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13. August 1899
„Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 184
Sete 17
Telegrapsiische Naciriciten.
Der Dreyfus-Process in Nennes.
Paris, 12 August. (Meldung der „Agen.
Havas“.) Im Kriegsministerium ist man darüber
im Unklaren, wieso das Gerücht, Metcier werde
wegen Verbreitung von Staatsgeheimnssen ver-
haftet werden, entstanden ist. Man dem rkt dies-
bezüglich, dass der Vorsitzende Josaust, wenn
nöthig, die Verhandlung stets geheim erklären könne.
Paris, 12. August. Im „Echo de Paris“
thilt Quesnay de Beaurepaite mit, dass er vom
Vorsitzenden des Kriegsgerichtes in Reunes ein
Schreiben erhalten habe, in welchem er ersucht
wird, die in der von ihm geführten Untersuchung
vernommenen Zeugen aufzufordern, ihre Erklärun-
gen dem Kriegsgerichte einzusenden, damit der Vor-
sitzende nach deren Prüfung gegebenenfall ihre
Vorladung versügen könnte. Qusnay bemerkt, er
habe das Nöthige veranlaßt.
Rennes, 12. August. Der Präsident fragt
Dreyfus, warum er am 18. Jänner 1895 auf der
Insel Ré eine Copie des Borderau in seiner Tasche
hatte. Dreyfus erwidert, dies sei der Fall
gewesen, weil er den Wortlaut des Borderaus, von
dem er nur während der geheimen Verhandlung
Kenntnis erhalten hatte, in Erinnerung behalten
wollte. Präsident: Dazu waren Sie berechtigt,
da das Gesetz für den Angeklagten und seinen Ver-
theidiger Copien von Actenstücken zugesteht. Regierungs-
commissär Carrière läßt hierauf durch den
Greffier aus dem Berichte des Dr. Ranson jene
Stelle verlesen, welche die Maßnahmen für die
Ueberführung Dreyfus' von der Insel Ré nach
Cayenne betrifft. Im Berichte heißt es, daß Dreyfus
an Bord des Schiffes oft auf einem Schemel saß
und Thränen vergoß. Niemand habe ihn ansprechen
dürfen. — Hierauf wird ein Protest des Dr. Ranson
gegen die Worte verlesen, welche ihm ein Pariser
Journal in den Mund gelegt hat. Dr. Ranson
erklärt, die ihm zugeschriebenen Worte seien eine
reine Erfindung. Hierauf wird zum Zeugenverhör
geschritteu. Als erster Zeuge wird der Botschafts-
secretär der französischen Botschaft in Berlin,
Delaroche-Bernet, vernommen.
Rennes, 12. August. (Priv.) Unter außer-
ordentlicher Spannung des Publikums betritt der
frühere Präsident der Republik Casimir Perier das
Podium. Nach Abnahme der Generalien leistet er
den Eid. Casimir sagt dann: Ich habe geschworen,
die ganze Wahrheit zu sagen urd werde mich be-
mühen, die Ueberzeugung herbeizuführen, daſs ich
alles gesagt habe und nichts mehr weiß als ich
gesagt habe. Casimir Perier sagt ferner Mercier
habe ihm von dem auf Dreyfus gefallenen Ver-
dacht Mittheilung gemacht. Gleichzeitig sprach Mer-
cier mit ihm von dem Schriftstück mit den Worten
„Cette canaille de D.“ Aber vor dem Proceß
verstand ich nicht, was es für eine Bewandtnis
damit habe. Casimir Perier erzählt nun den be-
kannten diplomatischen Zwischenfall mit dem deut-
schen Botschafter und theilt dann mit, daſs Mercier
ihm den Capitain Lebrun-Renault gesandt habe,
derselbe habe ihm aber von keinem Geständnisse
