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Gerichtssaal. Freispruch vom versuchten Mord. Eger, 9. Oktober. Otto Jakub, geboren am 14. April 1895 in Altrohlau bei Karlsbad, dahin zuständig, ledig, Arbeiter ohne Beschäftigung, war vor dem Kreis- gerichte in Eger angeklagt, er habe am 20. März um die Mittagszeit in Zwodau an Josefine Pösch- ke das Verbrechen der schweren Körperverletzung begangen. Sie lebten seit einigen Monaten im gemeinsamen Haushalt und wegen ihrer Kinder, besonders wegen ihres vierzehnjährigen Sohnes Anton Lang aus einer früheren Gemeinschaft, kam es wiederholt zu Zwistigkeiten. Dazu kam noch die Not, weil Jakub, ein fleißiger Arbeiter trotz aller Gänge um Arbeit, keine Arbeit fand. Am genannten Tage faßte er die Pöschke an der Brust, bog sie zurück auf das Bett und schnitt sie mit dem Rasiermesser in den Hals. Die Wunde war etwa 10 Zentimeter lang. Dabei soll er ge- sagt haben: „Wenn ich weggehen muß, mußt du auch mitgehen“. Dann hat er sich selbst in den Hals geschnitten. Diese Tat geschah, weil die Pöschke ihn verlassen wollte, da sie das weitere Zusam- menleben wegen der Kinder für kaum durchführ- bar hielt. Der Angeklagte verantwortete sich da- hin, daß er durch Wochen gereizt wurde und seine Nervoſität einen Grad erreichte, in dem er sich nicht mehr beherrschen konnte. Er hatte nicht die Absicht gehabt, der Pöschke eine ernste Verletzung beizubringen, da er sie gern hatte. Die Tat sei die Folge einer seelischen Zerrüttung, weil er von dem Buben gequält wurde, arbeitslos war, alle in Not lebten und er immer wieder hören mußte, daß er gehen solle, obwohl er stets seinen ganzen Arbeitslohn der Frau gab, solange er Arbeit hatte. Josefine Pöschke bestätigte als Zeugin diese Angaben. Die Hauptfrage auf Mordversuch wurde von den Geschworenen mit zwölf Stimmen ver- neint. Die Eventualfrage auf schwere Körperver- letzung mit elf Stimmen ja und einer Stimme nein beantwortet. Die Frage, ob die Tat in Sin- nesverwirrung begangen wurde, veantworteten die Geschworenen mit zwölf Stimmen ja. Der Angeklagte wurde nach dem Verdikte der Ge- schworenen freigesprochen. Er hat sofort auf freien Fuß gesetzt zu werden. vom Hütjungen Rudolf Heinzl und dem Sohne seines Dienstgebers, der ihn ausschimpfte, weil er früh sehr spät nach Hause gekommen sei, so aufgereizt wurde, daß er dann aus Rache die Scheune anzündete. Rudolf Heinzl und Anton Ullsperger bestreiten als Zeugen entschieden, den Waldner beschimpft und aufgereizt zu haben. F. Waldner ist nach dem Gutachten der ärztlichen Sachverständigen voll und ganz für seine Tat ver- antwortlich. Dazu kommt noch, daß der Hütjunge Heinzl zum Waldner kurz vor der Brandlegung gesagt hat, er möge im Schupfen nicht rauchen, da sonst ein Unglück geschehen könne. Waldner ergriff nach dieser Mahnung eine Haue und schlug damit dem Heinzl so auf den Rücken, daß dort eine große Beule entstand. Auch dies gestand Waldner ein. Der Angeklagte gab bei der Schwurgerichtsverhandlung zu, was er getan und sagte noch, es sei aus Zorn und Wut geschehen. Er mußte zugeben, daß er es bei seinem Dienst- geber gut hatte und außer Wohnung und Kost noch 180 K Lohn bezog. Als er den Brand gelegt hatte, entfloh er, wurde aber sofort verfolgt, ein- geholt und verhaftet. Trotz seiner Jugend hat der Angeklagte schon mehrere Vorstrafen, darunter auch drei Monate Kerker wegen Verbrechens des Diebstahles. Der kleine Heinzl war Augenzeuge der Brandlegung und sah, wie Waldner ein Zünd- holz ins Stroh warf und alles gleich lichterloh brannte und erzählt im übrigen ausführlich, wie ihm Waldner die Haue und Holzscheite nachwarf, weil er ihm gesagt hatte, er solle nicht rauchen. Den Geschworenen wurden folgende Fragen vorge- legt, ob das Feuer ausgebrochen sei, dann ob eine leichte Körperbeschädigung vorliege und ob die Tat aus ehrlosen und