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„Ascher Tagesbote“
Freitag, 15. Dezember 1933.
zu legen. Die Beduinen verstanden es, in jedem
Falle so rasch zu verschwinden, daß selbst die
Suche mit Polizeiflugzeuger erfolglos blieb. Vor
kurzem gelang es einem Polizeiflugzeug endlich,
in der Rähe der Sinai-Halbinsel die Bande zu
erspähen. Kaum war aber der Pilot tiefer nieder-
gegangen, als die Beduinen ein wütendes Ma-
schinengewehrfeuer eröffneten und das Polizei-
flugzeug zur Notlandung zwangen. Sie selbst
konnten entkommen und der Flieger sah zu seinem
Erstaunen, daß die Räuber über ein Wüsten-
automobil von völlig moderner Konstruktion ver-
fügten. Und noch eine Beobachtung konnten die
Infassen des Flugzeuges machen. Die schießenden
Beduinen wurden von einer Frau befehligt, die
während des Feuergefechtes kaltblütig ihre Be-
fehle gab und sogar jede Deckung verschmähte.
Durch die Meldung der Polizeiflieger wird
ein Gerücht bestätigt, das seit dem Auftauchen der
geheimnisvollen Bande im Umlauf ist und unter
allen Araberstämmen der Amgegend die Runde
macht. Es besagt, daß ein ganzer Beduinen-
stamm unter der Führung eines jungen Mäd-
chens namens Mirjam steht, der einzigen Tochter
des kürzlich verstorbenen Stammesoberhauptes.
Die Männer des Stammes gehorchen wider-
spruchslos ihren Befehlen und daß sie hierzu allen
Grund haben, beweist die Schnelligkeit und Rück-
sichtslosigkeit, mit der sie die Raubzüge ihrer
Bande organisiert.
Eine Achtzigjährige
verprügelt einen Einbrecher.
Drei Stöcke zerschlagen. — Der Spitzbube flüchtet
entsetzt.
Bonn, 15. Dezember. Einbrecher, die die ver-
werfliche Absicht haben, alten Damen die letzten
Ersparnisse zu rauben und die Wohnung auszu-
plündern, werden gut tun, das Vorgebirge zu
meiden. Denn hier wohnen Frauen, die auch
in hochbetagtem Alter noch schlagfertig sind und
mit denen nicht zu spassen ist. Wie der 80jährige
Frau Schäfer in Maldorf einen Spitzbuben ver-
prügelte, einen zweiten verscheuchte und als Sie-
gerin am Tatort zurückblieb, das ist heute das
Tagesgespräch um Bonn herum.
Die Spitzbuben, die den Tip ausgemacht hat-
ten, Frau Schäfer zu bestehlen, dachten, eine alte,
schwerhörige, schreckhafte, verhutzelte Frau zu fin-
den, die man mit einer wilden Drohung ein-
schüchtern könnte. So war denn der für die
eigentliche Tat bestimmte Dieb mit einiger Seelen-
ruhe an die „Arbeit“ gegangen.
„Wat willst Du dann he?“
Während er im Wohnzimmer langsam die Ko-
mode aufmachte, hörte er nicht, wie die von sei-
nem Poltern erwachte Frau Schäfer im Morgen-
rock ins Zimmer trat und ihm mit den Worten:
„Wat willst Du dann he?“ einen wuchtigen
Schlag über das Kreuz versetzte, so daß der
Dieb heulend unter ein nahestehendes Bett ent-
wich.
Madame Schäfer, durch den Erfolg mutig ge-
macht, pickte nun mit dem mit einer langen
Eisenspitze versehenen Wanderstock solange unter
das Bett, bis der Einbrecher um Gnade bat und
langsam hervorkroch. Das geht bekanntlich nicht
schnell. Und die Zwischenzeit benutzte Frau Schä-
fer, die wehrhafte Achtzigerin, um ihm immer
wieder einige wuchtige Hiebe über den oberen
und unteren Rücken zu versetzen. Und als der
erste Stock zerbrach, nahm sie einen zweiten zur
Hand. Der Dieb heulte. Und als der zweite
Stock zerbrach, nahm sie den dritten.
Der Sprung durchs Fenster.
