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Gekte 2 „Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 200 2. September 1899 schi In der Berliner „Zukunft“ finden wir folgenden Aufsatz, dessen geistvoller Verfasser, Graf Richard Sermage, klares Auge und offenherzige Sprache besitzt: Eines der neuesten Geschichtswerke über Un- garn berichtet, daſs Kaiser Heinrich von Deutsch- land, der den Usurpator Peter Urseolo im Jahre 1042 auf den ungarischen Thron setzen wollte, die Ungarn an der Gran besiegte und bereits den ganzen Westen des Landes eingenommen hatte, dennoch aber nicht wagte, sein Vorhaben auszu- führen, weil die Großen des Landes ihm kund und zu wissen thaten, daſs sie infolge des Blutvertrages mit dem Könighause der Arpad nur einen Prinzen dieses Stammes als Herrscher anerkennen würden. Zwei Jahre darauf wurden die Ungarn abermals vom Kaiser geschlagen und Peter beftieg den Thron; die Großen des Landes und mit ihnen das Volk erhoben sich aber, entthronten ihn und beriefen den Arpad Andreas auf den Thron. Dieser Königstr ue der ungarischen Nation stand von je ein ebenso ausgeprägter Drang nach Unabhängigkeit zur Seite. „Ende des zehnten Jahrhunderts war die Zeit gekommen, da die Un- garn sich entscheiden mussten, ob sie zur morgen- ländischen oder zur abendläadischen christlichen Kirche gehören wollten. König Stefan, später der Heilige genannt, wandte sich aber nicht an die Vermittlung des verwandten deutschen Kaiserhauses, sondern an den damals noch in seiner Macht so beschränkten Papst, damit nicht zu befürchten sei, es könne die Unadhängigkeit Ungarns dadurch leiden.“ So be- richtet Eugen Csudaj. Docent an der Ofen Pester Universität und Chorherr des Prämonstratenser Ordens, also ein Mitglied der streitbaren röm.- kath. Kirche. Gleich diesem Gelehrten aus geist lichem Stande tritt fast die ganze ungarische Geist- lichkeit für die Freihensbestrebungen der Nation ein und unterscheidet sich dadurch vortheilhaft von dem deutschen Clerus in Oesterreich, der, um von der Regierung freie Hand in Schul- und Wahl- sachen zu erlangen, die Verdrängung der Deutschen unterstützt. Der königstreue und zugleich freiheitliche Sinn ist ein Hauptmoment ihrer nationalen Kraft. Dadurch erklärt sich auch, daſs dieselben Männer, die ihm Jahre 1849, vor die Wahl zwischen Dynastie und Freiheit gestellt, sich für die Freiheit entschiedes, dann, nachdem der König die verbrieften Rechte der Nation anerkanut hatte, mit dem Pacte von 1867 die feste Stütze seines Thrones wurden. Damals war Deak der Ritter in der Noth, und bald darauf trat Andrassy dem Föderalismus, der heute so mächtig sein Haupt erhebt, muthig entgegen, als er das Ministerium Hohenwart zu Fall brachte. An diesem Bollwerke brach sich damals die slavische Flut. Wie ganz anders stehen die Dinge aber heute! Seit Deaks Ableben ist der Grundgedanke des Ausgleiches vom Jahre 1867 in Vergessenheit ge- rathen. Koloman von Szell, der alle Gemäßigten unter sein Banner rief und als Nachfolger Deaks begrüßt wurde, stellte ein Programm auf, das den Verband der beiden Reichshälften nur bis zum Jahre 1907 sichert, — Ungarn verzichtet darauf, den mit Macht über Oesterreich hereinbrechenden Panslawismus im Verein mit den österreichischen Deutschen zu bekämpfen. Als vor Jahresfrist das Haupt der jetzt zur Regierungspartei übergetretenen gemäßigten Odpo- sition, Graf Albert Apponyi, in feierlicher Rede erklärte, er könne keiner wirtschaftlichen Theilung das Wort reden, weil auf die wirtschaltliche Trennung die politische Trennung und die bloß Personalunion zwischen Oesterreich und Ungarn folgen würde, da mochte man immer noch hoffen, üngarn werde alles aufbieten, um dem Zersetzungsprozess Einhalt zu thun. Heute steuert Ungarn unter dem Drucke der radicalen Opposition geradezu auf die Personalunion los, — zunächst freilich nur auf einen unerbittlichen wirtschaftlichen Kampf, der aber nur mit der völligen staatlichen Trennung endigen kann. Die Personal- union ist auf die Dauer unmöglich. Sie würde ihr parlamentarisches Dasein vielleicht so lange fristen, wie der Dyaastie eine starke reichstreue Armee mit selbständiger wilitärischer Tradition zu Gebote stünde. Sobald aber dieser Geist des Heeres durch die nationale Absonderung erschüttert wäre, würde die gänzliche staatliche Trennung nur noch eine Frage der Zeit sein. „Nun, so weit sind wir doch noch nicht, und so weit wird es auch niemals kommen!