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Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 13
17. Jänner 1897
und gar ergründet. Er ist ein enragirter Fran-
zosenfreund, Günstling der Kaiserin-Mutter, hasst
die Deutschen, ist folglich ein russischer Reichskanzler
ganz nach dem Herzen der französischen Revauche-
politiker, also
Wir wollen nicht die Möglichkeit in Abrede
stellen, daſs Graf Murawiew das sein könnte, was
die Franzosen ihn zu sein wünschen und angeblich
glauben. Aber die Grundlage für die Charakter-
schilderung des Grafen und die daraus hergeleiteten
Schlüsse sind nicht ganz solide. Wie wenig die
Blätter, die den neuen Mann schon so durch und
durch kennen wollen, in Wirklichkeit von ihm wissen,
geht daraus hervor, daſs ein Berliner Blatt ihn
Anfangs der Vierziger sein lässt, während er bereits
seit zwei Jahren die Fünfzig überschritten hat, daſs
ihm bei seinem Abschiede von seinem Berliner
Posten sogar die übliche Decoration versagt wurde,
während er thatsächlich in Berlin in den Gesellschafts-
kreisen, in denen er verkehrte, beliebt war und bei
seinem Abschiede einen für seinen damaligen Rang
ungewöhnlich hohen Orden erhalten hat: den Stern
zum rothen Adlerorden zweiter Classe. Wir möchten
aus den Thatsachen und zuverlässigen Mittheilungen
über den Grafen Murawiew vorläufig nur schließen,
daſs er ein gewandter Mann ist, der sich in Verlin,
wie in Paris und Kopenhagen, bei der Kaiserin-
Mutter wie bei dem regierenden Kaiserpaar beliebt
zu machen verstanden hat. Daſs er dabei vielleicht
eine größere Vorliebe für Franzosen als für Deutsche
habe, Paris mehr als Berlin lieben mag, kann
schon sein. Wir möchten aber daraus um so
weniger Schlüsse auf sein künftiges politisches Ver-
halten ziehen, als wir selbst Deutsche kennen, denen
das Pariser Leben mehr zusagt als das Berliner.
Wenn schon nach dem bekannten urdeutschen Sänger
der Deutsche selbst, der den Franzmann nicht mag,
für sich das Recht in Anspruch nimmt, doch seine
Weine gern zu trinken, warum sollte ein russischer
Diplomat nicht das Pariser Leben lieben, in eine
Pariser Schauspielerin sich sogar verlieben dürfen
und dabei trotzdem Staatsmann bleiben, der russische
Interessen zu vertreten weiß.
Man hat sich zu voreiligen Schlüssen vielleicht
deshalb verleiten lassen, weil der vergleichsweise
unbedeutende Name des Grafen so wenig in Ein-
klang steht mit der Bedeutung des Postens eines
russischen Reichskanzlers, mit dem Ruf seiner un-
mittelbaren Vorgänger: der Schischkin, Lobanow,
Giers, und Gortschakow. Und da man weiß, dass
der Mann mit dem vergleichsweise unbedeutenden
politischen Renommé Günstling der deutschfeindlichen
Kaiserin-Mutter, Günstling des Kopenhagener Hofes
und der Pariser Presse ist, so meint man, er sei
nur durch eine zu bestimmter, franzosenfreundlicher
oder sagen wir gleich grad heraus, zu kriegerischen
Zwecken eingeleitete Intrigue auf den hohen Posten
geschoben worden.
Wenn dem so wäre, dann meinen wir, hätten
diesen Mann in erster Reihe Frankreich und Russ-
land, nicht aber Deutschland zu fürchten. Wenn
es einmal zum Entscheidungskampfe kommen soll,
was kann für uns günster sein, als ein unfähiger
Mann an der wichtigsten Stelle im feindlichen Lager,
ein Mann, der nur durch Unterröcke zu einer für
ihn gar nicht passenden Stellung gelangt ist, ein
Mann à la Ollivier, Gramont? Aber es liegt
absolut kein Grund vor, den Mann so zu unter-
schätzen. Wenn man ihn aber, weil man ihn in
weiteren Kreisen noch so wenig kennt, durchaus
unterschätzen will, dann denke man lieber, er sei
zum Reichskanzler vom Zaren gemacht worden,
weil dieser sein eigener Kanzler sein will. Zar
Nicolaus aber ist Friedliebend und wird, gleichviel
ob er sein eigener Kanzler ist oder einen Kanzler
hat, seiner friedenspolitik Geltung zu verschaffen
wissen. Ruſsland braucht den Frieden und will
ihn, weil es im Frieden und im Bunde mit dem
kriegslüsternen, nicht aber mit dem kriegführenden
Frankreich die brillantesten politischen Geschäfte
macht. Selbst wenn Graf Murawiew noch so gern
französischen Champagner trinkt und an französischen
Romanen sich erfreut, er wird immer Russe genug
sein, das einzusehen und danach zu handeln.
Local-Nachrichten.