Als der Einbrecher den dritten Stock sah,
heulte er entsetzt auf und setzte mit einem mäch-
tigen Sprung durch das Fenster aus dem Hoch-
erdgeschoß auf eine Stachelhecke.
Unten stand ein zweiter Mann „Schmiere“.
Als er das seltsame Geschick seines Kollegen sah,
riß er aus, ohne sich weiter um diesen zu küm-
mern. Frau Schäfer aber drohte noch lange dem
davoneilenden, hinkenden Einbrecher nach der
allerdings vergeblich sein Heil in der Flucht
suchte.
Denn Frau Schäfer führte nicht nur einen gu-
ten Stock, sondern hatte auch ein vorzügliches
Gedächtnis. Als sie auf der Polizei erschien, die
zerprügelten Stücke ablieferte und dem vor Lachen
zu Tränen gerührten Beamten den Fall erzählte,
schilderte sie den verprügelten Einbrecher so ge-
nau, daß man ihn eine Stunde später schon ver-
haften konnte.
Er war im Begriffe, Amschläge mit essigsaurer
Tonerde zu machen..
Frau Schäfer aber ist die Heldin von Maldorf
mit ihren 80 Jahren.
Was die Jägend Rect:
Weinnachtsgesehenke
aus dem
Sμoat ads-Sin-
Ping-Pong-Tischtennis 58.-
78.—;
Garten-Eroquette795.—, 120. —;
Luftgewehre 50.—, 60.—, 75. —,
125. —;
Trittroller von 30. — bls 215.—;
Fuß- u. Faustbälle von 16.— an;
Tennisschläger, Trommelba!,
Sport-Schleßbögen, Wander-
ausrüstungen,
Turnhosen, Lelbl und -Schuhe.
Nändpäaknaeltrickiten.
� Wer „Die Sendung“ liest, wird stets über
alle Fragen unserer Zeit unterrichtet s wohl auf
kulturellem, wie auf technischem Gebiet. So fin-
den wir in dem neuesten Heft der Zeitschrift „Die
Sendung“ (Die Sendung Verlagsgesellschaft m.
b. H., Berlin SW 68) einen Aufsatz über Fami-
lienforschung. Es wird da an Hand vieler Bilder
gezeigt, welche schwierigen Wege der Familien-
forscher gehen muß, um seine Ahnen zu ermitteln.
Gerd Fricke berichtet aus seiner reichen Erfahrung
am Deutschlandsender über den Wert und die
Eigenart des politischen Hörspiels. Diese grund-
legende Bewertung des Hörspiels im Rahmen der
politischen Erziehung des Volkes wird weitere Be-
achtung finden. Der Altmeister der volkstümlichen,
naturwissenschaftlichen Schriftstellerei D. R. Fran-
ce plaudert über die Frage, ob es denkende
Pflanzen gibt. Auf das Gebiet der Volkskunde
führt ein reich bebilderter Artikel über alt deut-
sche Wiegen. Eine gute Anleitung für die Her-
stellung von Futterhäuschen für Vögel findet sich
in dem gleichen Heft. Ein ausgezeichneter Ba-
stelaufsatz beschreibt die Herstellung eines trenn-
scharfen Vierröhren-Schirmgitter-Empfängers.
Ein Aufsatz, der sich „Erfahrungen mit Industrie-
geräten“ betitelt, beschäftigt sich wieder kritisch
mit zwei neuen Empfängertypen. Die so beliebte
Rundfunktechnik in Bildern wird in der gleichen
Nummer fortgesetzt. Im Unterhaltungsteil findet
man Anekdoten, Rätsel, Schachaufgaben und die
Fortsetzung des wertvollen Schwarzwaldromans
„Fegfeuer“ von Hermann Eris Busse. Das über-
aus reich bebilderte Heft wird durch den 30 Sei-
ten starken Programmteil aller deutschen und
ausländischen Sender ein unentbehrliches Hilfs-
mittel für jeden Rundfunkhörer. Seit dem 1. Ja-
nuar 1930 sind alle Leser der „Sendung“ in der
tschechoflowakischen Republik haftpnichtversichert
für alle Ansprüche, die gegen sie aus de Besitz
einer postalischgemeldeten Rundfunkempfangssta-
tion und Hochantenne geltend gemacht werden.