“ rufen hoffnungsfreudige Politiker diesseits und jenseits der Leitha; denn der ungarische Ministerpräsident habe erklärt, das selbständige Zollgebiet sei nur für den Fall in Aussicht genommen, daſs bis zum Jahre 1907 kein regelmäßiges Handelsbündnis ab- geschlossen werden sollte. Aber worauf flützt man sich denn bei der Annahme, daſs im Laufe der nächsten Jahre eine Wendung zum Besseren eistr ten und das Zoll- bündnis zustande kommen werde? Die Gegensätze verschärfen sich täglich, der slavische Ansturm durch- bricht bereits in allen Theilen der Monarchie die Schranken. Das Zugeständnis der Sprachenver- ordnungen ist längst durch neue Zugeständnisse an Tschechen und Slowenen überholt; und so wird das Jahr 1907, in dem die Entscheidung fallen soll, unter derselben Sturmzeichen stehen wie die Gegenwart. Allerdings scheinen die ungarischen Staatswänner ein Auskunftsmittel in petto zu haben. Sagte doch Herr v. Stell im Reichstage: „Wir können die Zollgemeinschaft und die daraus sich ergebenden Zustände, wenn auch nicht in Form eines Bündnisses, dennoch auch ferner aufrecht erhalten.“ Ins Gemeinverständliche übertragen, bedeutet das: offene Zollschranken auf Grund gegenseitiger Reciprocität. Ungarn würde a so im Jahre 1907 Zoll- schranken gegen Oesterreich aufrichten, sie aber offen lassen, so lange es sich aufgrund der Gegen- seitigkeit befriedigt fände. Lider ist nur der Be- griff der Reciprocität sehr dehnbar, denn außer den Zollangelegenheiten gibt es noch viele andere Fragen, die zu Kampfobjecten werden können: das Gl- und Verkehrswesen, Handel und Schiffahrt, insbesondere aber die zu endlosen Plackereien benütz- bare Seuchenfrage. Welchen Standpunkt Ungarn überhaupt in solchen Fragen einnimmt, erhellt aus Szells Worten in derselben Rede: „Es ist ganz gut denkbar, daſs bei getrenntem Zollgebiete eine gemeinsame Bank bestehen könnte, da von 1803 bis 1848 die österreichische Nationalbank in Ungarn ihre Wirksamkeit übte, obgleich Oesterreich von Ungarn durch Zollschranken getrennt war.“ Auch nach dem Jahre 1907 wird Oesterreich die Zoll- gemeinschaft haben können, jedoch nur um den Preis von Zugeständnessen an Ungarn, die zu der Aus- gestaltung des föderalistischen Systems dienen werden. So fördert das constitutionelle Ungarn, das seinen Traditionen untreu geworden ist und mit dem temporären Absolutismus pactiert hat, die Zerreißung des Bestehenden und die Umwandlung der Monarchie in einen Staatenbund. Die Ver- antwortlichkeit dafür trifft weniger die ungarische Nation in ihrer Gesammtheit als die leitenden Männer, von denen noch keiner seit dem Ableben Deaks und Andrassys, die furchtbare Tragweite einer deutsch-feindlichen Politik zu erfassen ver- mocht hatte. Local-Nathrichten. (Personalnachrichten.) Unter den letzt- angekommenen Kurgästen befinden sich: Herr Graf Michael von Karnicki, Gutsbesitz r und Kammer- herr aus Warschau („Grillparzer“); Gräfin Anna Waldstein aus Prag („Hotel gold. Schild“); Herr Professor L Sußmand-Sellborn, Bild- hauer mit Frau aus Berlin („Quirinal“). (Karlsbader Sparcasse.) Im Mo- nate August 1899 wurden von 2399 Parteien 886.575 fl. 50 kr. eingelegt und an 629 Parteien 424.776 fl. 97 kr. zurückgezahlt. Der Gesammt- geldverkehr beträgt in diesem Monate 2,169.800 fl. 59 kr. und der Saldo der Einlagen Ende desselben 12,216681 fl. 18 kr. Die Karlsbader Sparcasse verzinst alle Einlagen bereits vom nächsten Werk- tage an und leistet bei Rückzahlungen die Verzinsung Ungarn am Scheidewege. Meine heurige Nadreise. Von Karl Bernhart, Karlsbad. (Driginal-Beitrag.) (4. Forksetzung.) In scharfem Laufe eilten wir nun auf der wieder mit kantigen und spitzen Steinchen ganz be- deckten Straße abwärts, und das Fahren kühlte doch ein wenig; bald kamen auch sehr