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Politische Briefe. Berlin, 2. Mai 1883. Die jüngste große Kulturkampfdebatte hat nicht ge- bracht, was erwartet worden war, und was sie brachte, hat nirgends, auch da nicht, wo man zufrieden zu sein be- hauptet, befriedigt. Daß die Debatte keine Ministerkrise, von der vielfach gesprochen wurde, bringen würde, war im Allgemeinen vorauszusehen, ebenso daß der Antrag Windt- horft's, was dem Centrumsführer selbst wohl am wenigsten zweifelhaft war, nicht angenommen werden würde. Aber selbst nicht einmal eine Klarung der Situation hat der mit so großer Spannung erwartete Tag gebracht. Denn daß die Verhandlungen zwischen „Sonveran und Sonverän“ fortgesetzt wurden, war ja hinlänglich bekannt. Ebenso brauchte Herr Kultusminister v. Goßler nicht erst mit be- sonderem Nachdruck zu betonen, daß die jüngste dem Kaiser zur Unterzeichnung vorliegende Note des Reichskanzlers nach Möglichkeit versöhnlich laute. Jeder der wissen will, weiß, daß der kirchliche Frieden in Preußen einzig und allein von dem Willen der Kurie abhängt. Der Papst kann zu jeder Zeit erhalten, was des Papstes ist, sobald er nur gewähren will, was des Kaisers ist. Herr Windthorft ist angeblich mit dem Verlauf der Debatte sehr zufrieden, und zwar, weil auf allen Seiten anerkannt worden sei, daß man den Kulturkampf gern los wäre. Eines solchen Beweises aber bedurfte Niemand, am allerwenigsten Herr Windthorst. Ja, wer weiß, ob nicht die Zähigkeit des Centrums und der Kurie zum großen Theile gerade dem Umstande zuzuschreiben ist, daß die Deutschen nur mit Widerwillen „kulturkämpfen.“ Der Protestantismus ist, wenn es auch immer etliche streitbare Pastoren gegeben hat, gibt und geben wird, keine ecclesia militars.Der Deutsche ist auch, schon weil er in religiösen Sachen im Allgemeinen zu indifferent ist, tolerant gegen Andersgläubige. Der Antisemitismus, an den Jeder hier denken wird, ist nur eine ganz absonderliche Erscheinung gewesen. Er war das Erzeugniß einiger überaus un- verfrorener Schreier, vieler catilinarischer Existenzen, die von politischen Faiseurs benutzt und bezahlt worden sind. Als Letztere nichts mehr zu geben brauchten und daher nichts mehr gaben, und die Ersteren keine Mittel mehr für die Reklame hatten, verschwand der Antisemitismus von der öffentlichen Bühne und die Mehrzahl der Führer, die sich eigentlich recht leichtsinnig an das Licht der Oeffent- lichkeit gewagt hatten, verschwanden in die — Gefängnisse; sie waren nämlich nicht einmal „dunkle Ehrenmänner.“ — Wenn der Kulturkampf in Preußen aufgenommen worden ist, so ist die Ursache nicht Intoleranz, nicht Liebe zum Kampf, sondern die Unhaltbarkeit des Zustandes gewesen. Wenn das Volk länger im Kampfe aushielt, so ist der Grund die Kenntniß der Geschichte beim Volke, welches gar wohl weiß, wie doppelzüngig die römische Politik immer gewesen, wie sie nur entschiedenem Willen sich beuge. Und wenn Fürst Bismarck trotzdem die Unterhandlungen mit der Kurie von selbst wieder begonnen so geschah es, weil auch er das allgemeine Bewußtsein theilte, daß man im Eifer des Kampfes vielfach zu weit gegangen, und weil er, der große Diplomat, selbst der Kurie „über“ zu sein glaubte. Hier aber hat sich Fürst Bismarck denn doch geirrt; wie sehr, das wird erst die Zukunft lehren. Auch die Konservativen behaupteten, mit dem Ergebniß der Debatte zufrieden zu sein. Hatten sie ja ihren Antrag durchgesetzt, welcher der Regierung eine „organische Revi- sion“ der Maigesetze empfiehlt. Aber mit der Zufrieden- heit der Konservativen kann es nicht weit hergewesen