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Seue 2. anfälle gehabt habe. Befragt, wie er überhaupt zu dieser Sache gekommen ist, erzählte er weiter, daß er durch Bergmann dazu verleitet wurde, den er durch Steiner drei Wochen vor der Tat kennen llerntc.Einige Tage vor dem Mord wurde am Bahnhof der Fall genau besprochen. Bergmann sagte, erbringe einen Revolver und einen Dolch mit,en rauch tatsächlich mitgebracht habe. Am Dienstag sind dann Bergmann und Waldheim zum Sug, ha- ben sich hinter dem Wagen versteckt und wollten, wenn derselbe angefahren ist, aufspringen, was je- doch nicht gelang. Mittwoch ist Bergmann wieder zu mir gekommen und sagte, ich solle mit ihm nach Haslau fahren, um sich zu überzeugen, ob es möglich t, während der Fahrt abzuspringen. Wir sind danr tatsächlich nach Haslau gefahren, und nach Asch zu Fuß zurückgekehrt. Donnerstag kamen Bergmann und Steiner wieder zu mir. Bergmann sagte, wir fahren wieder nach Haslau und plündern den Post- wagen. Vorher müssen wir aber dem Postamts- diener die Hände binden. Steiner sagte, er könne nicht mitfahren, weil er im Kriege einen hal- ben Fuß verloren habe und infolgedessen nicht absprin- gen könne. Donnerstag abends sind dann Berg- mann und ich nach Haslau gefahren. Wir sind auf der linken Seite ausgestiegen, zum Postwagen vor- gegangen und haben im Bremserhäuschen gewartet bis der Zug aus der Station war. Wir schlichen uns auf der linken Seite zum Postwagenfenster und schauten hinein. Das Fenster war zerschlagen. Der Postamtsdiener stand auf der anderen Seite, wes- hatb wir uns auf die rechte Seite begaben. Bezüglich der Abgabe des Schusses und der Drohung des Berg- mann schildert Waldheim den Vorgang wie in der Anklageschrift. Weiters erzählte Waldheim, Berg- mann habe zwei Flaschen Schnaps mitgebracht, wovon wir eine in Asch am Bahnhof und die zweite im Zug getrunken haben. Nachdem ich den Schuß abgefeuert hatte, entfernte ich mich sofort und sah nur noch, wie Bergmann vom Fenster hineinlangte, um die Waggontür zu öffnen. Ich begab mich aufs Bremserhäuschen, um meinen Hut zu holen, worauf ich dann absprang und mir den Kopf und die rechte Hand aufschlug. Eine zeitlang bin ich auf dem Platz bewußtlos liegen geblieben, habe mich dann gewaschen und ging nach Hause. Auf der Flucht nach Asch kam er in ein Dorf, klopfte dort ans Fenster und hat um Auskunft, wo er sich befinde und in welcher Richtung er nach Haslau komme. Man sagte ihm, daß er in Sirmitz sei und zeigte ihm auch den Weg. Vor Asch wurde er von einem Gendarmen angehalten, der ihn nach Sicherstellung seiner Person weitergehen ließ. Befragt, ob er wisse, wo sich Bergmann befinde, gab er an, von ihm überhaupt nichts zu wissen. Wald- heim erklärte nach wie vor, daß er ganz unter dem Einfluß des Bergmann gestanden hatte und sich vor ihm fürchtete. Bei der Einvernahme des Angeklagten Stei- ner erklärte dieser auf die Frage, ob er sich schul- dig fühle: „ja ich fühle mich schuldig“. Er erzählte: Er wurde wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß mit dem Zuge immer größere Geld- summen befördert werden. Er erzählte das Wald- heim, worauf dieser gesagt haben soll: „Da könnte man mal einen Angriff machen“. Berg- mann, Steiner und Waldheim trafen sich dann ein- al abends am Bahnhof und verabredeten, den Post- beamten zu fesseln und den Waggon zu plündern. Ich habe ihnen jedoch davon abgeredet, habe mir auch nichts gedacht an dem Tage, wie sie mit dem Zuge gefahren sind und die Tat verübt haben. Ich habe mir erst am nächsten Tage etwas gedacht, als ich erfuhr, daß der Postbedienstete erschossen worden sei. An demselben Tage kam dann Waldheims Frau zu mir und sagte, daß Waldheim überfallen wor- den sei. Die Nachmittagsverhandlung begann mit der Ein- vernahme der Zeugen: Zeuge Grimm sagte aus, daß Waldheim seinerzeit in der Kanzlei am Bahn- hof in Asch geäußert habe, ihm reiche das Geld nicht mehr aus, er werde einmal jemand um- bringen und dann