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Seite 6 chenweunn Freitag, 18. Juli 1930 Spende des Papstes für die Hausdorfer Opfer. Berlin, 18. Juli. Papst Pius XI. ließ über die Derliner apostolische Nuntiatur dem Großdechanten der Grafschaft Glatz die Summe von 50.000 Lire über- weisen zur Linderung der Not, die in den durch das Hausdorfer Bergwerksunglück betroffenen Fami- lien herrscht. Schweres Erdbeben. London, 18. Juli. Wie die Blätter aus Ran- goon berichten, hat ein heftiges Erdbeben im Bezirk von Tharrawaddy etwa 100 Kilometer nördlich von Rangoon schweren Schaden angerichtet. Viele Häuser sind eingestürzt und man befürchtet, daß etwa 50 Opfer unter den Trümmern begraben liegen. Wirtschaftliches. Zum Handelsvertrage mit Rumänien. Guter Wille ist vor allem notwendig. Eine längere Notiz in der soeben erschienenen Folge der „Mitteilungen des Deutschen Hauptverban- des der Industrie“ beschäftigt sich mit der neuen Absatzlage auf dem Balkan, die durch den kürzlich abgeschlossenen Prag-Bukarester Handelsvertrag ge- schaffen wurde. Aus den Ausführungen ist zu entneh- men, daß der Hauptverband zwar den Abschluß des neuen Vertrages begrüßt, doch wird mit Recht dar- auf hingewiesen, daß die praktische Auswirkung im Sinne einer Vertiefung der gegenseitigen Handels- beziehungen von einer ganzen Reihe von im Vertrage nicht geregelten Voraussetzungen abhängig ist. Der Hauptverband faßt sein Urteil wie folgt zusammen: Unsere Ausfuhr nach Rumänien war wohl schon während der vergangenen Jahre aktiv und die auf der Exportseite umgesetzten Warenwerte erreichten eine nicht unbeträchtliche Höhe, wenn auch festgestellt wer- den muß, daß während der letzten Jahre der Export im Sinken begriffen war. So betrug die Ausfuhr nach Rumänien im Jahre 1927 907.5 Millionen Kronen, im Jahre 1928 870.1 Millionen Kronen und im ver- gangenen Jahre nur noch 769.5 Millionen Kronen. An diesen Ausfuhrziffern konnten wir uns aber bisher nicht so recht erfreuen, da sie von unserem Stand- punkte aus vielfach Geschäfte verkörperten, an denen nichts verdient wurde. Aus einer ganzen Reihe von Gründen war nämlich der rumänische Platz in den letzten 5 Jahren als außerordentlich unsicher anzu- sprechen und was der eine Exporteur verdiente, zahlte der andere wieder darauf. Wir sind weit davon ent- fernt, die uns freudig stimmende Tatsache des Ab- schlusses eines Tarifvertrages zum Anlaß von hoffent- lich endgültig der Vergangenheit angehörenden Be- schwerden zu machen. Wir können es uns jedoch nicht versagen, schon heute darauf hinzuweisen, daß auch die neue handelspolitische Regelung nur dann günstige Resultate zeitigen wird, wenn seitens Bukarests alle Voraussetzungen geschaffen werden, die es uns er- möglichen, von den im Vertrage vorgesehenen Erleich- terungen auch tatsächlich Gebrauch zu machen. Das kann nur erfolgen, wenn künftighin die Auslegung der dortigen Zollvorschriften nicht mehr so buch- stabenstreng wie bisher erfolgt; daß man von der Ver- zollung von Retourwaren, also von Waren, die wie- derum nach der Tschechoslowakei zurückgehen, Abstand nimmt und daß man bei Gütern, die kleine Beigaben höherwertigen Materiales in sich schließen, nicht ein- mal den höheren und das anderemal wiederum den eigentlich entsprechenden richtigen Zollsatz zur Anwen- dung bringt, welches Vorgehen Preisanstellungen ein- schließlich der Zollbelastung einfach unmöglich macht, daß der Rechtshilfeverkehr sich rascher und klagloser abwickelt als bisher u. dgl. m. Desgleichen wollen wir zuversichtlich hoffen, daß auch die kommenden Devisen- und Valutenvorschriften, soweit Rumänien auch weiterhin eine zwangsweise Bewirtschaftung auf diesem Gebiete für notwendig halten sollte, nicht mehr als unangenehme Begleiterscheinung den Fak- turenausgleich der dortigen Importeure behindern und stellenweise ganz ünmöglich machen. Wir sehen somit: ein Gutteil der Vertrags- regelung ist auf