(Der k. k. Bezirksschulrath Karlsbad)
hält am Dienstag den 19. d. M. eine Sitzung ab.
(Nachmittags-Concert der Kur-
kapelle.) Wir machen hiemit nochmals auf das
heutige Nachmittags-Concert der Kurkapelle zu
Gunsten des Armenfondes aufmerksam.
(Officiers-Verein für Karlsbad
und Umgebung.) Die ordentliche Hauptver-
sammlung findet am 18. d. M. im Hotel „Rhei-
nischer Hof“ statt. Beginnn 8 Uhr.
(Die Gesellschaft „Namenlog“,)
welche durch Veranstaltung der Maskenfeste „Lumpen-
Abend“, „Gigerl-Abend“, „Fastnachtsscherz im
Münchener Hofbräuhause“ und „Eine Nacht in
den Abruzzen“ bei ihren Freunden und Bekannten
noch in gutem Andenken steht, beabsichtigt am 21.
Februar l. J. in ihrem Gesellschafts-Locale wieder
ein Maskenfest zu veranstalten und zwar unter
dem vielversprechenden Titel „Reclame Abend“.
(Das Tanzkränzchen) des Kaufmän-
nischen Vereines, welches am 30. Jänner in den
Kurhauslocalitäten stattfindet, wird sich den bisher
getroffenen Vorbereitungen nach zu schließen, zu
einer Elite-Unterhaltung des heurigen Faschings ge-
stalten. Mit der Versendung der Einladungen wird
demnächst begonnen und werden Reclamationen in
der Niederlage von August Klein, Alte Wiese, „Eiche“,
sowie bei Herrn Gustav Epstein, Kaiserstraße, „Gold.
Löwe“ entgegengenommen.
(Der Ball des hiesigen k. k. priv. Schützen-
corps findet am 27. Feber im Kurhause statt.
(Officiers-Ball.) Wie wir erfahren,
sind die Damenspenden durch die hiesige Firma
Brüder Marsoner in Wien bestellt worden und
lassen an Originalität und Ausführung nichts zu
wünschen übrig. Die Einladungen haben eine kleine
Verzögerung erlitten, doch dürften dieselben anfangs
nächster Woche ausgeschickt werden. Reclamationen
sind an Herrn Carl Richter, Beamten der Escompte-
Bank zu richten.
(Die hiesige Bau-Krankencassa)
hat im heurigen Jahre sehr unter der Ungunst der
wesentlich verminderten Bauthätigkeit zu leiden.
Die Anmeldungen laufen sehr spärlich ein, denn
die Bauherren sind mit der Aufnahme der Bau-
arbeiter sehr sparsam. Hingegen verbleiben der
Cassa trotz Abmeldungen die Mitglieder, da die
meisten Abgemeldeten als Nichtversicherungspflichtige
ihre Beiträge weiter entrichten und insolgedessen
der Cassa auch wiederum einen ungemein hohen
Krankenstand erübrigt. Zu den durch letzteren Um-
stand bedingten Auslagen stehen die Einnahmen in
keinem Verhältnisse, umsomehr, als im heurigen
Winter an 1200 fl. mehr Krankengeld ausbezählt
wurde als im letzten Jahre. Die Cassaverwaltung,
bekanntlich der Vorstand der Bezirkskrankencassa,
macht natürlich die größten Anstrengungen, um die
Misére zu umschiffen, doch scheint es diesmal ohne
eine kleine Darlehensaufnahme nicht abzugehen.
Hoffentlich verbessern sich im Laufe der nächsten
Monate die miſslichen Verhältnisse beim Bauge-
werbe, damit die Cassa wieder lebensfähiger werde.
Ein vielfach beklagter Uebelstand ist leider das Si-
mnlantenunwesen, das speciell in diesem Gewerbe
fast unausrottbar um sich greift und das Gedeihen
der Cassa schwer schädigt. Sofern es den rechtlich
denkenden Mitgliedern dieser Cassa nicht gelingt,
durch persönliche Ueberwachung dieses Krankheits-
simulieren hintanzuhalten, ist auch nicht daran zu
denken, das Institut auf einen grünen Zweig zu
bringen.
(Im Theater-Bariété) findet heute
6 Uhr abends die zweite und letzte Demonstra-
tion des Physikers Albus statt.
(Lehrer-Personalnachricht. ) Wie wir
erfahren, wurde die seitens des Bezirksschulrathes
erfolgte Präsentation des Herrn Wenzel Soch-
schmidt, Lehrers in Fischern, zum Oberlehrer
an der neuerrichteten Volksschule in Altrohlau vom
Landesschulrathe nicht bestätigt. Diese Nicht-
bestätigung erfolgte lediglich im Hinblicke auf eine
frühere Verordnung des Unterrichtsministeriums (Er-
lass vom 28. März 1872), nach welchem bei neuen
Systemisierungen von Oberlehrerstellen der Con-
curs nicht auszuschreiben ist. Dieser damals beim
Jnslebentreten des neuen Reichsvolksschulgesetzes
erschienene Erlass muſs heutzutage gewiss als ver-
altet bezeichnet werden, da durch einen solchen Vor-
warum sollte er auch nicht toll sein? Leben wir
ja doch in einem närrischen Zeitalter, das nicht
recht weiß, huldigt es dem Fortschritt oder der
Reaction, soll es das geflügelte Rad oder die Narren-
kappe als Symbol im Schilde führen! Zum Ver-
kehr der innern Stadt wird eine modernste Omnibus-
Tramway errichtet — in der oberen Stadt rasen hin-
gegen die Hundewagen über die Straße und in Schiff-
häuseln müssen sich die Leute photographieren
lassen, damit sie dem Brückenmautner kenntlich sind.