nach Amerika gehen. Ob diese Bemerkung im Ernst oder im Scherz ge- sprochen worden sei, könne er nicht beurteilen. An- geklagter Emil Waldheim sei immer guter Laune ge- wesen und machte oft Witze. Letzteres bestätigten auch die Zeugen Anton Waldheim (Vater), die Frau des Angeklagten und sein Freund, die ihm ein glän- zendes Zeugnis über seine bisherige Lebensführung und seine Gutherzigkeit ausstellten. Der Vater des Waldheim behauptete noch, daß sein Sohn unbedingt zu dieser Tat verleitet worden sein müßte, da er vor dem Kriege stets ein braver, rechtschaffener und arbeitsamer Bursche war, und kann ihm kein Mensch etwas Unehrenhaftes nachsagen. Anton Waldheim und auch die Frau des Angeklagten Waldheim sag- ten weiter aus, daß derselbe seit seiner Verwundung häufig über Kopfschmerzen klagte, was auch sein Freund, der Emil Waldheim als seinen aufrichtigsten besten Kollegen schilderte, bestätigte. Der Verteidiger des Waldheim, Dr. Weiner, steilte während der Verhandlung folgende Beweis- anträge: auf Einholung einer Auskunst des Reserve- spitals Bruneck und Einvernahme des Ehefarztes Dr. Murath darüber, daß Waldheim im Jahre 1917 dort Tobsuchtsanfälle hatte; Einholung der Kranken- geschichte vom Spitale in Eaztornia und dem Mi- litärinvalidenhause in Prag; Einvernahme der Louise Fleischmann in Asch darüber, daß Waldheim die vom Zeugen Grimm bestätigte Aeußerung, er werde jemanden umbringen und dann nach Amerika gehen, nicht getan habe. Ferner beantragte der Verteidiger die Einholung eines Gutachtens der medizinischen Fa- kultät in Prag über Waldheim. Alle diese Anträge wurden vom Gerichtshofe abgelehnt. Die Geschworenen beantworteten die Fragen wie folgt: Frage auf Raubmord durch Waldheim, 9 Stimmen nein, 3 Stimmen ja. Frage auf räuberi- schen Totschlag durch Waldheim 12 Stimmen ja. Fra- gen auf Sinnesverwirrung und unwiderstehlichen Zwang zur Zeit der Tat 12 Stimmen nein. Die bezüglich der übrigen Angeklagten gemäß der Anklage gestellten Fragen wurden einstimmig bejaht. Der Gerichtshof fällte hierauf das schon gemeldete Todesurteil. Außer dem Verurteilten, verlor auch dessen Vater bei der Verkündigung des Todesurteils völlig die Fassung. Letzterer fiel, wie die „Egerer Zeitung“ berichtet, fast ohnmächtig auf den Sessel zurück und wurde rasch von den Nächststehenden auf- gefangen. Nur schwer gelang es, den schluchzenden Vater des Waldheim zu beruhigen und aus dem Saale zu führen. Auch des sehr zahlreichen Publi- kums hatte sich bei der Urteilsfällung eine lebhafte Erregung bemächtigt, wozu der Jammer des Vaters des Waldheim nicht wenig beitrug. Nur langsam leerte sich der vollgepfropfte Saal von den Zuhörern, die den Fall lebhaft besprachen. Die Verhandlung wurde um halb 11 Uhr nachts beendet. Kinotheater (Nachrichten der Spielleitungen). Zentraltheater. Einem vielseitigen Wunsche unserer Be- sucher nachkommend, haben wir für Dienstag bis Donnerstag als ausnahmsweise Vorführung das große Blaf Fönß-Drama „Der Pfarrer vom Meere“, die größte und schönste Schöpfung dieses berühmten nordischen Künstlers, eingeschaltet. Gleichzeitig müssen wir aufmerksam machen, daß es uns in diesem Jahre nicht mehr möglich sein wird, ein Werk dieses bedeutenden Genies zu bringen, weshalb alle seine Ireunde und Verehrer Von Dienstag bis Donnerstag, den 21. bis 23. September. Ausnahmsweise Vorführung des großen Olaf Fönß-Oramas: Ein Meisterwerk des großen nordischen Künstlers. Luſtspieleinlage: Gleiche Brüder-gleiche Kappen. „Der Pfarrer vom Meere“. Aus Stadt und Land. Ausschreibung der Gemeindewahl. Die Wahl der Ascher Stadtvertretung findet am Sonntag, den 17. Oktober 1920 statt. Die Ausschreibung der Wahl wird bereits in den allernächsten Tagen er- folgen. Gegen den unerhörten Brotkartensteuer-Standal wehrt man sich auch in tschechischen Bezirken. Der Prager Bürgermeister Dr. Baxa sandte dem Er- nährungsministerium einen Protest, worin es heißt: Durch diese Verfügung wurde die Stadtbevölkerung