niedrigen Motiven began- gen worden sei. Der Angeklagte wurde des Ver- brechens der Brandlegung und der Uebertretung der leichten Körperbeschädigung schuldig erkannt und zu drei Jahren schwerem Kerker, einer Faste vierteljährlich und einem harten Lager immer am 12. Mai in dunkler Zelle verurteilt. Das Urteil stützt sich auf das Verdikt der Geschworenen. Mit Rücksicht auf das jugendliche Alter des Ange- klagten, seine Aufregung und sein Geständnis, wurde der niedrigste Strafsatz angenommen. Totschlag am Vater. Eger, 8. Oktober. In der Nacht vom 4. auf den 5. Mai d. J. kam es in Sangerberg bei Marienbad zu einer Familientragödie. Der Arbeiter Josef Kuhl kam wie gewöhnlich am Sonntag betrunken nach Hause, fing mit der Tochter Streit an, warf seiner Frau einen Hafen an den Kopf und begann die Möbel zu zertrümmern. Da erwachte der neun- zehnjährige Sohn Josef, der auf dem Boden des Hauses schlief und hörte das wilde Toben des Vaters; als die Mutter und Schwester in die Wohnung des Bruders Rudolf flüchteten, folgte er ebenfalls nach. Die beiden Brüder bewaffneten sich mit Stöcken und gingen, um den Vater vor weiteren Gewalttaten zurückzuhalten. Dieser sperr- te sich in das Haus ein, die Söhne brachen jedoch die Stalltür auf und gelangten auf diese Weise in das Innere. Da sprang der Vater zum Fen- ster hinaus, um zu entkommen. Der Fliehende wurde von Josef Kuhl jun. eingeholt. Als der Vater mit dem Messer auf ihn losging, versetzte er ihm mit dem Stock einen derart heftigen Schlag auf den Kopf, daß der Mann wenige Tage später im Krankenhaus in Plan starb. Josef Kuhl jun. stand deshalb wegen des Verbrechens des Tot- schlages an seinem Vater vor den Egerer Geschwo- renen. Er und sein Bruder Rudolf waren außer- dem noch wegen des Verbrechens des Hauskrie- densbruches angeklagt. Die angeklagten Brüder verteidigten sich dahin, daß sie in Notwehr ge- handelt hätten. Josef Kuhl gab an, er habe den Vater, als die er mit dem Messer auf ihn losging, lediglich auf den Arm geschlagen. Die Kopfwunde. an der Josef Kuhl gestorben sei, habe er sich selbst bei dem Sprung aus dem Fenster zugezogen. Das ärztliche Gutachten vermochte diese Möglichkeit nicht auszuschließen. Die Brüder wurden frei- gesprochen, da die Geschworenen die Schuld- frage auf Hausfriedensbruch verneinten und bei Josef Kuhl jun. zwar ein Schuldurteil bezüglich der Frage auf Totschlag mit neun zu drei Stim- men fällten, gleichzeitig aber auch die Zusatz- frage auf gerechte Notwehr mit elf Stim- men bejahten. Auch ein Zeitvertreib. Vor dem Senat des OGR. Dr. Kaizler in Prag war der 19jährige Lehrling Gottlieb Manas wegen öffentlicher Gewalttätigkeit und der Ueber- tretung gegen die körperliche Sicherheit angeklagt. Manas hat eine böse Gewohnheit? er wirft Steine. Am 8. September ging er an einem Sanatorium in der Nähe von Prag vorbei. Im Garten ergin- gen sich einige Patienten. Manas beschimpfte sie. Dann nahm er einen schweren Stein und warf ihn in den Garten, ohne jemanden zu treffen. Am Abend desselben Tages warf er gegen eine Grup- pe von Wandervögeln. die gerade den Zug in einer kleinen Station besteigen wollten, mehrere Steine. Der Angeklagte behauptete, keine böse Absicht gehabt zu haben, es habe sich vielmehr Verbrechen der Brandlegung. Eger, 9. Oktober. Franz Waldner, geboren am 21. Mai 1913 in Altrohlau, zuständig nach Chodau, Dienst- knecht, derzeit in Untersuchungshaft beim Kreis- gerichte in Eger, ist angeklagt, er habe am 12. Mai um etwa 11 Uhr 15 Minuten mittags in Imligau bei Chodau eine Handlung unter- ternommen, nach welcher an Gebäuden des Karl Ullsperger eine Feuersbrunst ausbrach und außer- dem vorsätzlich dem Rudolf Heinzl eine leichte Körperverletzung zugefügt, womit er das Verbre- chen der Brandlegung und die Uebertretung der leichten Körperbeschädigung beging. Der Angeklagte hat in