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58. Jahrgant.
Nr. 261
e. Inschrifteu und
Revonn Gelbetnaffs 613.
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Freitag, den 11. November 1921.
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Antrag auf Streichung der interalliierten Schulden.
Rom, 10. November. Der Londoner Berichter-
statter des „Secolo“ berichtet auf Grund eines
Gesprächs mit den nach Waſhington unterwegs be-
findlichen italienischen Sachverständigen über bemer-
kenswerte Absichten der italienischen Delegation auf
der Abrüstungskonferenz. Der Gewährsmann des
italienischen Blattes betonte, daß Italien keine
besonderen Interessen im Stillen Ozean
wahrzunehmen hätte. Die italienische Desegation
beabsichtige, darauf hinzuwirken, daß in Washington
einige Ungerechtigkeiten in den Entscheidungen der
Pariser Friedenskonferenz korrigiert würden. Italien
sei wie Amerika an einer Oeffnung der meso-
potamischen Oelfelder für alle Völker interes-
siert, es gelte hier, den Beschluß von San Remo,
wo Italien von einer Beteiligung ausgeschlossen wur-
de, zu revidieren. Italien, das mit England und
Amerika einer Meinung über die Notwendigkeit einer
Neuregelung aller Weltfragen sei, werde
die Streichung der interalliierten Schul-
den beantragen. Frankreich könne angesichts seiner
schweren wirtschaftlichen Lage die Frage nicht selbst
anschneiden, weil es dann sofort von Amerika auf-
gefordert werden würde, seine Rüstungsausgaben ein-
zuschränken. England befinde sich gleichfalls in einer
schwierigen Lage, indem es zugleich Gläubiger und
Schuldner sei. Unter diesen Umständen sei Italien
am besten geeignet, die Initiative in der
Frage der Schuldenregelung zu übernehmen. Der
italienische Delegierte schloß seine Ausführungen über
die Washingtoner Konferenz mit der Versicherung.
er sei der Ansicht, daß die Konferenz in welt-
politischer Hinsicht konstruktiv viel wich-
tiger sein werde als die Pariser Frie-
denskonferenz.
Albanien.
Die Serben vor Tirana.
Rom, 9. November. Die Blätter melden aus
Durazzo: Nach achttägigem Kampfe sind die Ser-
ben vorgedrungen und stehen 40 Kilo-
meter vor Tirana. Das ganze Mirditengebiet
sowie San Giovanni di Medua sind besetzt. Das
Schicksal Alessios ist ungewiß. Skutari ist isoliert.
Italienische Gegenmaßnahmen.
Rom, 9. November. Es wird versichert, daß die
italienische Regierung bei den anderen Regierungen
der Entente dahin wirkt, einen gemeinsamen
Schritt bei der serbischen Regierung we-
gen Albaniens zu unternehmen. Die serbischen Trup-
pen setzen ihren Vormarsch in Albanien fort. Alessio
ist bereits besetzt.
Idee wollte Europa nicht aufgeben, während Ame-
rika, das den europäischen Mächten vorwerfe, ein
Ligasynoikat gebildet zu haben, von ihr nichts wis-
sen wolle. Das Geschick der Konferenz liege
vor allem in der Hand Englands. Der Sieg
über die Habsburger und Hohenzollern sei eine ent-
schiedene Sache. Jetzt müssen wir, sagt das Blatt,
einen Sieg über uns selbst, über unsere Lüge
und unseren selbstmörderischen Egois-
mus erringen.
Erhebliche Preissenkungen — in Polen?
Warschau, 10. November. Krakauer, Lemberger
und Warschauer Blätter konstatierten eine erheb-
liche Preissenkung gewisser Warengat-
tungen.
Einberufung des Völkerbundrates.
Genf, 10. November. Der Völkerbundrat wurde
für Freitag, den 11. November zur Beilegung des
serbisch-albanischen Konfliktes nach Paris
einberufen.
Eine optimistische Rede Llund Georges.
„Der Höhepunkt der Wirtschaftskrise überwunden“.