ungerechterweise belastet, insbesondere der Mittel- stand, die Beamten, Kaufleute, Gewerbetreibenden usw. Die Erhöhung der Mehlpreise würde z. B. bei einer dreigliedrigen Familie eine jährliche Be- lastung von 1064 Kronen, bei einer viergliedrigen mit Vienstmädchen 1416 Kronen und bei einem fünf- gliedrigen Haushalt 1770 Kronen bedeuten. Die Verfügung hat den Charakter einer außerordent- lichen sozialen Ungerechtigkeit, weil z. B. kein Unterschied gemacht wird zwischen einem un- erheblichen und einem großen Vermögen, welches wäh- rend des Krieges verdient wurde. Außerdem wer- den die Zulagen, welche die Arbeitgeber zu zahlen haben, eine neuerliche Preiserhöhung aller Erzeugnisse hervorrufen. Die Vorschrift sei un- kar und kompliziert, wodurch eine allge- meine Unruhe in der Bevölkerung ent- stehe. Als Bürgermeister einer hunderttausendköpfigen Stadt lehnte er im Namen der Gemeindevertretung jede Verantwortung für die Folgen und Verwirrung aab, welche diese Verfügung in der Bevölkerung her- vorruft, und bitte das Ernährungsministerium, die Verordnung neuerlich zu prüfen und sie zugunsten der Bevölkerung abzuändern. — Was in diesem Pro- teste steht, gilt nicht nur für Prag, sondern natürlich auch für alle anderen Städte. — In Asch ist übrigens die Durchführung der skandalösen Sache noch gar nicht möglich, weil die nötigen Drucksorten nicht vor- handen sind. Die Bevölkerung soll nun dieser neuen Schlamperei wegen hungern. Fürwahr, diese Brot- kartensteuer ist das „Meisterstück“ der, Gott seiDank. vom Schauplatze verschwundenen Regierung. Arbeitslosenunterstützung. Aus Prag wird amt- lich gemeldet: Die Verfügung des Ständigen Ausschusses der Nationalversammlung vom 1. September, bestimmt, die Verpflichtung der Bezieher der Arbeitslosenunterstützung ohne weiteres Entgelt jede von der politischen Bezirks- verwaltung im öffentlichen Interesse ihnen zugeteilte Arbeit (hauptsächlich öffentliche Bau-, Reinigungs-, Dienstarbeiten). die ihren Fähigkeiten entsprechen, entsprechend der empfangenen Unterstützung zu verrichten. Bei Verweigerung tritt Verlust der Unterstützung ein. Der Gesuchsteller um Arbeitslosenunterstützung hat eine schriftliche vom Ge- diese Gelegenheit nicht versäumen dürfen. — Ein schönes Reben- programm, darunter das köftliche Lustspiel „Gleiche gleiche Kappen“ ergänzt diesen Spielplan zu einem solchender überalldenbesten Anklang gefunden hat. — :: Zentral-Theater, Asch. :: In schwankendem Kahn. Roman von Anna Wahlenberg. (Nachdruck verboten.) Zuerst schlug Adas Herz jedesmal vor Angst, wenn sie in Ruths Nähe kam oder ihrem kalten stol- zen Blid begegnete. Sie fürchtete die bevorstehende Auseinandersetzung so, daß sie am lieösten auf und davon gelaufen wäre. Als so viele Gelegenheiten zur Aussprache ungenützt vorübergingen, wurde sie schließlich nervös. Warum sagte Ruth nichts? Es war besser, der Schlag wurde gleich geführt, als so darauf warten zu müssen. Vielleicht wollte sie sich noch bis zum Abend gedulden, wo es im Hause still wurde und man si- cher sein konnte, ungestört zu bleiben. Ada wartete mit Beben, bis das Abendbrot vor- bei war und man sich Gute Nacht sagte. Die kleinen Mädchen waren schon zu Bett. Sie hatten sich an diesem Abend früher niederlegen ge- mußt, weil sie am vorhergehenden länger aufgewesen waren. Als Ruth und Ada die Treppe hinaufgin- gen, waren sie ganz allein. „Nun wird sie mich bitten, zu ihr zu kommen,“ dachte Ada. „Sobald wir auf der obersten Stufe sind, sagt sie es.