Mittheilung gemacht. Bezüglich seiner Demission
erklärt Casimir Perier bestimmtest, daſs dieselbe
keineswegs auf einen diplomatischen Zwischenfall
mit Deutschland zurückzuführen sei. Weiters ver-
sichert er, daſs General Mercier ihm vom Ge-
ständnisse Dreyfus' erst 4 oder 5 Tage nach der
Audienz des Capitains Lebrun-Renault gesprochen
habe. Casimir Perier fährt dann fort: In seinen
Briefen spricht Dreyfus von einem gegebenen
Worte. Ich protestiere mit Entrüstung dagegen
und verlange vom Kriegsgerichte, sofort zu unter-
suchen, wer gelogen hat. Dreyfus: Ich habe das
ja niemals geschrieben. Sodann wird General Mercier
vorgenommen. Mit großer Breite erzählt er erst
von den Entwendungen im Kriegsministerium und
wie gewisse Informationen auf die Spur Dr.yfus
führten. Es seien ihm mehrere Zeitelbriefe zu-
gekommen und durch den Zettel mit den Wor-
ten: „Cette canaille de D.“ wurde der
Verdacht auf Dreysus bestätigt. Dann ver-
liest Mercier zwei Briefe Dreyfus'. In einem
derselben macht Dreyfus Anspielungen auf ein Ver-
sprechen, welches Casimir Perier gemacht hätte, die
Verhandlung gegen Dreyfus nicht geheim zu führen.
Der im Saale anwesende Casimir Perier erbittet
sich das Wort und sagt: Das ist der Brief, von
dem ich in meiner Einvernahme sprechen wollte.
Ich verlange Erklärungen darüber. Merci r: Ich
für meinen Theil glaube kein Wort von sisr Be-
hauptung. Casimir Petier: Ich danke Ihnen! Mercier
spricht sodans von Briefen des italienischen Miltät-
atlache an seine Regierung und von der Entdeckung
einer Zeitung im Schlafzimmer des Kaisers
Wilhelm, auf welcher der mit rothem Stifte
unterstrichene Vermerk stand: Dreyfus ist gefan-
gen. Sodann geht er zu den geheimen
Schriftstücken über und ruft: Ich werde
alles sagen. Wenn ich es vor dem Cassations-
hofe nicht gesagt habe, so geschah das, weil ich
ihm nicht das Recht zuerkannte, mir solche Fra-
gen zu stellen. Man muss vor allem die poli-
lische Situation von damals ins Auge fassen.
Damals drohte ein durch einen diploma-
tischen Zwischenfall hervorgerufener Conflct.
Casimir Petier schüttelt verneinend den Kopf.
Mercier: Wir standen krapp vor einem Kriege.
Ich gab die geheimen Acteustücke in ein Couvert
richtete sie an den Präsidenten des ersten Kriegs-
gerichtes mit der moralischen Erlaubris, sich der-
selben im Bedarfsfalle zu bedienen. (Große Be-
wegung.) Metcier: Ich weiß übrigers noch nicht,
ob diese Schriftstücke den damaligen Kriegsrichtern
thatsächlich mitgetheilt worden sind. (Erneuerte
lebhafte Bewegung) M rcier wiederspricht dann der
Aussage Casimir Periers bezüglich Lebrun Re-
nault's, wobei Casimir Perier wiederholt Zeichen
des Protestes gibt In weiteren Verlaufe verliest
Mercier einen Brief des deutschen Botschafters
Grasen Münster an den Obersten von
Schwarzkoppen. Eadlich erklärt Mercier,
daß Freycinet behauptet habe, daß 30 bis 35 Mil-
lionen aus Deutschland und England nach Frankreich
geschickt worden seien, um die Kosten der Dreyius-
cawpagne zu decken. (Groß- und lebhafte Heiterkeit
im Publikum) Die Sitzung wird dann unterbrochen.