London, 10. November. In einer beim Lordmajor
gehaltenen Rede führte Lloyd George etwa fol-
gendes aus: Obwohl der Himmel noch trübe ist,
glaube ich, daß der Höhepunkt der wirtschaft-
lichen Krise überwunden und eine Besserung in
Sicht ist. Die Geschäftsstille, die nach dem
Kriege alle Länder ergriffen hat, ist im Schwin-
den. Die Grundlagen des Kredi es Großbritanniens
sind fest und unversehrt geblieben. Wir dürfen nie-
mals in die verderbliche Inflationspolitik verfallen.
Aber selbst diejenigen Länder, welche die
Inflationspolitik betreiben, werden nicht
zugrunde gehen, weil der Staat eines arbeitsamen
Volkes immer am Leben bleiben wird. Die britische
Ausfuhr im Oktober war die beste seit März. Nach
dem trüben Himmel erscheint die Waſhingtoner Kon-
ferenz wie ein Regenbogen. Die Abrüstungs-
konferenz ist der einzige Weg zur Sicherung. Auf
dieser handelt es sich um die Zukunft der Zi-
vilijation. Deshalb wünsche ich ihr den besten
Der Zweck der Reise der Regarations-
hommission nach Berlin.
Berlin, 10. November. Die Blätter bringen aus
Paris eine Meldung des „Temps“, welche den Zweck
der Berliner Reise der Reparationskom-
mission in folgendem schildert: Um die Zahlung
von 600 Millionen Goldmark bis 15. Jänner 1922
sicherzustellen, hatte das Garantietomitee eine Voraus-
zahlung für den 15. November und eine solche für
den 1. Dezember vorgeschrieben. Die erste Zahlung
sollte aus Zolleinnahmen beglichen werden, die zweite
aus der Ausfuhrabgabe. Diese beiden Summen soll-
ten vier Fünstel der halben Milliarde, die am 15. Jän-
ner fällig ist, ausmachen. Die Reparationskommission
will sich nun darüber klar werden, welche Maßnahmen
in dieser Richtung die deutsche Regierung ergriffen
hat. Sie wird sich ferner mit den Bedingungen für
die Kredite befassen, welche die deutsche Industrie-
dem Reiche bewilligen will. Ferner wird sich die
Kommission mit dem Kurssturze der Mark, mit
der Geſundung des deutschen Reichshaus-
haltes und mit der Schaffung neuer Ein-
nahmequellen zwecks Erfüllung der Zahlungs-
bedingungen befassen Anderseits ist es wahrscheinlich,
daß die deutsche Reichsregierung und die deut-
schen Industriellen die Anwesenheit der Repara-
tionskommission benützen werden, um gewisseBe-
dingungen bezüglich der Zahlunasfristen zu
stellen, welche laut Art. 248 des Friedensvertrages
von der Reparationskommission bewilligt werden
Der tschechisch-polnische Vertrag
Warschau, 10. November. Minister des Aeußern
Skirmunt wird in der nächsten Sitzung des Aus-
schusses für auswärtige Angelegenheiten eine Reihe
von Anfragen über die auswärtige und innere Politik
Polens beantworten. Die Abgeordneten der Volks-
partei haben eine Anfrage über den tschechisch-
polnischen Vertrag angekündigt.
Die irische Frage.
London, 10. November. Das in London ein-
getroffene Uister-Parlament hielt gestern eine Sitzung
ab, und stimmte, nachdem Craig über die Lage
berichtet hatte, der von der Ulster-Regierung bisher
bewiesenen Haltung zu.
London, 10. November. Die Thronrede, die mor-
gen im Pariamente gehalten wird, soll auch auf die
irische Frage Bezug nehmen.
Ein Dementi.
Paris, 10. November. Das Ministerium für die
befreiten Gebiete dementiert die Nachricht, wornach
Minister Loucheur von Briand nach Washington
berufen worden sei.
Ein Moratorium für Curopa.