Diese Haftpflichtversicherung dürfte allen Rund-
funkhörern die Verhandlung mit ihren Hauswir-
ten auf Genehmigung einer Hochantenne erleich-
tern. Bestellungen auf „Die Sendung“ nimmt
jede Postanstalt entgegen, Bezugspreis im Monat
Ke 7.20, für drei Monate Kε 20.60. Außerdem
ist „Die Sendung“ im Buch- und Zeitungshan-
del zum Preise von 23 Pfennig überall zu haben.
� Auswahl aus den morgigen Sendungen.
(Samstag, 16. Dezember.)
Prag 6.15: Morgensendung. 9.55: Nachrich-
ten. 10.10: Schallplatten. 11: Brünn. 11.55:
Landw. 12.10: Schallplatten. 12.25: Pressenach-
richten. 12.35: Ostrau. 13.35: Arbeitsmarkt.
13.45: Schallplatten. 13.55: Börsenübersicht.
15.30: Schallplatten. 15.40: Vortrag. 15.55:
Schallplatten. 16: Preßburg. 16.50: Die Frau
in Kunst u. Leben. 17.15: Handel. 17.25: Schall-
platten. 17.35: Tschechische Konversation für deut-
sche Hörer. 17.50: Schallplatten. 18: Budweis:
Weihnachtsfeier vor dem Baum der Republik.
19: Pressenachrichten. 19.10: Ostrau. 20.15: Vor-
trag. 20.30: Fröhlicher Abend in einer Kaserne.
21.30: Orchesterkonzert. 22: Pressenachrichten.
22.15: bis 23.30: Brünn.
Brünn 6.15 und 950: Prag. 11: Schallplat-
ten. 11.05: Orchesterkonzert. 11.55: Prag. 12:
Landw. 12.10: Prag. 12.35: Ostrau. 13.35: Prag.
14: Marktpreise. 15.30: Prag. 15.40: Märchen.
15.50: Prag. 16: Preßburg. 16.50: Prag. 17.15:
Esperanto. 17.25: Schallplatten. 17.35: Prag.
17.50: Theaternachrichten und Schallplatten. 18:
Literatur. 18.15: Schallplatten. 1825: Deutsche
Sendung. Lieder mit Gitarrenbegleitung (Fritz
Czernuschka), 19: Prag. 19.10: Ostrau. 20.15:
Prag. 22.15 bis 23.30: Nachtkonzert.
Königswusterhausen 6.35: Königsberg: Konz.
10.10: Weihnachts-Papierarbeiten. 10.50: Kin-
dergarten. 11.30: Lügner auf Reisen. 11 45: Be-
völkerungspolitik und Wohnungsfrage. 12.05: Ni-
kolo im Funkhaus. Wetter. 14: Schallplatten. 15:
Sonneberger Spielzeugschau. 15.45: Wirtschaft-
liche Wochenschau. 16: Leipzig. 17: Sportwochen-
schau. 17.20: Beethoven-Konzert. 18: Das Ge-
dicht. Anschließend: Puppenspiele. 18.20: Wochen-
endsalat. 18.45: Die Deutsche Glocke am Rhein
läutet. 19: Langenberg. 20: Kernspruch. An-
schließend: Deutsche Weihnacht — Deutsche Ware.
20.10: Tanzstundenzauber. 22: Nachricht. 22.25:
Sportmeister 1933. 23 bis 030: München.
Breslau 16 und 17.50: Leipzig. 18.10: Nach
Ansage. 19: Langenberg. 20.10: Lumpazivaga-
bundus (Bunter Abend). 23 bis 1: München.
Frankfurt 16: Mühlacker. 18: Stimme der
Grenze. 18.35: Stegreifsendung. 19; Langenberg.
20: Griff ins Heute. 20.10: Bunter Abend. 20.20,
22.45, 23 und 24 bis 2: Mühlacker.
Königsberg 16: Unterhaltungskonzert. 17.25:
Berlin: Doorak-Konzert. 19: Langenberg. 20.10:
Kameradschaftsstunde. 21.10 bis 1: Berlin: Bun-
ter Abend.
Langenberg 16: Mühlacker. 18: Frankfurt.
