze Revolution
in dem sonst so sanften Wesen Gertruden's hervor;
sie ertrug Alles still und ohne Widerrede, aber der
kalte verachtungsvolle Blick bei seinen Rohheiten
und der Schauder, der die zarte Gestalt erfasste,
wenn er zärtlich zu ihr sprach, bewiesen ihm zur
Genüge, was sie von ihm hielt. Sie wurde ihm
daher eine Bürde, ihr täglicher Anblick eine Last
und so kam es, daſs er in der freudigsten Weise
den Gedanken der Trennung erfasste und festhielt.
War das Vermögen, das sein Vater ihm aus-
gezahlt, als er ihn aus seinem Hause wies, doch
längst durchgebracht und er in solcher Klemme ge-
wesen, daſs er sich durch ein furchtbares Verbrechen
Geld verschafft hatte — das Geld. das sein bis-
heriger Freund Gore durch glückliche Wetten beim
Pferderennen gewonnen.
Von seinen Freunden hatte fast Niemand seine
Frau gekannt und die Wenigen, die ihn verheirathet
wuſsten, interessirten sich nicht für sein häusliches
Leben.
Gilbert Hasbürn hatte in seinem Leben
Niemand lieb; was er für Gertrude empfunden,
war eine Laune gewesen. Was ihr der Sterbende
damals im Flüstertone mitgetheilt hatte, das ahnte
er nicht, sonst würde er sich keinen Augenblick be-
dacht haben, auch sie zu vernichten. Ueberhaupt
bereitete er sich vor, seinem ganzen bisherigen Kreise
von der Rennbahn und dem Spieltische Valet zu
sagen und sich in bessere Gesellschaft zu begeben,
denn er war ehrgeizig geworden.
Für's erste beschkos er, England zu verlassen
und sich dem Fistlande zuzuwenden. Er ging also
nach Baden-Baden, wo er vornehme Engländer zu
finden gedachte, denen er sich anschließen konnte.
Das Glück begünstigte ihn über alle Erwartung;
es gelang ihm, dem dort anwesenden Lord Ticehorst,
einem sehr jungen, wenig begabten, aber unermesslich
reichen Manne, einen großen Dienst zu erweisn.
Er befreite denselben nämlich von einem Duell
mit einem französischen Abenteurer, der sich für
einen vornehmen Herrn ausgab und intim war
mit einer Schauspielerin, der Ticehorst die Cour
gemacht hatte. Das edle Pärchen hoffte ein starkes
Abfindegeld von dem jungen, unerfahrenen Lord zu
erpressen, darum drängte der Mann zu einem
Duell, vor welchem Teehorst sich fürchtete.
Hasbürn's Glücksstern wollte es, dass er gerade
zu dieser Auseinandersetzung kam, den Franzosen
als einen ehemaligea Billardma queur erkannte und
als solchen blosstete.
atüdurfte und konnte sich der Lord mit
einem solchen Burschen, den die Polizei am anderen
Tage auch entferute, nicht schlagen und in seiner
Herzendankvarkeit beschloss er, seinen alten Begleiter,
der ein altmodischer Mensch und Hasbürn schon
lange ein Dorn im Auge war, zu entlassen und
letzteren an dessen Stelle auf Reisen mitzunehmen.
Gilbert Hasbürn fand sich sehr gut und schnell,
seinen Zögling in gute Gesellschaft zu bringen und
demselben auch dort eine Stellung zu bereiten.
So kam es, daſs nach kaum einem Jahre der
junge Lord, den die Meisten — und nicht mit
Unrecht — für einen Einfaltspinsel hielten, durch
den Firnis, mit welchem Hasbürn ihn übertüncht
hatte, blendend, für einen ganz bedeutenden Menschen
erklärt wurde, den man bisher sehr verkannt habe.
Zu den Verwandten des jungen Lords, die
über diese Veränderung entzückt waren, gehörte
auch Lady Carabas und da sie zu klug war, um
nicht die Verdienste zu erkennen, die sich Hasbürn
dabei erworben, sowidzen sie demselben ihre volle
Dankbarkeit und posaunte sein Lob aller Orten aus.
(Fortsetzung folgt.)
Abend.
Hasbürn“s Erfolge.
Wir fanden Gilbert Hasbürn in Carabas.
House und wollen erzählen, wie sein Leben sich ge-
staltete, nachdem er sich von seinem Weibe in dem
englischen Seebade getrennt hatte.
9. Kapitel.
Název souboru:
karlsbader-badeblatt-1897-01-17-n13_0595.jp2