Nach der Unterbrechung diskutirt Mercier das
Bordereau vom technischen und grammatikalische
Standpunkte aus und bestreitet, Casimir Perier
gesagt zu haben, daſs die im Borderen namhaft
gemachten Schriststücke unwichtig seien. Er produ
ciert einen Brief eines Generals, nach welchem
Dreyfus ungeachtet des strengen Verbots während
einer Voilesung dieses Generals über den Coxcen-
trierungsplan Notizen gemacht habe.
Reunes, 12. August. 7 Uhr 24 Min. Früh.
Zu Beginn der heutigen Verhandlung klärte Dreyfus
den Besitz der auf der Insel im Futter seiner
Kleidung vorgefundenen Abschrift des Bo derean
auf. Sodann beginnt das Zeugenverhör mit der
Einvernahme des Secretärs der französischen Bot-
schaft in Berlin Delaroche Vernet.
Rennes, 12. August. General Mercier,
welcher seine Aussagen mit leiser Stimme abgibt,
kommt auf die Spionagef cten zu sprechen, welche
im Jahre 1894 durch das Nachrichtenbureau ge-
meldet wurden. Er forderte den Oberst Saadher
auf, ihm ein Actenstück zu zeigen, aus welchem zu
ersehen sei, in welcher Weise die Spionage in
Franlreich durch Oderst Schwarzkoppen organisiert
sei. Der Greffier verliest nun einen Brief Schwarz-
koppens, in welchem er von einem Manne spricht,
der die Pläne der Maas liefern soll. Die Kennt-
nis dieses Briefes, sährt Mercier fort, ließ ferner
keinen Zveifel mehr, daſs Verräthereien begangen
wurden. Er habe deshalb seinen Collegen, den
damaligen Minister des Aeußern gebeten, vom
deutschen Botschafter zu verlangen, daſs das vom
deutschen Militärattaché geübte Spionagesystem ein
Ende nehme. Jnzwischen habe er (Merciet) dem
Nachrichtenburezu empfohlen, die Wachsamkeit zu
verdoppeln. Es gelangt ein Schriftstück zur Ver-
lesung, in welchem es heißt: „Schwarzkoppen muss
einen Freund im zweiten Bu eau haben. Cette
canaille de D. lieferte 12 Pläne“ u. s. w.
Ein zur Verlesung gebrachter Brief Panizzar-
dis besagt: Man hat uns viele interessante Stücke
gebracht. Wir müssen die Arbeit theilen, denn wir
haben nur zehn Tage Zeit. Es gelangte weiter
ein Schriftstück zur Verlesung, in welchem einer
mündlichen Mittheilung von X an den Agenten
Guige im Jahre 1894 Erwähnung gethan wird.
Es handelt sich um zwei Spione, die gemeinsam
arbeiteten. Man muss es dem Major Henry mit-
theilen, heißt es in dem Schriftstücke, daſs sie von
einem Offieier des Generalstabes, ihre Nachrichten
erhalten. Mercier fährt fort, er habe eine Unter-
suchung angeordnet. Zunächst sei auf Dreyfus
kein Verdacht gefallen. Er sei erst auf Dreysus
aufmerksam geworden, als am 20. oder 21. Sep-
tember 1894 der gewöhnliche Agent auf der deut-
schen Botschaft ihm das Bordereau überbrachte.
Mercier habe sich nun direct zum Präsidenten der
Republik begeben, ohne erst dem Ministerrathe
hievon Mittheilung zu machen. Nach einer Be-
sprechung mit dem Präsidenten der Republik sei
er zum Miaisterpräsidenten gegangen und mit
diesem dahin übereingekommen, mit der größten
Vorsicht und im Einvernehmen lediglich mit den
direct interessierten Ministern vorzugehen, um nicht
auswärtige Mächte in die Sache zu verwickeln und
die Beziehungen zu diesem zu compromittiren.
Meccier wirft einen Rückblick auf die Untersuchung
welche zur Verhaftung des Dreyfus führte und
sagt, daſs er, als es sich um die Vornahme dieser
Verhaftung handelte, dringlich die Einberufung des
Ministerrathes verlangt habe.