18.35: Zupfgeigenhanfl. 19: Beethoven in Bonn,
Hörfolge. 20: Frankfurt. 20.10: Bunter Abend.
22.20, 22.45, 23 und 24 bis 2: Mühlacker.
Leipzig 12: Orchesterkonzert. 13.25: Schallpl.
16: Bunte Reihe (Konzert). 17.50: Cembalo-
musik. 19: Langenberg. 20.10: Kunterbunt. 23 bis
24: München.
Mühlacer 16: Balalaikaorchesterkonzert. 18:
Frankfurt. 19: Langenberg. 20: Frankfurt. 20.10:
Bunter Abend. 22.20: Du mußt wissen. 22.45:
Schallplatten. 23: Der Himmel hängt voller Gei-
gen (Aeltere Tanzmusik). 24 bis 2. Nachtmusik.
München 15: Deutsche Volkslieder. 16 und
17.50: Leipzig. 19: Langenberg. 20.10: Bunter
Abend. 22.30: Eishockey: Berliner Schlittschuh-
klub gegen S. C. Riessersee. 23 bis 1: Nacht-
musik.
Wien 11.30: Orchesterkonzert. 13.10: Schall-
platten. 16: Mandolinenkonzert. 16.45: Weih-
nachtslieder. 17: Schallplatten. 17.35: Norwegi-
sche Volkslieder. 19: Chorkonzert. 20: Leharkonz.
21.45: Wohltätigkeitsakademie zur Winterhilfe.
Zürich 16: Harmonika-Duette. 16.75: Unter-
haltungskonzert. 18: Schallplatten. 20: Bach-
hon21.20: Hörspiel. 22.15 bis 23: Tanz-
platten.
Das Wasser,
das tausend Meter klettert.
Besuch in einem merkwürdigen Hause.
Von G. M. Beckmann.
Jedesmal, wenn ich zur Redaktion komme, und
das kleine, warme, freundliche Zimmer betrete,
freue ich mich, wie treu „Willem“, das brave
Hausfaklotum, für die Heizung gesorgt hat. Wie
ist die Sache nun aber in jenen modernen, in den
letzten Jahren aus der Erde geschossenen Riesen-
Neubauten?, frage ich mich. Ob sie immer schön
aussehen, diese Bauten, und ob in ihnen wirklich
der Sinn des deutschen Lebens steckt — darüber
wollen wir hier nicht reden. Aber daß sie im
Winter auf jeden Fall gut geheizt werden müssen,
das ist nun mal klar. Die kleine Stadt hat diese
Sorgen nicht, und die große hilft sich auf ver-
schiedene Weise.
Dort, wo die Sammel-Zentralheizung zu teuer
ist, verwendet man die sogenannte Narag-Hei-
zung. Das heißt: jeder Wohnungsbesitzer bedient
seine eigene Zentralheizung! Sie wird einfach da-
durch in Betrieb gesetzt, daß man Mittagessen
auf dem Küchenherd kocht; von hier aus ver-
breitet sich das warme Wasser dann in die ande-
ren Stuben. Der Vorteil dieser Heizmethode ist
der, daß diejenigen Leute, die im vierten Stock
wohnen, nicht benachteiligt werden können, denn
ihre eigene Zentralheizung liefert das Wasser ge-
nau so heiß wie unten im Erdgeschoß, wo man
das Wasser sonst gleich aus dem Keller bekommt.
Der Nachteil besteht darin, daß viel Küchenarbeit
für die Hausfrau damit verbunden ist. Immer-
hin entrichtet man bei dieser Methode keinen
Sammel-Anteil zur gemeinsamen Heizung und
kann Tag für Tag nachprüfen, was man an Kohle
verbraucht.
Ich höre, daß man draußen am Rande der
Stadt einen ganz modernen Riesenbau hinge-
kleistert hat, der dem Vernehmen nach weniger
durch Schönheit als durch wirklich zweckmäßige
Heizanlage glänzt. Man erzählt sich, daß dieser
Bau Wärme für rund zweitausend Menschen lie-
fert. Zweitausend Menschen? Das ist ja schon
eine richtige kleine Stadt. Da setzt man sich als
Reporter also auf die nächste Bahn und gondelt
hinaus.