Am Bahnhofe verstummte als Errungenschaft das
ohrenbetäubende Läuten und der Portier himmelt
mit der Handglocke die Passagiere aus den Warte-
sälen heraus — in Drahowitz engagiert man im
Zeitalter des Dampfes txtra einen Polizeimann
zum „Austrommeln“ der Neuigkeiten. Für die
neue hiesige Volksschule schafft man aus hygienischen
Principien Hunderte von Turnschuhen an zur Ver-
theilung an die arme Jugend — in Schiffhäuseln
werden als Pendant die Schulkinder beim Gang
zur Schule mit dem Brückenmautkreuzer besteuert.
Und so in Grazie weiter.
Er treibt eben närrische Blüten, so ein Fasching
und eine närrische Faschingsblüte ist es wohl nur
auch, daſs unser neugebackene Handelskammerrath
Herr Schlossermeister Walter den Erisapfel bildet
zwischen Liberalen und Antisemiten! Hier wird die
Weisheit selbst eines Ben Akiba zu Schanden, denn
das ist noch nicht dagewesen, daſs Herr Walter
auf einmal zur heißumstrittenen Festung und links
und rechts regelrecht belagert wird. An jedem
seiner Rockschöße hängt eine Partei; links natürlich
die Liberale, rechts die Deutsch=Volkliche. Man
möchte es kaum glauben, aber es steht schwarz auf
weiß: die antisemitische Reichenberger „Deutsche
Volkszeitung“ führt den neuen Rathsherren als
einen der Ihrigen an! Diesem selbst mag es da
etwas schwül werden, denn es ist doch eine ver-
teufelte Geschichte ein Rathsherr zu sein und nicht
zu wissen wie man sich rathen soll. Mir fällt da
unwillkürlich der bekannte Refrain aus dem „Brief-
christel-Duett“ des „Vogelhändler“ ein, der da lautet:
„Schau mir doch ins Gesicht,
Bin ich's oder bin ich's nicht!“
Da wird nun dem Herrn Handelskammerrathe
freilich nichts anders übrig bleiben, als aus seiner
Rockhaut herauszufahren, sein politisches Gewissen
recht eindringlich zu erforschen und dann mit einem
Confiteor vor seine gläubigen Wähler hinzutreten.
Es wird ihm dies nicht schwer fallen, denn Anti-
semit ist er ja doch nicht und ruhig kann er in den
oben citierten Refrain mit einfallen und singen:
„Schaut mir immer nur ins Gesicht
Ob ichs bin weiß ich selbst doch nicht!“
Ja ein närrischer Kauz, dieser Schellenprinz,
doch lassen wir ihm die harmlose Freude und freuen
wir uns mit ihm, denn es muss auch solche Käuze
geben. —
Zufalls Richterspruch.
Novelle von 5. Waldemar.
Wachdruck verboten.]
Die Wintersonne leuchtete in ein kleines, aber
außerordentlich sauberes Mädchenstübchen. Weiße
Gardinen hinderten ihr wohl den Eingang, aber
sie erspähte doch das Mädchen, das fleißig arbeitete,
Stich an Stich fügte, während die kostbare Seide
unter ihren Fingern raschelte.
Stich an Stich reihte sich und jeder einzelne
könnte erzählen von der Sehnsucht, die sie gepackt
seit Wochen und Monaten, seit sie zum ersten Male
hinter den Kulissen auf dem Welttheater hervor-
getreten ist, und einen Blick gethan hat in das
schimmernde, glänzende Treiben, in die Aimosphäre
von Champagnerdunst, Blüthenduft und jenem
Raffinement, das man erfunden, um die abgestumpften
Geister, aufs Neue zu beleben.
Ein Blick, ein einziger war es nur, aber er
genügte, um sie, die bisher mit ihrem bescheidenen
Lose als gesuchte Modistin zufrieden gewesen, mit
einem Male begehrend die Hände ausstrecken zu
lassen nach den goldenen Früchten, die für sie bisher
unerreichbar blieben.
Die unermüdlichen geschickten Finger hasteten
weiter. Die sonst blassen Wangen des lieblichen
Gesichts rötheten sich, und die dunklen Augen, aus
denen sonst eine Fülle von Leid brach, leuchteten
in der Erinnerung auf.
Název souboru:
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