Uebereinstimmung mit den Ergebnissen der Voruntersuchung eingestan- den, daß er seinem Dienstgeber Karl Ullsperger in Imligau Nr. 2 die Scheune angezündet hat. Das Feuer verbreitete sich in wenigen Minuten durch die ganze Scheune und den anschließenden Schupfen. Der Schaden von rund 80.000 K ist nur mit einer Versicherungssumme von rund 40.000 K gedeckt. Leicht hätte das Feuer auch auf die übrigen Nachbargebäude übergreifen können, wenn es nicht die Feuerwehr sofort auf dem Brandplatze eingedämmt hätte. Der Angeklagte Waldner sagte zu seiner Ver- antwortung aus, daß er am gleichen Vormittag die weitere Fortschritte zu machen scheint. So ist am 8. Ottober Bahia (oben rechts), die drittgrößte Stadt des Landes, zu den Aufständischen übergegangen, während am gleichen Tage die viertgrößte brasilianische Zur Revolution in Brasilien, Stadt, Pernambuco (unten links), nach blu- tigem Kampf von ihnen eingenommen wurde. — Die Revolution scheint Aehnlich- keit mit der von 1923/24 zu haben, aus der wir biwakierende Regierungstruppen (oben links) und Bürger und aufständische Soldaten in Rio de Janeiro (unten rechts) zeigen. „Tumult der Herzen“ (Herzen im Kreis). Roman von Lola Stein. Copyright by Carl Duncker Verlag, Berlin W. 62. (Nachdruch verboten.) „Ich? Oh, auch wir haben lange aufge- geben, uns zu schreiben. Seit wir uns das letztemal sahen — es war in Meran, als ich Ottokar besuchte, aber gar nichts damit er- reichte, haben wir nichts mehr voneinander gehört. Die Kinder bekommen ab und zu Kar- tengrüße und Fragen nach ihrem Ergehen. Das ist alles.“ „Das ist sehr wenig, arme Genia! Es wird ein trauriges Weihnachtsfest für dich. Für mich auch. Denn Dagmar ist sehr still. Nicht unfreundlich, aber immer abwesend mit ihren Gedanken. Sie war niemals lebhaft, immer ein ruhiger Mensch. Aber jetzt ist sie beinahe wie eine Blume. So schön und so regungslos.“ „Und diese kummervolle, stille Frau ne- ben dir zu haben, macht dich glücklich, Paul?“ „Es ist ein schwermütiges Glück. Ein Scheinglück. Aber doch nicht die Trostlosigkeit, die in mir nagt, wenn sie fort von mir ist. Wenigstens haben wir unser Kindchen. Und du, Genia, du hast deine lieben Töchter. Nun werden dein Schwiegersohn und deine Nichte ja auch noch Frohsinn und Leben ins Haus bringen. Das freut mich für dich.“ Paul Hainer erhob sich. „Darf ich deinen Kindern noch guten Tag sagen, Genia?“ Sie gingen ins Nebenzimmer, wo Stella den Mittagstisch festlich deckte. Susanne saß am Fenster in einem hohen Stuhl und schaute der Schwester zu. Die junge Frau hatte sich nicht helfen lassen wollen. „Nur nicht zu viel bewegen, nur nicht überanstrengen,“ mahnte Genia besorgt. Paul Hainer unterhielt sich ein Weilchen, dann ging er. Susanne und Stella waren ihm gegenüber befangen, und auch er fand keinen ungezwungenen Ton. „Du willst also wirklich nicht zur Bahn fahren, um Beatus abzuholen?“ fragte Ge- nia, als sie ins Zimmer zurückkam, nachdem sie den Gast hinausbegleitet hatte. „Nein, Mutti!“ sagte die junge Frau ent- schieden. „Nicht verbittert, Stella! Du sollst denken, daß heute ein ganz neues Leben für dich be- ginnt und sollst ihm freudig entgegengehen!“ „Es ist sehr schwer, Mutti!“ „Aber es muß sein, Stella! Du hast es jetzt ganz allein in der Hand, eure Ehe wieder glücklich zu gestalten. Und das kann nur ge- schehen, wenn du deinem Mann unbefangen und ohne Groll begegnest. Glaube mir, Kind, wir Frauen müssen viel vergeben und viel vergessen, wenn das Dasein erträglich für uns sein soll.“ Stella küßte die Mutter. „Ich will ver- suchen, so zu sein, wie du es forderst,“ versprach sie leise. Dann ging sie in ihr Zimmer. „Sie ist sehr erbittert, und enttäuscht, weil Beatus so lange von ihr fort blieb,“ sagte Susanne. „Hätte unsere kleine Stella nur ein we- nig mehr von deiner ruhigen Ueberlegenheit, Suse!