Ersparen Sie mir bitte die Schilderung des
Riesenbaues! Ich will Ihnen lieber dafür ein
mich nach Hause, Baron. Ich möchte es nicht
darauf ankommen lassen, von diesem Herrn
gewaltsam abgeführt zu werden.“
Sich jäh abwendend gingen die beiden wei-
ter. Oswald sah, wie Varenne sich nach einigen
Schritten zu seiner Begleiterin vorbeugte und
auf sie einsprach. Es geschah mit gedämpfter
Stimme, aber trotzdem konnte er jedes Wort
deutlich hören.
„Marion, — Liebste, — ich kann Ihnen gar
nicht sagen, wie leid es mir tut, Sie dieser
Insulte ausgesetzt zu haben. Die Ueberheblich-
keit dieses Menschen wird immer schlimmer.
Aber vielleicht kommt einmal der Tag —“
Sie unterbrach ihn mit lauter Stimme.
„Wenn ich ein Mann wäre!“ rief sie in lei-
denschaftlichem Zorn. „Wenn ich nur ein Mann
wäre!“
Oswald, der es hörte, sah verzweifelt zu
dem grauen Himmel empor und murmelte vor
sich hin:
„Auch ich wünschte nichts sehnlicher. Dann
hätten wir jetzt ein paar Runden miteinander
ausgetragen, bis zum knock-out von einem von
uns und danach wäre Friede gewesen.“
7. Kapitel.
Kampf im Walde.
Leutnant Platt und seine zwölf Seeleute
von der „Doraine“, die sich, mit Gewehren
und Revolvern bewaffnet, aufgemacht hatten,
die zwei Missetäter einzuholen, kehrten mit
leeren Händen zurück. Sie hatten mehrere Ver-
wundete in ihren Reihen. Einer der Matrosen
war durch den Arm, ein anderer durch den
Oberschenkel geschossen worden. Ihre Erleb-
nisse waren bald erzählt.
Sie waren bei Annäherung an das Wald-
lager sofort mit lebhaftem Feuer empfangen
worden. Mendez und Domenico mußten sich
ihrer Fesseln entledigt haben, wenn Crust nicht
gelogen hatte �als er behauptete, sie gefesselt
zu haben. Sie hatten an einer schwer zugäng-
lichen Stelle hinter dem Lager hinter Felsen
Deckung genommen und ließen von Anfang an
keinen Zweifel darüber, daß sie entschlossen
waren, ihr Leben teuer zu verkaufen.
„Es war mir natürlich sofort klar,“ berichtete
Platt, „daß die beiden nicht lebend in meine
Hände fallen wollten. Der Ausgang des
Kampfes konnte allerdings keinen Augenblick
zweifelhaft sein, denn die zwei Burschen ver-
fügten nur über ein paar Revolver und eine
beschränkte Menge Munition. Wir umzingel-
ten sie, so daß sie uns nicht entweichen konn-
ten, und hielten sie mit Gewehrschüssen in
Schach. Unterdessen schickte ich unsere zwei be-
sten Schützen auf Bäume, von denen aus wir
sie beschossen. Sie haben bis zum letzten Augen-
blick gekämpft, wir haben sie oben begraben.
Es ist vielleicht die beste Lösung.“
Darin hatte er Recht, denn alle bemühten
sich, den Vorfall so rasch wie möglich zu verges-
sen, und als das Osterfest herannahte, sprach
niemand mehr davon. Die Frage, ob die bei-
den schuldig waren oder nicht, wurde nicht
mehr aufgeworfen. Nach ihrem Verhalten
nahm man das erste an, überzeugt, daß an-
dernfalls die Schuldigen doch nicht mehr er-
mittelt werden konnten.
Der Ostermontag war klar und hell, nach
fast zwei Wochen regnerischem und windigem
Wetter. Er fand das Gemeindehaus voll be-
setzt. Es war ein Gebäude, das allen Zwecken
diente. An Sonntagen hieß es die Kirche, an
Wochentagen vormittags die Schule, abends
der Gesellschaftssaal; wenn musikalische oder
Bühnenaufführungen vonstatten gingen, der
Konzertsaal oder das Theater.
Angesichts des schönen Wetters wurde die
Feier jedoch im Freien abgehalten. Sitze wa-
ren nicht vorhanden. Alle standen barhaupt.