Genf, 10. November. Der bekannte ameri-
kanische Finanzmann Simpſon gab in einer
Unteredung mit einem Mitarbeiter der „Chicago
Tribune“ einige Anregungen zum Wiederauf-
bau der Weltwirtschaft. Simpson erkärt, daß
der Erlaß eines Moratoriums von 10 bis
15 Jahren für alle Schulden der europä-
ischen Staaten in Amerika unbedingt not-
wendig sei. Die Gläubigerstaaten, denen dieses Mo-
ratorium gewährt würde, müßten sich verpflichten,
den finanziellen Druck auf Deutschland
für einen gleichen Zeitraum zu unter-
lassen. Wenn dies geschehe und die finanziellen
Reparationsbestimmungen herabgesetzt würden, so wäre
damit schon viel erreicht und Voraussetzung
zur Besserung der Wechselkursverhäit-
nisse gegeben. Simpfon hofft, daß der amerikani-
sche Kongreß Schritte in dieser Richtung unterneh-
men werde. Falls dies nicht geschehe, sei der sinan-
zielle Zusammenbruch Deutschlanos vorauszusehen,
eine Gefahr, durch die in erster Linie Frankreich be-
troffen, werden würde.
Harding und die Rüstungen der Alliierten.
Genf, 10. November. Die „Times“ melden aus
Washington: Präsident Harding wird darauf
hinwirken, daß die amerikanische Delegation
den besonderen Bedürfnissen der ver-
schiedenen Mächte Rechnung trägt. Dem-
nach werden die Vereinigten Staaten anerken-
nen, daß England zum Schutze seiner Sicherheit
eine starke Flotte notwendig brauche, den Ja-
panern soll ein gewisses Expansionsbedürf-
nis zugesprochen werden. Wei erhin soll die Konfe-
renz anerkennen, daß Frankreich einen Anspruch
auf Schutz für die Zukunft habe, und es sol-
len die Mittel gesucht werden, um diesen Anspruch
zu befriedigen. Wie die „Times“ weiter melden,
soll Tschitscherin in einer Note vom 2. Novem-
ber gegen den Ausschluß Sowjetrußlands
von der Konferenz Protest erhoben und zugleich
mitgeteilt haben, daß sich die russische Regierung
volle Handlungsfreiheit gegenüber dem Beschluß der
Konferenz vorbehalte.
Der amerikanisch-japanische Konflikt.
Paris, 10. November. Nach Meldungen aus
Tokio soll sich Marquis Sajonj unter Zustim-
mung der Konservativen Partei zur Uebernahme der
Ministerprälidentschaft bereiterklärt haben. Daß der
in Aussicht genommene Ministerpräsident auch die
Erfolg.
können.
Zustimmung der Konservativen Partei gefunden ha-
ben soll, läßt schon heute darauf schließen, daß hin-
sichtlich der japanischen Politik in der Frage der
Waſhingtoner Konferenz, sowie der Frage der Offe-
nen Tür in China gegenüber Amerika eine entschei-
dende Wendung nach rechts eintreten wird. Diese
Wendung würde hinsichtlich der chinefischen Frage die
Verkündigung einer sogenannten Mouroe Doktrin für
Asien seitens Japan bedeuten, d. h. die japanische
Regierung wird erklären, daß die chinesisch-japani-
schen Differenzen die Einmischung einer drit-
tenMacht nicht vertragen. In maßgebenden
Kreisen der englischen Dominien Canada, Austra-
lien und Neuseeland soll, wie versichert wird.
ausgesprochene Neigung bestehen, in dem Kon-
flikt für Amerika gegen Japan Stel-
ung zu nehmen.
Renes vom Tage.
Eine Semmel: 34 Kronen.
Die Wiener Bäckergenossenschaft teilt mit, daß
der Preis für den Weißen Wecken von 74 auf
84 Kronen erhöht wird. Die Erhöhung wird durch
die bedeutende Steigerung des Preises für Weisen-
mehl, der bereits 300 Kronen per Kilogramm
berägt, begründet.
Gerichtssaal.
Des Mordes angeklagt und freigesprochen.
Vor dem Egerer Schwurgerichte hatte, sich
der Fabriksarbeiter Karl Pecher, geboren am
1. Jänner 1891 in Hochofen, dorthin zuständig,
verheiratet, derzeit in Untersuchungshaft wegen
Verbrechen des Mordes zu verantworten. Der
Anklage liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Am
29. Juli 1921 nachmittags gegen 2 Uhr kam
Johann Elster etwas betrunken in das Haus des
Alfred Fuchs in Bernau Nr. 198 und fragte,
wo seine Mutter Theresia Heidler sei. Letztere
war kurze Zeit vorher zu Alfred Fuchs gekom-
men und hatte Port erzählt, daß ihr Sohn Jo-
hann Elster gesagt habe, er wolle sich erschießen.