den guten Willen aufgebaut und wir zweifeln keineswegs, daß sich dieser auf rümänischer Seite nunmehr in augenscheinlicher Form dokumen- tieren werde. Der Kampf der deutschen Wirtschaft gegen das Schmiergelderunwesen. Es kann nicht in Abrede gestellt werden, daß die infolge der Nachwirkungen des Krieges teil- weise stark verwirrten Begriffe von kaufmännischer Sitte und Ehrenhaftigkeit in den letzten Jahren wieder auf ge- sundere Bahnen geraten find. Gleichwohl finden sich im Wirtschaftsleben auch heute noch viele Elemente, deren Ge- schäftsgebaren das Ansehen des Kaufmannsstandes schä- digt. Und manche Gebräuche, die heute noch vielfach geübt werden, halten einer strengen Kritik hinsichtlich ihrer mo- ralischen Anfechtbarkeit nicht stand. Dieser Tatsache verschlie- ßen sich die einsichtigen Wirtschaftskreise auch keineswegs; aber es konnte bisher mit Recht von ihnen eingewandt werden, daß das Vorgehen Einzelner wenig Erfolg ver- heiße und daß sogar das Aufgeben gewisser Mißbräuche nur denjenigen zum Vorteil gereiche, die jene „Usancen“ beibehielten. Es könnte also nur ein Zusammenschluß aller auf Wahrung des kaufmännischen Anstandes bedachter Kreise von Industrie, Handel und Gewerbe Abhilfe schaf- fen, um die Bestrebungen der Einzelnen mit derjenigen Autorität zu vertreten, die im Einzelnen nicht zu Gebote steht. Dieser Gesichtspunkt war dafür maßgebend, daß die Ar- beitsgemeinschaft der deutschen wirtschaftlichen Verbände über Anregung des Deutschen Hauptverbandes der Induftrie die Jystematische Bekämpfung des Schmier- geldunwesensin ihr Tätigkeitsgebiet auf- genomen hat. Auch die deutsche Tages- und Fachpresse der Tschſl. Republik hat sich in dankenswerter Weise in den Dienst des Kampfes für Anstand und Ehrbarkeit in Handel und Wandel gestellt. Der Kampf gegen die Angestelltenbe- stechung bildet einen Teil des weiteren Gebietes der Be- kämpfung des unlauteren Wettbewerbs. Er richtet sich so- wohl gegen die aktive Bestechung seitens der Lieferfirmen, wie gegen die passive Bestechung auf Seiten der Angestell- ten der Bezugsfirmen. Den gesetzlichen Rückhalt dieses Kampfes bilden die Paragraphen 12 und 30 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb. Nach dieser Bestim- mung ist es verboten und unter Strafe gestellt, im geschäft- lichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbes den Angestell- ten oder Beauftragten eines geschäftlichen Betriebes Ge- schenke oder andere Vorteile anzubieten oder zu versprechen. Die Erfahrung hat leider gelehrt, daß die Einsicht von der Verwerflichkeit der Bestechung in manchen Kreisen noch nicht Fuß gefaßt hat. Man findet sich damit ab, daß die Gewäh- rung von „Gratifikationen“ in vielen Geschäftszweigen „üblich“ sei, daß sie daher nicht als unehrenhaft bezeichnet werden könne, und daß sie zur Erhaltung der Konkurrenz- fähigkeit notwendig sei. Gerade diese auf schwachen Füßel stehende Argumentation muß vor allem bekämpft werden Welche Beachtung übrigens dem Kampf gegen die Beste chung und den unlauteren Wettbewerb auch seitens der an- deren Kulturstaaten geschenkt wird, erhellt daraus, daß in vielen anderen Staaten ähnliche Örganisationen bestehen, so vor allem der Berliner Verein gegen das Bestechungs- unwesen, und daß innerhalb dieser Vereinigungen schon seit Jahren internationale Beratungen zwecks Erlaß einheit- licher Bestimmungen zum Kampf gegen die Angestellten- bestechung im Gange sind. Es sei in dieser Hinsicht besonders verwiesen auf die Tätigkeit der „International Congregatiant against Bribery“. Anträge zur internationalen Regelung sind durch Vermittlung der internationalen Handelskam- mer dem Wirtschaftskomitee des Völkerbundes unterbreitet worden und haben dort bereits greifbare Formen ange- nommen. Schwierigkeiten bei Fiat. Mailand, 19. Juli. Die italienische Automobilfabrik Fiat hat 8000 Arbeite entlassen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ein Teil