sein, denn sonst hätten sie nicht so oft und mit solchem Nachdruck davon gesprochen. Zwar, daß sie Herrn v. Goßler mit ihrem Antrage einen Streich gespielt, würde sie weiter nicht beunruhigt haben Herr v. Goßler, der für die Freiheit der Wissenschaft eintritt, der die Vivisektion nicht verbieten, nicht wenigstens einschränken will, paßt ihnen längst nicht mehr. Aber Fürst Bismarck. Das war doch ein schlimmes Zei- chen, daß der Bruder des Fürsten, vor der Abstimmung über den konservativen Antrag davongegangen war. Noch schlimmer erschien den Konſervativen ihre Taktik, als sie sahen, daß der Sohn des Fürsten gegen ihren Antrag stimmte und als nach der Abstimmung die freikonservative Fraktion einen Hospitanten ausschloß — es ist dies ein seltener Fall hierzulande — blos weil er für den Antrag Windthorst gestimmtt. Schwül wurde den konservativen Freunden Windthorst's, als sich das Gerücht verbreitete, Fürst Bismarck habe sich geäußert, daß ihm die Annahme des Antrags Richter auf Verweisung des Antrags Windt- horst an eine Kommission oder Uebergang zur Tagesord- nung, als der allein korrekte Beschluß des Abgeordneten- hauses erschienen wäre. Man begreife, was das heißt, Fürst Bismarck einen Schritt Eugen Richter's (!) billigen. Obwohl man allgemein dieses Gerucht für völlig zuverlässig hielt, heuchelte man im konservativen Quartier noch immer Zufriedenheit, und die Ueberzeugung, daß man der Regie- rung durch die Protektion Win dthorst's einen Dienst er- wiesen. Hatte man ja noch keinen direkten schriftlichen Verweis erhalten! Aber jetzt ist auch der da. Die „Nord. Allg. Ztg.“ brachte an der Spitze ihrer letzten Abend- nummer einen kurzen Artikel, in welchem sie die Befürch- tung ausdrückt, Herr v. Schlözer werde gegenüber den durch das Verhalten der Konservativen gesteigerten Erwar- tungen des Vatikans eine sehr viel schwerere Stellung ha- ben, als vor der Berathung; ja die „Nordd.“ macht die konfervativ-kleritale Majorität schon jetzt für einen etwaigen Mißerfolg verantwortlich. Die Liberalen, soweit sie nicht Steckenpferdreiter à la Stern (Abg. für Frankfurt a. M.) sind, der den Papst, das mächtige Haupt der katholischen Christenheit, nicht schlechter behandeln will als den — Rabbiner, sind mit dem Siege der klerikal-konservativen „Friedensfreunde“ aus Friedensliebe unzufrieden. Sie versprachen sich früher wenig von der Friedensgeneigtheit Roms, sie erwarten jetzt so gut wie nichts. Kaum sind die Gerüchte von einer Krise im Staats- ministerium verstummt, so heißt es schon wieder, die Stel- lung des Staatssekretärs im Auswärtigen Amte, des Gra- fen Hatzfeld und des Eisenbahnministers Maybach sei er- schüttert. Die des Ersteren soll durch das Scheitern der Verhandlungen wegen eines Handelsvertrages mit Spanien, das hier allerdings sehr unangenehm berührt hat, die des Letzteren wegen der die Berliner Börse wieder in Aufregung versetzenden Eisenbahnverstaatlichungsgerüchte bedroht sein. Thatsache ist indessen nur, daß die Verhandlungen über den neuen Handelsvertrag mit Spanien dem Staatssekretär im Reichsschatzamt, Herrn Burchard, angeblich wegen Ueber- bürdung des Grafen Hatzfeld, übertragen worden sind. Es ist in der That kaum anzunehmen, daß Fürst Bis- marck, wie unangenehm ihm auch das Scheitern dieser Verhandlungen sein mag, sich deswegen von dem Grafen Hatzfeld trennen wird, der als einer der befähigsten Diplo- maten der Bismarck'schen Schule gilt, und den in seine jetzige Stellung zu bringen, Fürst Bismarck Jahre lang gegen eine mächtige Hofclique zu arbeiten hatte. Was Herrn Maybach betrifft, so wird offiziös