spitze Wendungen der Straße, die wegen des nachgiebigen Schotters doppelt gefährlich waren, und richtig; plötzlich flog Teschner mit voller Wucht nieder, und ich, der hinterdrein fuhr, muſste schleunigst der Felswand zusteuern, um ihn nicht zu überfahren; an dem Felsen gieng meine Glocke in Trümmer; alles war das Werk eines Augenblicks. Ich glaubte nun, da Teschner noch nicht auf war, er müsse etwas ge- brochen haben; doch da regte er sich schon und — schimpfte auf die Straße und schalt wegen seiner verschobenen Lenkstange; nur die Hand hatte er sich tüchtig zerschunden. Bei Carrodano hieß es wieder steigen, dann gelangten wir abwärts in ein Fluss- thal und fuhren nun noch 11/2 Stunden in der größten Hitze, stetig steigend der Küste zu. Die Räder waren kaum vorwärts zu bringen; besonders Teschners Rad knackte, knarrte und kreischte, daſs man hätte um die Ohren kommen können; er schwor darauf, daſs sämmtliche Kugellager hin seien und gelobte, eher auf der Bahn heimzufahren, als weiter daherzukommen wie mit einer Kaffeemühle oder einer alten Feuerspritze; mir gieng es nicht viel besser. Gegen Mittag endlich sahen wir Spezia, den größten Kriegshafen Italiens, tief unten liegen und waren dann bald in der Stadt. Ueber sechs Stunden lang hatten wir uns ohne Nahrung auf den Höhen umhergerackert und 72 Klm. zurück- gelegt, darum war das erste die Sorge um gutes Mittagessen. Drohende Wolken zogen auf (sie sen- deten nur wenige Tropfen und verzogen sich nach zwei Stunden wieder); deswegen und wegen unserer Räder beschlossen wir, in Spezia zu übernachten. Die Schuld lag an den Blockketten, die in Genua schlecht geputzt worden waren, infolgedessen sich die einzelnen Glieder nur mit aller Gewalt gegen ein- ander bewegen ließen und sich die Ketten immer bis zum Zerreißen spannten. Wir wuschen sie mit Knochenöl gehörig aus, bis aller Rost entfernt war, zogen Schrauben nach, putzten und ölten u. s. w., und so wurde der Nachmittag verbracht; den schönen Abend benüßzten wir zur Besichtigung der recht hübschen Stadt (40.000 Ew.) und besonders des Kriegs- hafens. Fremden wird die (unentgeltliche) Besich- tigung der Kriegsschiffe gerne gewährt. Wie über- haupt die Verwendung der Elektricität zur Beleuch- tung in Italien viel stärker ist als in den mir be- kannten Länders, so war auch Spezia elektrisch be- leuchtet und gewährte mit seinen meist von weiß- gekleideten Matrosen dicht gefüllten Straßen einen sehr hübschen Anblick. Den nächsten Morgen mussten wir gleich hinter Spezia unsere Maschinen, die wieder „wie geschmiert“ giengen, auf einen ziemlich hohen und steilen Berg (34 Std.) schieben, anfangs durch einen dichten Strom Tausender von Arsenalsarbeitern hindurch; wäre es einem davon eingefallen, schein- bar unabsichtlich in unsere Räder zu treten, wir hätten empfindlichen Schaden und große Verlegen- heit gehabt; solche Bosheit lag den Leuten aber fern; in der Beziehung sind Radfahrer in Italien und auch in Frankreich gut daran. Die etwa 80 Klm. lange Strecke bis Pisa ist mit wenigen Unterbrechungen sehr uneben und fuß- hoch mit Staub bedeckt; sie führt nämlich am Fuße der schöngezackten „Apuarischen Alpen“ mit Gipfeln bis zu 1700 Metern Höhe hin, an deren Fuße die Städte Carrarra, Massa, Pietrosani und Lucca liegen. Das Gebirge ist aus dem schönsten weißen Marmor aufgebaut, und manchmal werden Blöcke von 12.000 Kg. Gewicht auf Karren von 15 Paar Ochsen auf der Straße weiterbefördert, wie ein Deutscher, ein Arzt aus Martinsbruck in der Schweiz, der in Serravezza lebt, dort erzählte. Spaſs machte es uns, zu erfahren, wofür uns der Herr hielt: Mich für einen Doctor, Teschner für einen Hochschüler (im Vorjahre waren Görgl und ich von einer Schweizer Wirtin für reisende Schlossergehilfen gehalten worden, also immerhin ein Fortschritt). Von Massa aus erleichterte uns übrigens ein Bahn- geleise in etwas das Weiterkommen, mittags trafen wir von Viareggio, einem besonders bei den Floren- tinern berühmten Seebade (im Florenzer Bahnhofe
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karlsbader-badeblatt-1899-09-02-n200_3170.jp2