der Fiat überhaupt stillgelegt wird. Französischer Textilarbeiterstreik. Lille, 19. Juli. In der Umgebung von Lille haben annähernd 20.000 Tex- tilarbeiter die Arbeit niedergelegt. Der Streit erfolgte, nachdem die Arbeitgeber es abgelehnt haben, eine Lohn- erhöhung zu bewilligen. Große Pleiten in der Holzindustrie. In den letzten Tagen haben mehrere flowakische Holzgroßhändler ihre Zahlungen eingestellt. Gut informierte Kreise behaupten, daß 15 Prozent der bestehenden Holzfirmen insolvent sind und zwar infolge zu groß angelegter Spekulationen sein dem Jahre 1926. Alle jene Firmen, die über mehrjährige Abstockungsverträge verfügen, sind gezwungen, zu unmög- lichen Preisen einzukaufen und finden auf dem Holzmarkte sowohl niedrige Preise, als auch schlechte Zahlungsbedin- gungen, so daß der Verkauf — außer nach Frankreich — völlig unrentabel wird. Man kann in der nächsten Zeit mit weiteren Liquidationen rechnen. Unter anderem wird auch die Insolvenzerklärung einer großen mährischen Holzhan- delsfirma erwartet, deren Verbindlichkeiten auf 20 Miitio- nen Ke geschätzt werden. Kirchennachrichten. Pfarrkirche in Asch. Sonntag, den 20. Juli, vormittags 1/210 Uhr Haupt- gottesdienst: Pfarrer Krehan. Nachmittags 1/22 Uhr“ Kirchenrat Dr. Held. Amtswoche, Taufen und Trauungen Pfarrer Krehan. Beerdigungen: Kirchenrat Dr. Held. Evangelische Zweiggemeinde Nassengrub. Sonntag, den 20. Juli, vormittags 1/210 Uhr Haupt gottesdienst: Kirchenrat Dr. Held. Pfarrkirche in Neuberg. Sonntag, den 20. Juli, vormittags 1/210 Uhr Haupt- gottesdienst: Pfarrer Alberti. sie ihre Bücher auf, las die Endsumme der Liquidatio- nen ab, die sie am Nachmittag versandt hatte: Es war ein stattlicher Posten, die Praxis würde ein schönes Stück Geld einbringen, wenn man sie verkaufte — daran hatte er natürlich nicht im Traum gedacht — ja, sie konnte mit dem, was sie sich aufgebaut, zufrieden sein.. Ein zufälliger Blick auf die Armbanduhr ließ sie erschrocken feststellen, daß es schon zehn Uhr war. In zwei Stunden verklang das alte Jahr. Sie stützte den braunen Kopf in beide Hände, schloß die Augen und verharrte geraume Zeit unbeweglich in dieser Stellung, bis sie sich plötzlich erhob, resolut den weißen Kittel auszog, ihn in ihr Zimmer brachte, in den Kleiderschrank hängte und dann die Schrank- türe energisch zuschloß. „Einmal muß man den Entschluß fassen!“ sprach sie im Flur laut vor sich hin, aber mit einem glücklichen, verträumten Lächeln, das den etwas gepreßten Klang der Worte Lügen strafte. Dann nahm sie den Hörer des Telephons zur Hand... Dr. van Ponten hatte am frühen Nachmittag das blaue Würfelhaus nach einem gemessenen Abschieds- händedruck und ein paar konventionellen Wünschen für gutes Fortkommen und Weiterbestand des Werkes ver- lassen, und auf dem Heimwege sah er nicht einmal um; er trennte sich von dem „Berühmten Kwattrack-Salz“ ohne Bedauern, aber mit dem Bewußtsein, ihm nach besten Kräften gedient zu haben. Ein geeigneter Nach- folger war durch das Preisausschreiben gefunden, und die Stoßkraft des Erfinders würde weiterhin die beste Gewähr für den Absatz des „Berühmten Kwattrack- Salzes“ bleiben. Schade, daß Schelling nicht hier ist, überlegte er im Gehen, ich hätte ihm meinen Neujahrsglückwunsch gern persönlich gebracht. So mußte er sich damit be- gnügen, auf der Post ein Telegramm nach Oberhof aufzugeben; denn er wußte nicht, daß Gerhard schon zurückgekehrt war. Zu Hause wartete der Doktor erst einmal die Abendpost ab; aber es enttäuschte ihn nicht, daß sie nur Gleichgültiges brachte. „Sie wartet also bis zu- letzt,“ sagte er sich lächelnd. Er ging zum Abendessen in ein bescheidenes Loka! in der Nähe, das er täglich aufsuchte — und später ver- tauschte er in seinem Zimmer seinen mausgrauen An- zug mit einem schwarzen; er verwandte weit mehr Sorgfalt auf das Ankleiden, als es sonst seine Gewohn- heit war. Doch trotz dieser Vorbereitungen verließ er das