ebenfalls in Ab- rede gestellt, daß er an seine Demission denke. Herr May- bach hat nur zu viel gearbeitet — was in Anbetracht der großen Umwälzung, die in seinem Ressort in Folge der Verstaatlichung so vieler Eisenbahnen sich vollzogen hat, schon glaublich genug ist — hat dabei seine Gesundheit untergraben und muß nun zur Wiederherstellung derselben einen längeren Urlaub erhalten. Local und Bädernachrichten. (Erstes Symphonie-Konzert.) Heute Nach- mittag findet im Posthofe das erste diesjährige Symphonie- Konzert der Kurkapelle statt, auf dessen Programm dieselbe die Beethoven'sche Bedur-Symphonie Nr. 4stz (Kraftturner Bohlig.) Der bekannte deutsch- amerikanische Kraftturner, Herr Ernst Bohlig, wird Samstag Abend im Saale des Kurhauses sich produziren. Seine Kraftübungen sollen die stannenswerthesten sein und schreibt z. B. die „Neue Freie Presse“ gelegentlich einer um vorigen Oktober in Wien veranstalteten Produktion über ihn: „Gegenwärtig beherbergt Wien einen Turner aus New- Hork, Namens Ernst Bohlig, der wohl die höchste Potenz der materiellen Menschenkraft vorstellt. Derselbe führte sich zunächst durch zwei Privatissima ein, die er den renommir- teren Kraftmenschen Wiens in der Hartl'schen Fechtschule gab und bei denen er das größte Erstannen dieser kritischen Versammlung erregte. Ein Gewicht von 155 englischen Pfund, das die Stärksten der Starken mit Einer Hand nur mühsam vom Boden zu heben vermochten, „stemmte“ er, stehend oder mit dem Kopfe und den Fußenden auf zwei Stühlen liegend, wiederholt mit der Rechten, während seine Linke gleichzeitig mit 75 englischen Pfund dasselbe that. Was dabei besonders imponirte, war die vollkommene Ruhe, die er bis zum Schlusse der Vorstellung bewahrte, nachdem er eine volle Stunde lang Kraftproben der an- strengendsten Art gegeben hatte. Herr Bohlig erklärt aus- drücklich, daß er kein professionsmäßiger „Athlet“ sei und keine gymnastischen Kunststücke mache, sondern nur als Turner auftrete, um an sich selbst den Beweis zu liefern, wie weit man es auf dem Wege der rationellen Kraft- entwickelung bringen könne. Herr Bohlig war ursprünglich Apotheker; er ist 35 Jahre alt und turnt erst drei Jahre, was in Anbetracht der Entwickelung seiner Armmuskeln und seines Brustkastens fast unglaublich erscheint. (Im Stadt-Theater) ging gestern vor nahezu ausverkauftem Hause die Operette „Glocken von Corneville“ über die Bretter, welche auch in diesem Jahre einer freund- lichen Aufnahme sich wieder erfreute. Wenn wir die ein- zelnen Leistungen der Darsteller kurz besprechen wollen, müssen wir dem Frl. Zimmermann die Palme reichen, sie bot eine „Germaine“ wie wir sie besser hier noch nicht gehört und gesehen haben; die Dame ist eben so glücklich, eine frische sympathische Stimme und eine angenehme Er- ihre Gedenktage feierlich zu begehen, um sich von einer freundlichen Mitwelt den Lorbeer auf das Haupt drücken zu lassen, kann nichts Anstössiges darin gefunden werden, wenn ein wirklich Bedeu- tender einen Abschnitt seiner Wirksamkeit benützt, um die Bilanz seiner Beliebtheit zu ziehen. Bei Lewinsky speziell kommt noch das entschuldigende Moment hinzu — wenn es da überhaupt einer Entschuldigung bedarf — daß er seine Jubelfeier nicht anregte, ja, daß er sie hintertreiben wollte und sich nur dem Andrängen seiner Collegen fügte. Nun das Fest Thatsache, mag er sich heute auf einen bewegten Tag gefaßt machen, denn wenn irgend ein Schauspieler, so hat gerade er sich ein Anrecht er- worben, als ein glänzender Vertreter ehrlicher geistiger Arbeit zu gelten. Am 20. September 1855 wurde Lewinsky