(er Gléffter verliest ein Schreiben des da-
maligen Ministerpräsidenten Dupey an Mercier
in welchen er sich dagegen verwahrt, Mercier
Schwierigkeiten gemacht zu haben, wie gewisse
Blätter es behauptet hatten und bestätigt dass die
Verfolgung Dreysus vom Ministerrathe einstimmig
beschlossen wurde. Zeuge (Mercier) versichert,
er habe gemeinschaftlich mit Dupuy dem Präsi-
denten der Republik von diesem Beschlusse
Kenntnis gegeben. Es gelangt sodann der Bericht
über das Betragen Dreyfus' auf der Teufelsinsel
zur Verlesung. In diesem werden jener Worte
Dreysus' Erwähnung gethan, welche derselbe ge-
sprochen haben soll, nämlich daſs er sich gegenüber
Cafi mir Périer mit seinem Worte verpflichtet habe,
während der öffentlichen Sitzungen nichts zu ent-
hüllen. Er habe noch Ausfälle gegen seinen Bruder
und seine Familie gemacht und hinzugefügt: Meine
Familie hat noch nichts erzielt und sie hat ihr
Vermögen ausgegeben. Mein Wort, das ich
Casimir Pécier gegeben, habe ich gehalten.
Casimir Périer erhebt sich rasch und
den Gréffier unterbrechend, ruft er: „Ich protestire
gerade gegen di se Behauptung. Oberst Jonaust:
Man wird die Sache untersuchen, wie Sie es
verlangt haben. Mercier: nichts kann mich
glauben machen, daſs der Präsident der Republik
das gethan hat, was in diesem Schriftstücke
erwähnt wird.
Casi mir Périer: Ich danke Ihnen für dieses
Zeugniß! Damit ist der Zwischenfall erledigt.
Mercier wendet sich wieder zur Besprechung der
Depesche Panizzardi's u. erklärt, wenn er nicht an
die Schuld Dreyfus geglaubt hätte, würde er ihn
nicht haben verhaften lassen. Er vertheitigt sich
sodann gegen den Vorwurf, den man ihm bezüglich
der Mittheilung des Aktenstückes „Cette canaille
de D.“ an das Kriegsgericht machte. Um sich
darüber Rechenschaft zu geben, fahrt Mercier fort,
was im Jahre 1894 geschah, muss man wissen,
wie die politische Lage im damaligen Augenblicke
beschaffen war. Casimir Perier zog sich damals
hinter seine constitutionelle Unverantwortlichkeit
zurück um dem Botschafter nicht zu antworten und
überlies die Sorge hiefür Hanoteavx P rier hatte
Ihnen auch nicht gesagt, dass Dupuy und ich bis
nach Mitternacht unter einem Cabinete im Elysée
verblieben und die Mittheilung der zwischen Kaiser
Wilhelm und dem Botschafter gewechselten Depeschen
abwarteten. Wir fragten uns, ob der Austausch dieser
Depeschen Krieg oder Frieden mit sich bringen werde.
Es war sicher, daſs die Lage sehr ernst war und daſs
Graf Münster Ordre erwartete, seine Pässe zu ver-
langen. Ich meinerseits hatte den Chef des General-
stabes Botsdeffre beauftragt, sich mit einer gewissen
Anzahl von Officieren im Ministerium in Per-
manenz zu halten, um im gegebenen Falle bereit
zu sein, unsere Mobilisierung ins Werk zu setzen.
Sie sehen meine Herren, mir standen knapp vor
dem Kriege. In diplomatischer Hinsicht waren wir
in großer Unsicherheit darüber, ob Ruſsland ver-
eint mit uns gehen würde. Wir müssten also alles
thun um einen Krieg zu vermeiden und anderer-
Feits konnten wir die Mitglieder des Kriegsgerichtes
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