Zimmer nicht, sondern setzte sich an den Schreibtisch und begann, sich mit seinen vertrauten wissenschaftlichen Arbeiten zu beschäftigen. Vorher hatte er das Tischtelephon in greifbare Nähe gerückt. Da Post nicht mehr zu erwarten war, würde es wohl im Laufe des Abends noch läuten — er wußte das ganz genau, dank einer tief verwurzelten, inneren Sicherheit, die ihre Nahrung keineswegs nur aus dem nüchternen Verstande zog. Dr. Alexander van Ponten pflegte sich vor seinen Manuskripten gegen alle Eindrücke der Außenwelt, so- weit sie in seinem mit Büchern vollgestopften Zimmer überhaupt an ihn herantraten, so vollkommen abzu- schließen, als säße er zwischen den meterdicken, schmuck- losen Wänden einer Zelle in einem abgeschiedenen Mönchskloster. Auch an diesem Abend begann sich der neu begonnene Foliobogen zu füllen, und auf einem Schreibblock entstanden auch Exzerpte aus aufgeschlage- nen Bänden — aber dicht über dem Kopf des Bogens hatte er die Taschenuhr hingelegt, und in der Reichweite stand zur linken Hand der schwarze Kasten des Tele- phons bereit, und trotz seiner angestrengten Geistes- arbeit horchte der Doktor auf das Ticken des Uhrwerks und beugte mitunter lauschend den Kopf zum Fern- sprecher, als könnte er das Summen und Schwirren auffangen, das durch die Kabel unter Straßen und Plätzen lief. Jedesmal, wenn er den Kopf hob, lächelte er ganz leise, versonnen fast — er wußte, es würde ein „Ja“ sein, das ihm der Telephonanruf den er so hellseherisch- zuversichtlich erwartete, übermitteln würde. 13. Gerhard Schelling begann zu fühlen, daß er kein Machtmittel besaß, um sein Zusammenleben mit Mar- lene vor der angespannten Lauheit der Konventions- he zu bewahren. In ihrer rücksichtslosen Offenheit zeigte sie ihm un- verhüllt, daß ihre Anteilnahme zu erlahmen begann. Ohne ihn vorher auch nur gefragt zu haben, nahm sie bald nach Neujahr das vorteilhafteste der Ange- bote an, mit denen sich Filmgesellschaften um sie be- mühten, und die Verdoppelung ihres Wirkungskreises nahm ihre Zeit so in Anspruch, daß für Gerhard nichts mehr übrig blieb. Sie begann mit den Stunden des Tages zu geizen, um allen Anforderungen gerecht werden zu können, jagte morgens ins Atelier, nach- mittags zu Photographen und Modehäusern, abends ins Theater und nachts oft noch auf Bälle und Feste, stürzte sich mit unbezähmbarer Gier in den bunten Wir- bel dieser abwechslungsreichen Hetze, um sich zu betäu- ben und ihre Enttäuschung zu mildern, die ehrlich und stark war bei allen schweren Irrtümern, in die ihre wilde Phantasie sie verstrickte. „Warum mußt du filmen?“ fragte er mit bekün- mertem Widerspruch. „Du ruinierst deine Nerves, Marlene.“ „Man muß doch irgend etwas tun,“ antwortete sie nur, während ihr Blick von ihm fort' irgendwohin ins Weite schweifte. Gerhard blieb also allein in der großen Wohnung; denn das unbeständige Wetter des schneereichen Win- ters untersagte ihm oft tagelang den Aufstieg. „Sie fühlen sich unbehaglich, weil Sie nicht voll- beschäftigt sind“, meinte Kwattrack einmal, Das muß ein scheußliches Gefühl sein. Versuchen Sie“ doch, ein neues großes Flugprojekt für den nächsten Sommer aus- zuarbeiten. Meines Interesses können Sie sicher sein. Gerhard gab eine ausweichende Antwort und mußte alle Klarheit seines Verstandes zusammenral- fen, um nicht zu bezweifeln, daß Kwattracks Auffor- derung nur von Reklamesucht diktiert war nicht von dem Wunsch, ihn abzulenken oder gar zu entfernen. Wenn er ehrlich mit sich zu Rate ging, mußte er sich sagen, daß der Fabrikant eigentlich kaum etwer- tat, um sein Mißtrauen zu nähren; er versuchte kei- neswegs, sich! Marlene heimlich zu nähern. Nach wie vor schickte er seine Blumenkörbe, wenn er Vorwände fand, nicht ins Theater, sondern offen ins Haus, oder äußerte gesprächsweise: „Heute abend ist der Filmball da werden wir uns wohl treffen, Herr Schelling?
Dateiname: 
ascher-zeitung-1930-07-18-n167_0670.jp2