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„Karlsbader Vadeblatt und Wochenblatt“ Nr. 82
10. April 1898
dictat zustande kommt, ist es der Regierung lieber,
als jere festgefügte Majorität, die selbst eine Macht
ist. Daran arbeitet Graf Thun, und wie die
Sache aussieht, wird ihm die Arbeit auch gelingen.
Die Osterhoffnungen der Deutschen hat der Abg.
Schönerer gründlich zerstört; stolz braucht er darauf
nicht gerade zu sein.“
Zur Situation.
Die Situation wird erst Ostermontag ihre
Klärung erfahren. Bis dahin hat der Präsident
der Vereinigten Staaten seine Botschaft an den
Kongreß verschoben. Ob er dieß gethan hat, um
den Amerikanern auf Cuba Zeit zu lassen, die Inseln
zu verlassen, ob er es gethan hat, um Zeit für
Rüstungen zu gewinnen oder um die Gemüther sich
mehr beruhigen zu lassen oder endlich mit Rücksicht
auf die Intervention der Mächte, das ist sehr schwer
zu entscheiden. Jede Version hat ihre Anbänger.
Leider hat sich die Situation in dieser Pause an-
scheinend etwas verschärft. Die Familie des ameri-
tanischen Gesandten hat Madrid verlassen, der Ge-
sandte selbst sollte gestern abreisen und auch sonst
wird über Vorkehrungen der Vertretungen beider
Länder berichtet, die dem Abbruch der diplomatischen
Beziehungen voranzugehen pflegen. Indessen können
dies immer doch nur Drohungen sein. Man darf
sich jedoch nicht verhehlen, daſs die Situation eine
äußerst kritische ist und daſs die Entscheidung nun-
mehr unmittelbar bevorsteht.
Die Vertreter Englands, Frankreichs, Deutsch-
lands, Oesterreichs, Italiens und Rußlands statteten
dem Präsidenten Mc. Kinley im Weißen Hause
einen Besuch ab. Der englische Botschafter über-
reichte im Namen der Vertreter der übrigen Mächte
folgende Note: Die unterzeichneten Vertreter sind
gehörg ermächtigt, im Namen ihrer Regierungen
einen dtingenden Appell an die Gefühle der Hu-
manntät und der Mäßigung des Präsidenten der
Vereinigten Staaten und des am rikanischen Volkes
bei den gegenwärtigen Differenzen mit Spanien zu
richten. Sie hoffen lebhaft, daſs neue Unterhand-
lungen der beiden betheiligten Regierungen zu einer
Verständigung führen werden, welche, indem sie die
Erhaltung des Friedens sichert, alle nothwendigen
Bürgschaften für die Wiederherstellung der Ordnung
auf Cuba gewähren wird. Die Mächte zweifeln
nicht, daſs der selbstlose, rein humanitäre Character
ihrer Vorstellungen von der amerikanischen Nation
vollkommen anerkannt und gewürdigt werde. Prä-
sident Mc. Kinley erwiderte: Die Regierung der
Vereinigten Staaten erkennt die Gefühle guten
Willens an, von denen die freundschaftliche Mit-
theilung der Mächte eingegeben ist und die in der
von Enten Excellenzen überreichten Adresse zum
Ausdruck gelangen. Die Regierung theilt die darin
ausgedrückte Hoffnung, daſs das Ergebnis der gegen-
wärtigen Lage auf Cuba die Aufrechterhaltung des
Friedens zwischen den Vereinigten Staaten u. Spanien
sein werde, die erreicht werde mit Hilfe der nöthi-
gen Garantien für die Wiederherstellung der Ocd-
nung auf Cuba und für die Beendigung des
chronischen Unruhezustandes der Insel, der den
Interessen der amerikanischen Nation so vielen Ab-
druch thut und ihre Ruhe bedroht durch die Natur
und die Folgen des vor unseren Thoren unter-
haltenen Kampfes der Nation empört. Die Re-
gierung würdigt den humanitären und uninteressier-
ten Charakter der Mittheilung der Mächte; sie ist
überzeugt, daſs die Mächte die selbstlosen und auf-
richtigen Bemühungen der Vereinigten Staaten
würdigen werden, eine Pflicht der Menschlichkeit
zu erfüllen, indem sie der Lage ein Ende setzen,
deren unbegrenzte Verlängerung unerträglich ist.
Die Vertreter begaben sich hierauf nach dem
Staatsdepartement, wo sie mit dem Staatssecretär
Sherman und dem stellvertretenden Secretär Day
Berathung pflogen.
Der Kaiser von Oesterreich soll nach einer
„Times“-Meldung folgenden vermittelnden Vor-
schlag gemacht haben: Cuba solle in ein gleiches
Verhältnis zu Spanien treten wie Egypten zur
Türkei. Cuba würde somit eine ähnliche Autonomie
erhalten wie Egypten, mit Zahlung eines jährlichen
Tributs an Spanien. Die Union würde die Con-
trole der cubanischen Finanzen erhalten und die-
selbe Stellung in Cuba wie England in Egypten
einnehmen. Eine besondere finanzielle Organisation
solle dahin getroffen werden, daſs die Union als
Controlmacht eine spanische Anleihe garantiert, die
leicht zu drei Procent Zinsen, welche durch den
cubanischen Tribut gedeckt wären, emittiert werden
könnte. Das Anleihecapital könne zwischen Spanien
und Cuba vertheilt werden, die beide finanzielle
Hilfe brauchten, vielleicht ein Drittel an Cuba und
zwei Drittel an Spanien. Dieser Vorschlag soll
bereits einer der beiden Mächte mitgetheilt worden
sein.
