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„Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 195
27. August 1899
Der Schluss der Landtagssession.
Man schreibt uns aus Berlin:
Die Landtagssession, die freilich mit ver-
schiedenen Unterbrechungen sieben Monate gedauert
hat, wird Dienstag oder Mittwoch geschlossen. Trotz
der ungewöhnlich langen Dauer ist nicht sonderlich
viel geleistet worden. Der Etat ist endlich wieder
einmal rechtzeitig fertiggestellt worden, vielleicht nur,
weil man keinen Posten ernstlich zu beanstanden
hatte. Mit dem Etat wurde die Neuregulierung
der Gehälter der Beamten erledigt. Ebenso hat
man, freilich erst am allerletzten Tage die durch die
Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs bedingten
Ausführungs- und Justizgesetze zum Absalass ge-
bracht. Die Vorlage betreffend die Heilighaltung
des Charfreitags, die unerwartet lebhafte Debatten
verursachte, die betreffend die Stellung des Kreis-
arztes, die Errichtung von Ehrengerichten für die
Aerzte, die Pensionierung von Richtern u. s. w.
sind glücklich verabschiedet worden.
Dagegen sind unerledigt geblieben die viel
umstrittene Gemeindewahlreform und die noch um-
strittenere Canalvorlage, welche beide das Centrum
aus tactischen Gründen, die sich als verfehlt er-
wiesen haben, zusammengekoppelt hatte. Die größte
Bedeutung beanspruchte, die größte Aufregung ver-
ursachte, wie man weiß, die Canalvorlage. Ihret-
wegen ist der Landtag sogar im Hochsommer noch-
mals zusammengetreten, aber nur um sie glänzend,
allerdings schwerlich für immer, durchfallen zu lassen.
Vor der zweiten Lesung der Vorlage, die noch-
mals an die Commission zurückverwiesen worden
war, ht der Kaiser selbst in Gegenwart des Reichs-
kauzlers und zahlreicher Minister und Würden-
träger in Dortmund öffentlich, feierlich und nach-
drücklich erklärt, daſs er und die Regierung fest
und unerschütterlich auf der sofortigen Aussührung
des Mittellandcinalprojectes verharrten. In un-
zweifelhaft halbamtlichen Ankündigungen und in den
im Abgeordnetenhause vom Reichskanzler, vom Vice-
Präsidenten des Staatsministeriums v. Mquel ab-
gegebenen wurde erklärt: Gebaut wird der Canal
doch! Die Ablehnung der Canalvorlage würde
eine Wendung in der inneren Politk, eine Ver-
änderung der Stellung der Krone zu den Con-
servativen ꝛc. zur Folge haben. Man schloss daraus,
daſs mindestens das Haus aufgelöst werden und
eine Reconstruction des Ministeriums erfolgen
würde. Nichts von all dem ist geschehen und wird
geschehen. Man erwartete dann wenigstens eine
recht scharfe Thronrede. Aber schon Sonnabend
vormittag hieß s, der Kaiser werde den Landtag
nicht persözlich schließen, der Reichskanzler nicht
einmal eine Thronrede verlesen, sondern nur ein-
fach die Session für beendet erklären. So hieß es
am Sonnabend, an dem Tage, an welchem der
Schluſs der Session erfolgen sollte, die Schluss-
sitzung bereits zweimal anberaumt war und doch
der Schluss nicht erfolgt ist. Ob bis Dienstag
oder Mittwoch, wo nunmehr der Schluss erfolgen
soll, es wieder noch ganz anders kommen wird,
vermag niemand zu errathen. Die Mitglieder des
Landtags werden sehr froh sein müssen, wenn das
possierliche Fangballspiel zwischen den beiden Häusern
nicht noch lange fortgesetzt wird, wenn das Haus
beschluſsfähig ist. Denn sonst ist eine Extrasession
unvermeidlich, da das Gesetz geraume Zeit vor
Ablauf des Jahres angenommen sein muss.
So hat denn der preußische Landtag einen
tragikomischen Schluss gehabt, und das Herren-
haus hat sogar das Vergnügen einer — zweimaligen
Schließung gehabt. —
Local-Nachrichten.
(II. Landesschießen des Verbandes
deutscher Schützen in Böhmen) Es
dürfte sich wohl noch für kein Landesschießen ein
so lebhaftes Interesse kundgegeben haben, wie
für das Landesschießen in unserer Sprudelstadt,
und es ist dies ein Beweis, welcher großen
Sympathien sich die deutschen Schützen Böhmens
überall erfreuen. Aus allen Theilen Deutschlands,
aus ganz O sterreich, ja selbst aus Siebenbürgen
laufen die Anmeldungen ein. Auch der kaiserl.
deutsche Consul Herr Freiherr von Seckendorff hat
sein Erscheinen in sichere Aussicht gest ll'. — Ec-
öffnet wird dieses Fest am 3 September mit einem
Festzug, der um 1 Uhr nachmittags vom Stadt-
park-Restaurant abgeht; am gleichen Tage wird
abends in genanntem Restaurant ein großer Fest-
commers abgeholten. Während der ganzen Fest
dauer wird auf dem Festplatze ein Volksfest ar-
rangiert, und jeden Abend finden Concerte statt.