“ Als Ruth oben angekommen war, blieb sie nicht stehen, sondern setzte den Weg zu ihrer Türe fort, als wäre sie allein. Erst als sie die Klinke er- griff, wandte sie sich halb, so daß ihr Blick Ada nur flüchtig streifte. „Gute Nacht,“ sagte sie so kühl und hart, daß Ada ihre Stimme kaum wiedererkannte. Damit war sie verschwunden. Endlich begriff Ada. Ruth war es nicht, die sprechen würde. Wenn niemand anders es tat, würde dieses Schweigen in alle Ewigkeit fortdauern. Sie wartete wohl darauf, daß Ada etwas sagte. Wenn Ada es nicht tat, würde Ruth nur um Jo überzeugter sein, daß sie nicht sprechen konnte, daß sie sich schämte, weil sie etwas Häßliches auf dem Gewissen hatte. Sie mußte wenigstens fragen, war- um Ruth so verändert gegen sie war, denn es war ja undenkbar, daß sie nicht bemerken sollte was alle anderen sahen. Wollte sie es nicht sehen, so geschah es, weil sie sich fürchtete. Dieser Gedankengang Ruths lag vollständig klar vor ihr. Wie sollte es ihr aber möglich sein, davon zu sprechen? Den Oberst in irgend einem anderen Verhältnis zu ihr zu erwähnen, denn als Ruths Vater, erschien ihr schon unmöglich, und das zu erzählen, was vor- gefallen war, noch unmöglicher. Ruth würde viel- leicht nicht verstehen, daß es sich so zugetragen hätte. Es wäre ja zu wunderlich, besonders für seine eigene Tochter, die natürlich glaubte, daß er ihre Mutter nie vergessen könnte. Sie würde sich fragen, ob er nicht allerlei Kunstgriffen zum Opfer gefallen wäre, und sie würde ihren Versicherungen keinen Glauben schenken. Ada wußte ja, daß sie Ruth nicht ins Ge- sicht sehen konnte. Wenn sie sich ihre Unterredung vorstellte, und Ruths offenen, forschenden Blick auf sich ruhen fühlte, der fragte: Sonst nichts? vermeinte sie zu Boden zu linken. Sie konnte ja die häßlichen Gedanken nicht of- fenbaren, die sie gehabt, und noch weniger sagen, was sie durch ihr Schweigen Ruths Vater glauben gemacht hatte. Ebenso wenig konnte sie aber Ruths ehrlichenschönen Augen begegnen und ihre volle Unschuld beteuern. Ruth würde die Unwahrheit in ihren Zügen gelesen haben. Nein, es war ihr nicht möglich zu sprechen und ebenso unmöglich, in dieser Weise zu leben. Am folgenden Morgen war Ruths Haltung die gleiche wenn nicht noch härter und unversöhnlicher, und Ada merkte, daß eine gewisse Unruhe sich in den Zügen des Obersten malte. Um ihretwillen wagte er nicht, Ruth etwas zu sagen, aber sie merkte, wie die Adern auf seiner Stirn schwollen, je weiter das Frühstück vorschritt, als er sah, daß seine Toch- ter keinen Augenblick aufhörte, den Kopf von ihrer früheren Freundin abzuwenden, und Ada begann zu fürchten, daß er versuchen würde, mit ihr selbst zu sprechen, um sie zu trösten und aufzumuntern. Da sie mit ihm noch weniger reden konnte, als mit Ruth, schloß sie sich in ihr Zimmer ein und ver- säumte die Klavierlektionen mit den kleinen Mäd- chen, nur aus Furcht, ihm zu begegnen. Der Ge- danie, der allmählich von ihr Besitz ergriff, war der Wunsch zu fliehen, sich ohne Erklärung und Abschied davonzumachen. Sie grübelte Stunde um Stunde, wie sie es anstellen könnte, um so unbe- merkt und rasch wie möglich zu verschwinden. Während sie die Treppe hinabging, um sich zum Mittagessen zu begeben, hörte sie mehr Stimmen als gewöhnlich aus dem Speisezimmer und unterschied bald die von Sven Grabe von denen der anderen. Gott sei Dank! Es würde eine Ablentung sein, ihm bei Tische zu haben; da war es natürlicher, daß sie still auf ihrem Platze saß. Ueberdies sehnte sie sich nach seinem frischen, fortreißenden Wesen. Es würde ein Ausruhen von all den peinigenden Ge- danken sein, ihn zu hören und einen Menschen in der Nähe zu haben, von dem sie wußte, daß er Teilnahme für sie hegte oder wenigstens einmal ge- hegt hatte. In ihrer Verlassenheit meinte sie, daß sie sich vielleicht nicht zu Boden gedrückt fühlen wür- de, wie jetzt, wenn er ihr nur ein einziges freundli- ches kleines Wort sagen wollte. Wie sie es sich gedacht, so kam es. Bei Sven Grabes munterem Geplauder und übermütigen Ein- fällen belebte sich die Stimmung. Er war der Mit- telpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit; auch Ada- nahm daran teil, und das machte, daß sie sich für den Augenblick nicht so außenstehend und ausgeschlos- sen vorkam wie früher. Aber es dauerte nicht lange; bald wurde sie an die veränderten Verhältnisse erinnert. (Fortsetzung folgt.)
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