in Wien geboren. Von den 48 Jahren, die er zählt, hat er etwa dreißig bei der Bühne, ein Vierteljahrhundert beim Burgtheater, zugebracht. Seine hohe Bedeutung für unser Kunst- leben hier darzustellen, kann nicht meine Absicht sein. Er hat gezeigt, was ein eiserner Wille, ein starker Intellekt gegen angeborene Mängel vermögen. Er hat Schule gemacht; eine Reihe der besten Sprecher unter der jüngsten Schauspieler-Generation entwickelte sich unter seinem mehr oder minder un- mittelbaren Einfluße. Freilich, es sind gar traurige Figuren, die „falschen Lewinsky's“, die ihr Vorbild zu erreichen glauben, wenn sie bemüht sind, papa- geienhaft des Meisters grabesdüsteres Organ zu imitiren! Aber wer wirklich lernen will, der kann es beim Lewinsky. Es gibt größere Schauspieler, aber es gibt keinen — und deshalb ist er zum Führer so sehr geeignet — der mehr als er bemüht wäre, in das innerste Wesen der dichterischen Schöpfung einzudringen, sich zum gewissenhaften Dolmetsch des Poeten zu machen. Er weiß, was er der Literatur schuldet und sucht sich ihr dankbar zu erweisen, indem er zur Popularisirung namhafter literarischer Erscheinungen das Seinige beiträgt. In den Vorlesungen, die er alljährlich veranstaltet — sie sind zu sehnsüchtig erwarteten Leckerbissen für alle Feinschmecker geworden — interpretirt er mit Vorliebe Autoren, die beim Publikum noch nicht die gebührende Würdigung gefunden haben. Er ist immer auf der Suche nach dem Besten in der neuen Literatur, ein Zug, den man um so höher schätzen muß, wenn man bedenkt, wie das Gros selbst der guten Schauspieler sich erhaben dünkt, über Diejenigen, denen es seine Aufgabe ver- da.Lewinsky's von Hause aus ungenügende Mittel und seine zündende Wirkung als Sprecher bilden einen grellen Gegensatz zu einander, dessen Erklärung in dem Motto liegen mag, das er seiner Selbstbiographie vorsetzte: „Wo man sich einmal hingestellt im Leben, Da muß man durch, und geht's durch Noth und Tod.“ Georg Brandes, der geniale dänische Literar- historiker und Kritiker, der durch sein rastloses Stu- dium des Deutschen zwei Sprachen mit gleicher Vollendung beherrschen gelernt hat, schrieb nachdem er Lewinsky als Franz Moor gesehen: „Man ver- steht jetzt leicht, woran es lag, daß gerade diese Rolle wie geschaffen für Lewinsky war. Kampf wider die natürlichen Hindernisse war sein Leben. Das Triumphiren des Verstandes, des Geistes über alle Mängel des Körpers war es, was er selbst er- strebte, und so hatte er jenen persönlichen Berüh- rungspunkt mit der Rolle, ohne den ein Schauspieler niemals eine tragische Gestalt zu verkörpern vermag. Es war Fleisch von seinem Fleisch, Blut von seinem Blut in dem Franz Moor, den er ſpielte.“ Und über Lewinsky's Richard den Dritten: „Wenn Shakespeare selbst nicht ehrgeizig gewesen“ wäre, hätte er Richard III.“ nicht schreiben können. Sein Ehrgeiz hatte sicher ein anderes Ziel als Herrlichkeit und Macht, aber weil er ein Dichter war, vermochte er, sein individuelles Gefühl in ein anderes Allgemeines um- zusetzen. So setzt auch Lewinsky seinen Kampf wider alle Hindernisse des Lebens in Richard's alle Schran- ken durchbrechenden Ehrgeiz um. Daher die täuschende Wahrheit seines Spiels.“ ... Diese in pſycholo- gischer Vertiefung vielleicht etwas zu weit gehenden Bemerkungen charakterisiren Lewinsky's Wesen so erschöpfend, daß, indem man sie citirt, man das Wichtigste zur Kennzeichnung des Künstlers vorge- bracht hat, der heute Mühe haben wird, den über ihn hereinbrechenden Ehrenbezeugungen Stand zu halten. Ferd. Groß.
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