“ „Das wünsche ich ihr auch! Ich sorge mich um Stella, Mutti!“ „Du, Suse?“ Das klang so erstaunt, daß das junge Mädchen ein wenig errötete, ganz so, wie Frauen aller Zeiten errötet waren. Sie fühlte es und lächelte. „Ganz habe ich die Frau von gestern also doch noch nicht abge- streift“, meinte sie in leiser Selbstverspottung. „Aber, im Ernst, Mutti, ich sorge mich um Stellas Ehe und Zukunft, weil ich es doch war, die sie in diese Heirat hineintrieb. Weißt du das eigentlich?“ „Stella hat es niemals gesagt, aber ich habe es geahnt, Susanne.“ „Es ist sehr gut von Stella, mich nicht zu beschuldigen. Aber mein eigenes Gewissen klagt mich an! Ich habe damals nur an mich selbst gedacht, und von ihr diese Verlobung verlangt, die sie sonst wohl nicht eingegangen wäre. Sie aber hat sich dann, mit der ihr eigenen ungeheuren Stärke des Empfindens, auf diesen einen Mann konzentriert, der nun ihr Gatte, ihre Welt, ihr ein und alles nach ihrer Anschauung sein mußte. Und ist nicht glücklich geworden, weil er nicht zu ihr paßt. Ich habe nichts erreicht durch dieses Bündnis, das ich um jeden Preis wollte, ich habe nur verloren. Erwin Felsings Freund- schaft verloren und seine Liebe nicht gewon- nen. Ich bin dann nach einer bösen Zeit und harten inneren Kämpfen ganz über mein Ge- fühl hinweggekommen, wäre es auch, wenn Erwin Stellas Mann geworden wäre. Das weiß ich heute. Und ich glaube auch, daß er sie glücklich gemacht hätte.“ Genia schloß in heftigem Schmerz einen Augenblick die Augen. „Wir alle wären glücklich geworden, wenn er in unserer Mitte lebte!“ murmelte sie. — Susanne erhob sich und ging ans Fenster. Sie sah in den verschneiten Garten hinaus. Beide Frauen hingen ihren Gedanken nach. Dann wandte das junge Mädchen sich ruckhaft herum. „Unsere Gäste kommen schon, Mutti! Hof- fentlich bringen sie uns die rechte Stimmung für ein frohes Weihnachtsfest ins Haus!“ Beatus Klingenberg umarmte seine Frau stürmisch, drehte sie nach allen Seiten, betrach- tete sie wie ein Wunder und staunte: „Du bist also wirklich ganz gesund, Stella, und schöner und süßer, als du je zuvor warst! Nein, diese Freude, diese Ueberraschung, dieses Glück! Wie selig werden wir nun wieder sein, meine Wonne!“ „Aber ich habe dir doch geschrieben, daß ich völlig genesen bin, daß nichts zurückgeblie- ben ist, Beatus!“ „Ich habe es trotzdem nicht geglaubt. Ich dachte, du wolltest mich nur trösten, Kleine! Ich hatte ein wenig Angst vor unserem Wie- dersehen, um ehrlich zu sein! Und nun ist es so herrlich ausgefallen! Es ist süß und rück- sichtsvoll von dir, daß du wieder so schön wie früher geworden bist, Stella, denn du weißt ja, ich kann keine siechen und keine unschönen Frauen leiden!“ Sie lächelte wehmütig. Seine Reden, die sie früher für Scherze genommen hatte, ent- hielten ja leider sein wirkliches Fühlen. Er war zärtlich, stürmisch, exaltiert wie in der ersten Zeit ihrer Ehe. Das Mittagessen verlief sehr angeregt. Beatus und Armin Lohse erzählten von ihren Erlebnissen in den Vereinigten Staaten, von ihren Erfolgen, lebhaft und sehr interessant. In großen Zügen hatte Beatus seiner Frau schon über die Ereignisse in diesen Monaten geschrieben, aber mündlich klang alles doch ganz anders. Stella wich den werbenden, schmeicheln- den Blicken ihres Mannes ein wenig verlegen aus. Seine Art nahm sie wieder gefangen, sein Zauber begann auf sie von neuem zu wirken. Wenn man mit ihm zusammen und er in strahlender Laune war wie heute, war es schwer, sich vorzustellen, wie brutal und häßlich er sein konnte. „Ich muß es vergessen,“ dachte die junge Frau. „Er ist nun einmal so, und ich kann ihn nicht ändern. Aber jetzt, wo ich gesund hin, können wir vielleicht doch wieder glücklich werden.“ Lena sprach kaum ein Wort. Schweigsam mit ihrem unfreundlichsten Gesicht, saß sie
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