Geschlossen wird das Schießen mit der Preisver-
theilung im Ku hause, an welches sich ein Festball
anreiht, welcher unter dem Protectorate der Damen
Frau Bürgermeister Schäffler und Frau Dr. Rein-
hard steht. Für diesen Festball hat sich ein Comité
der reizendsten, jungen Damen gebildet.
(Das Wiener Soubretten-En-
semdle) unter der Direction Gothov Grüneke
tritt heute zum letztenmale in dieser Woche im
Etablissement „Saussouci“ auf, weshalb wir auf
das Concert besonders aufmersam machen.
(Gewerbevereins-Ausstellung.) Wie
bekannt wird seitens des genannten Vereines zu
Weihnachten dieses Jahres eine Ausstellung hiesiger
Gewerbeproducte veranstaltet werden. Die An-
meldung hierzu ist eine sehr lebhafte, doch zögern
noch viele Meister, die sich wegen des auszuführenden
Obj ctes noch nicht entschieden haben, mit der
definitiven Zusage. Infolge dessen ist der Aus-
schuſs in seinen Vorarbeiten behindert, da er nicht
imstande ist, einen Ueberschlag über die verlangten
Ausmaße zu machen und den Platz anzuweisen.
Bisher haben sich 41 Meister als Aussteller an-
gemeldet; manche der angemeldeten Objecte werden
von hohem Kunstwert sein. Bei dieser Gelegenheit
wird aber bemerkt, daſs es gar nicht nothwendig
ist, dem Ausschuss die auszuftellenden Gegenstände
namhaft zu machen; es genügt die Angabe des be-
nöthigten Bodenraumes vollſtändig. Es wäre um
so wünschenswerter, wenn sich die Nachzügler und
Unentschlossenen recht bald melden würden, als in
neuerer Zeit der Antrag gestellt wurde, statt der
Sprudelcolonnade die Stadipartrestauration zu ver-
wenden, da dann die Gegenstände durch vier statt
nur durch eine Woche aufliegen bleiben könnten.
Mitte September dürfte der Platz wahrscheinlich
zugetheilt werden; wer also nicht kommt zur rechten
Zeit, der muss warten was übrig bleibt.
(Der Ball der Gastwirtsgehilfen),
arrangiert vom Koch- und Gastwirtsgehilfenverein,
findet am 31. August l. J. in den großen Sälen
des Kurhauses statt und verspricht infolge degroßen
Kartenvorverkaufes besonders zahlreich besucht zu
werden, ebenso haben sämmtliche Hoteliers ihr Er-
scheinen zugesichert. Das gut gewählte Solisten-
concert unter persönlicher Leitung des Herrn Musik-
directors A Labitzky ist ein Anziehungspunkt
allerersten Ranges für Nichttänzer und geht das
Coucirt dem Balle voraus. Die Uferrampe vor
dem Kurhause wird beleuchtet sein. — Ein recht nam-
hafter Ueberschuss wäre dem rührigen Comité zu
wünschen, umsomehr als das Reinerträgnis höchst
nützlichen Jastitutionen zufällt. Der Anfang ist
auf 8 Uhr anberaumt. Das Saal E trée bekrägt
1 fl 50 kr. inclusive schöner Damenspende.
(Bezirkskrankencassa Karlsbad.)
Vorgestern nachmittags 2 Uhr fand im Kurhause
die ordentliche Generalversammlung der Karlsbader
Bezirkskranker cassa statt. Dieselbe war sehr zahl-
reich besucht, indem 76 Delegierte der Arbeitnehmer
und 35 Vertreter der Arbeitgeber erschienen waren.
Als Regierungsvertreter war Herr k. k. Stat-
halterei Conc. Graf von Waldburg-Zeil ar-
wesend. Die Versammlung wurde vom Obmanre
Herrn Ludwig Schurwon nach Begrüßung der Er-
schienenen und Vorstellung des Regierungsvertreters
eröffaet, worauf in die Berathung der Tages-
ordnung eingegangen wurde. Zur Verlesung des
letzten Protokolles wurde nichts bemerkt, worauf
dann vom Cassier Herrn Steidl der Rechnungs-
abschluſs zur Verlesung gebracht wurde. Aus dem-
selben sind folgende Daten zu entnehmen:
Einnahmen: 1. Laufende Beiträge der Mitglieder
Meine heurige Radreise.
Von Karl Bernhart, Karlsbad.
Origtnal-Beitrag.)
(1. Fortsetzung.)
An Naturschönheiten zwar überreich, aber ziem-
lich beschwerlich ist der Weg bis in die Nähe Landecks,
den wir am nächsten Morgen befuhren. Die sich
dort besonders wüthend geberdenden Hunde schreckte
ich alsbald mit einem langen Stecken, den ich mir
abgeschnitten hatte, und mit dem ich auch die häufig
die Straße verstellenden Kinder vertrieb, unterstützt
durch den Gebrauch der denselben verständlichen in-
ternationalen Sprache.