Oswald nahm an den Veranstaltungen trotz
seines Lady Marion gegebenen Versprechens
nicht teil. Sie hatte seit ihrem letzten Zusam-
menstoß mit ihm kein Wort mehr mit ihm ge-
sprochen und ihn kaum eines stummen Grußes
gewürdigt. Unter diesen Umständen hatte er
sich aus den Reihen der Mitwirkenden still-
schweigend zurückgezogen. Er stand unter der
Menge der Zuseher, aber so, daß er sie gut be-
obachten konnte. Die Sonne spielte in ihrem
Haar und ließ dieses in allen Schattierungen
des Goldes aufleuchten.
Der gesprächige Nickelby war Oswalds Nach-
bar und führte mit diesem eine ziemlich ein-
seitige Unterhaltung auch während der Vor-
träge.
„Wissen Sie, was der Gesang kosten würde,
wenn wir jetzt in Neuyork wären?“ sagte er,
während Signora Careni den weichen
Schmelz ihrer herrlichen Sopranstimme zu
Battistis Klavierbegleitung ertönen ließ. „Un-
ter fünftausend Dollar würde sie es nicht
machen. Fünftausend gute schöne Dollar. Weiß
Gott, wenn ich wieder einen in der Hand
haben werde, mit dem Bewußtsein, mir da-
für etwas kaufen zu können. Erst heute mor-
gen sagte ich zu Morris Schein —
„Pst!“ zischte eine dicke Brasilianerin in
der vorderen Reihe, worauf Nickelby einen
Augenblick schwieg. Er fuhr jedoch in der näch-
sten Minute, allerdings flüsternd fort.
„Eine großartige Idee das von Ihnen,
eine Gemeindevertretung wählen zu lassen.
Damit nehmen Sie den Leuten, die insge-
heim gegen Sie wühlten, weil Sie sich zum
Diktator aufgeworfen haben, den Wind aus
den Segeln. Man wird Sie natürlich zum
Gouverneur wählen, wie wollen Sie die Mi-
nisterposten besetzen? Einen Finanzminister
brauchen wir natürlich nicht, denn wir haben
keine Finanzen , aber —“
„Pst!“
Diesmal schwieg Nickelby etwas länger, aber
sein Redestrom war keineswegs versiegt. Als
dieser sich wieder Bahn brach, schwenkte er in
eine neue Richtung ab.
„Lady Marion sieht heute wieder bildschön
aus, nicht wahr?“ sagte er. „Ein Glückspilz,
dieser Varenne. Sie soll etliche Millionen
eigenen Geldes haben, von ihrer Mutter her,
wissen Sie. Und dann die Verwandtschaft. Der
feinste Adel Englands auf der einen Seite
und mütterlicherseits das Beste, was wir in
Amerika haben. Kein Wunder, daß der Ba-
ron so scharf hinter ihr her ist. Ihre Tante
begünstigt ihn, sagt man. Und sie selbst scheint
ihn nicht ungern zu sehen. Wenigstens stecken
die beiden jetzt ständig zusammen. Sie wollen
fort, Oswald? Wohin?“
Oswald gab keine Antwort, sondern drückte
sich aus der Menge und schritt auf die Wald-
einfassung zu. Dort blieb er, an einen Baum
gelehnt, stehen. Alle sahen ihn, auch Marion
Venor, die einige Male Blicke zu ihm hin-
überwarf.
Baron Varenne war an ihrer Seite, als
sie nach beendigter Feier nach Hause ging. Er
betrachtete ihr schönes Profil, sprach aber erst,
als sie außer Hörweite von anderen Festteil-
nehmern waren.
„Wenn Geld hier Wert hätte, würde ich es
mir etwas kosten lassen, zu erfahren, was Sie
jetzt denken, Marion,“ begann er.
Sie zuckte leicht zusammen. „Meine Gedan-
ken sind unverkäuflich,“ erwiderte sie.
„Aber raten darf ich, nicht wahr? Sie über-
legten eben, ob die theatralische Pose, die un-
ser Freund Oswald am Waldesrand ange-
nommen hat, Absicht war oder nicht.“
(Fortsetzung folgt.)
Dateiname:
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