Auf den von Fuchs erteilten Rat hin hat sich
Theresia Heidler im Hause Nr. 198 versteckt. Auch
dem Alfred Fuchs gegenüber hat Johann Elster
Selbstmordgedanken geäußert und gesagt, er werde
jetzt hinuntergehen und das Haus seiner Mutter
anzünden. Trotzdem ihn Alfred Fuchs beruhigen
wollte, ließ sich Johann Elster nicht abhalten und
ging in das Haus seiner Mutter, wohin ihm
Alfred Fuchs und auch Theresia Heidler folgten.
Inzwischen war auch Marie Pecher und Adelheid
Heidler dorthin gekommen. Durch die wiederhol-
ten Aeußerungen des Johann Elster, er werde
das Haus anzünden, waren die Anwesenden er-
schrocken, Marie Pecher eilte in den nahen Wald
und holte ihren Mann, den Beschuldigten Karl
Pecher, der dort um Beeren war. Als sie nach-
hause kamen, saß Johann Elster ruhig bei Tische
und erzählte, daß er [ich oben erschießen wollte.
Plötzlich sprang Johann Elster auf und sagte,
es sei ihm etwas eingefallen, er werde die sei-
ner Mutter gehörige Kuh erschlagen; er ging dann
hinaus, suchte im Vorhause herum, wo sonst Sen-
sen und Hadken aufbewahrt waren, zufällig sich
aber keine dort befanden und versuchte dann den
Holzschupfen aufzureißen, von welchem Beginnen
ihn jedoch Alfred Fuchs und der Beschuldigte Karl
Pecher abhielten. Abermals versuchten sie den Jo-
hann Elster zu beruhigen. Der aber ergriff eine
dortstehende Wasserkanne, warf sie auf das Stein-
pflaster, dann gab er der Adelheid Heidler einen
Stoß, daß sie an die Wand des Hauses anstieß.
packte hierauf die Marie Pecher vorne bei der Brust,
warf sie auf das vor der Haustüre befindliche
Steinpflaster, wo sie mit dem Gelichte und Vorder-
körper auffiel. Marie Pecher, die damals schwan-
ger war, war sehr erschrocken, raffte sich langſam
auf und lief davon. Auf das hin holte der Be-
schuldigte Karl Pecher eine hinter dem Hause lie-
schlug damit auf Johann
gende Holzhacke und
Eiſter ein, wobei der Hieb auf die Stirne ging.
Johann Elster erhob sich und versuchte dem Be-
schuldigten die Hacke zu entreißen, aber der Be-
schuldigte hat noch einigemale auf Elster eingeschla-
gen. Bei dem weiteren hin und her gelangten sie
bis zu der in der Nähe befindlichen Steinmauer,
wo der Beschuldigte dem Elster, der dort zusam-
menbrach, noch einen Hieb versetzte. Johann Elster
wurde in das Krankenhaus nach Neudek geschafft,
woselbst er in der Nacht vom 30. zum 31. August
1921 verschied. Nach dem Gutachten der Sachver-
ständigen hat Johann Elster nebst kleineren Ver-
letzungen vier schwere Beilhiebe erhalten und zwar
auf den Kopf, einen an der linken Halsseite und
einen an der Außenseite des linken Oberarms. Durch
die Hiebwunde (Knochenwunde) an der linken Stir-
ne wurde der Tod des Johann Elster herbeigeführt.
Die Hauptverhandlung ergab, daß der Getötete
ein gewalttätiger Trunkenhold war. Die Geschwo-
renen verneinten nach durchgeführter Verhandlung
Zur Waſhingtoner Konferenz.
Ein offenherziges italienisches Bekenntnis.
Mailand, 10. November. „Corriere della
Sera“ widmet der Washingtoner Konferenz einen
längeren Artikel und sagt, daß die Vereinigten Staa-
ten im Falle ihrer Neukralität nur die Wahl gehabt
hätten, sich einem Deutschland oder siegreichen Eng-
land oder Japan zu unterwerfen. Es mußte daher
notwendigerweise in den Klieg eintreten. Das Pro-
blem aller Probleme sei jetzt der Völkerbund. Diese
Dateiname:
ascher-zeitung-1921-11-11-n261_2645.jp2