Heiter mag es schon ausgesehen haben, wie ich,
mit hochgeschwungener Fuchtel auf dem Rade sitzend,
oft lange Strecken weit ein Hornthier vor mir her-
trieb. Eine der unangenehmsten Strecke auf der
ganzen Reise war wohl die von Landeck bis zur be-
rühmten Pontlarzer Brücke. Stark staubige, zer-
fahrene, sich neben dem in der Tiefe gewaltig rau-
schenden, eingeengten Inn bald hoch erhebende, bald
steil sich senkende, den glühenden Sonnenstrahlen ganz
bloßliegende Straße und die Begegnung mit den
zahlreichen „Gesellschaftswagen“, die zum oftmaligen
Absitzen nöthigen. Die alte, durch heldenhaften Kampf
aus dem bairischen Erbfolgekriege und dem Jahre
1809 denkwürdige Holzbrücke ist seit dem Vorjahre
durch eine eiserne ersetzt worden; an die Helden-
thaten des Tiroler Landsturmes erinnert eine an der
Felswand angebrachte, „von einem Freunde vater-
ländischer Geschichte“ gewidmete Marmortafel. Nicht
weit davon, bei Prutz, entspringt in einer Felsen-
höhle ein guter Sauerbrunn, der uns trefflich labte.
Das Mittagessen wurde in Ried bei der Frau
Wirtin in der „Post“ genommen, deren gute Ver-
pflegung mir noch vom Vorjahre in bester Er-
innerung war. Vor Befahrung der prächtigen Finster-
münzstraße ftärkten wir uns in Pfunds in einer
erhöhten, gegen die Straße offenen Halle an gutem
Kaffee; da kam ein mit 5 Pferden, 3 vorn, 2 dahinter
bespannter Gesellschaftswagen (solche sind auch in
der Schweiz sehr häufig) von Nauders an mit etwa
30 Personen, die da stundenlang in der Hitze zu-
sammengepfercht gewesen waren, und wie sahen sie
aus! Grau in grau, alles, die Kleider, die Haare,
besonders die der Damen, mit hoher Staubschchte
bedeckt, und alle stürzten wie verzweifelt auf den
neben dem Hause befindlichen Steinbrunnen zu, um
sich zu reinigen und abzukühlen. Welch ein Reise-
vergnügen! „Fremdenmühle“ nannten wir ihren
Marterkasten, weil sie wie Müller aussahen. Dank-
bar blickten wir auf unsere Räder. Nun galt's, auf
13 km fast genau um 400 m bis Nauders (See-
höhe 1362 m) zu steigen, doch fuhren wir ohne ab-
zusitzen, da wir uns auch so der lohnenden Blicke
in die Tiefe und der kühnen Bauart der Straße
freuen konnten. Ohne sonderlichen Aufenthalt setzten
wir von Nauders aus den Weg fort. Noch 1/4 Stunde
Steigung, dann gieng's rasend steil auf vielen Kehren
durch Wald abwärts zum Inn und über eine Brücke
zum Zollamte Martinsbruck, dem schweizerischen
Grenzorte (1019 m), wo wir übernachteten. Im
Zollamte mussten wir je 10·75 Fr. Eingangszoll
für die Räder hinterlegen, den wir beim Verlassen
der Schweiz zurück erhielten. Die erste Reisewoche
war vorüber.“
2. In der Schweiz.
Der Morgen des Sonntags ließ sich meinen
Erwartungen gemäß an, und wir waren nicht lange
gefahren, als es zu regnen begann. Unter dem
vorspringenden Dache eines Wirtshauses suchten wir
vorläufig Schutz; das Geräusch unserer Maschinen
und unser Sprechen erweckte die Wirtin, die neu-
gierig die Thüre öffnete und, als sie uns gewahrte,
Anstalten traf, daſs wir einkehren konnten. Kaum
aber war sie damit fertig, so hörte der Regen auf,
und wir fuhren zum Missvergnügen der Frau
weiter, mussten aber doch einmal, unterhalb Remüs,
einkehren; dann wurde das Wetter schöner. Die
Straße ist günstig, und so gelangten wir bald nach
Schuls und Tarasp, wo eine Unzahl Kurgäfte spa-
zierten und wir in heiterer Stimmung einige An-
sichtskarten schrieben; doch schon lauerte das Unheil
auf uns; ich sah zu sehr in die Höhe, zu den Schnee-
gipfeln empor und achtete nicht auf den schmalen,
staublosen Rand der Straße, auf dem wir fuhren.
Plötzlich ein Ruck, dann fühle ich, daſs das Treten
sonderbar geht, ich war mit dem Pedal an einen
der Holzpflöcke gestreift, welche die Straße an der
Flussseite einsäumen, und hatte die Kurbel arg ver-
bogen; alles Bemühen in der schon ziemlichen
Sonnenwärme, die Sache halbwegs in Ordnung zu
Dateiname:
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