Local-Nachrichten.
(Ostern!) An die Schwelle des sproßenden
Lenzes haben altgermanischer Brauch und christliche
Sitte das Osterfest als ein wahres Frühlingsfest
gestellt. Die Schmerzen des Winters und die
Lamentationen der Passionswoche sind vorüber, die
ganze Natur ist auferwacht, Auferstehung der Natur
bringen diese Tage. Und wie in so vielen Fällen
ist auch hier die Natur die weise Lehrerin der
Menschen und beziehungsreiche Fäden knüpfen sich
zwischen dem geheimnisvollen Walten der Natur-
kräfte und dem unergründlichen Wirken der Schicksals-
mächte. Gibt es nicht Zeiten in unserem Leben,
in denen wir verzweifelnd emporschauen gegen
Himmel, dessen trübes Gewölk wir nicht durch-
dringen können? Kein warmer Sonnenstrahl trifft
milde unser bekümmert Herz, kalt und eisig wenden
sich die unerprobten Freunde, auf die wir uns
verlassen zu können glaubten, von uns, und wie
eine erstarrende Eisschicht legt es sich um unsere
Brust ... Kein trostreicher Ausblick! Bleich und
todt wie die unendliche Schneedecke zeigt sich dem
kummervollen Auge die Bahn des Lebens, die noch
weiter zu gehen ist. Da kommt, überraschend wie
mitunter der Frühling selbst, die Sonne....
Das Gewölke zerreiſst, der Schnee schmilzt, der
Eispanzer um unsere Herzen löst sich: die Paffions-
woche unserer Leiden hat ein Ende. Die Hoffnung
sprießt wieder in unserem Inneren, mit der Bläue
des Himmels scheint auch dem Auge der Glanz
wiedergekehrt zu sein: Auferstehung der Natur,
Auferstehung der Hoffnung und Auferstehung des
Menschen. Drum nicht verzagen in Noth und
Kummer! Sich nicht willen“ und krastlos dem
unfreundlichen Schicksal ergeben, sondern kämpfend
hoffen und hoffend kämpfen, dann werden wir auch
stets das Fest der Auferstehung heiteren Sinnes
feiern; „das Herz hat auch sein Ostern“, ruft der
Dichter, und allen unseren Freunden wünschen wir
daſs dieses Dichterwort an ihnen zur Wahrheit
werde und ihnen beschieden seien frohe und schöne
Ostern!
(Kirchenmnsik). Am heutigen ersten Oster-
feiertage nach der um 1/210 Uhr beginnenden Predigt
werden die Messe in A und D (Soloquartett:
Fräulein Franziska Krauskopf, Sopran, Fräulein
Bertha Lucka, Alt, Herr Hans Stolz, Tenor, Herr
Emanuel Feige, Baſs) von Fritz Knoll (Manuscript),
das Graduale „Haec dies“ für Tenor-Solo (Herr
Haas Stolz) von Mehul und das Offertorium
„Terra tremuit“ von Förster zur Aufführung ge-
langen. In der um 3 Uhr nachmittags begin-
nenden Vesper werden die vorgeschriebenen Psalmen
aus der Vesper von Moritz Brosig op 23 und
das „Regina coeli“ aus C. Ett's „Cantica sacra“
gesungen werden. — Am morgigen zweiten Oster-
feiertage werden im Hochamte nach der um 1/210 Uhr
beginnenden Predigt die Festmesse in D' von Karl
Kempter op. 9, das Graduale „Haec dies“ von
Franz Z. Skuhersky op. 32 und das Offertorium
„O salutaris hostia“ op. 5, Solo für Alt mit
Örgelbegleitung, gesungen von Fräulein Marianne
Stark, componiert von Gejangsprofessor Herrn
Josef Krch, dzt. Kurgast, aus Freiwaldau (Oesterr.“
Der
Schlesien) zur Aufführung gelangen.
(Die Saison rückt nahe!)
16. April als Saisoneröffnung zwingt zwar auch
zerhofer vergleicht, so findet man diesen Umstand
wohl am besten erhärtet.
In der, von den Hauptrepräsentanten der bai-
rischen Barocke, den ganz decorativ empfindenden
Gebrüdern Asam errichteten und äußern phanta-
stisch ausgeschmückten Johanneskirche in Mänchen
sind alle architectonischen Glieder in unnatürlicher
Bewegung, die Säulen gewunden, alle Bautheile
mit goldstrotzenden Ornamenten überwuchert: Bild
und Stuck bilden eine fast ununterbrochene Reihe;
sogar die kleinen blinden Fenster wirken den Künst-
lern zu ruhig, weshalb sie zur Hälfte mit Poi-
tieren überhäuft erscheinen; die Decke ist über und
über bemalt. Gruppe drängt sich an Gruppe;
ganze Stadttheile erscheinen hinter den Figuren,
überragt von colossalen, perspectivisch gezeichneten
gothischen Thürmen, Pyramiden u. s. f.
Die Gesammt-Wirkung des Interieurs ist
blendend und betäubend.
Wie ganz anders schafft der österreichische
Meister Prandauer seine Stiftskirche zu Melk.
Die Grundform ist wenig abweichend von dem je-
suitisches Langhans, allein die Decoration ist eigen-
artig: lieblich, zart erheiternd, kurz echt österreichisch.
Das Können Prandauer's, der sich durch eigene
Kraft vom Maurerpolier emporgearbeitet hatte,
liegt in der Kleinarbeit, diese aber ist unübertroffen
und heute noch Musterbild. Wohl am ganzen
Erdeurund gibt es kein kirchliches Junere, das
einen derart erheiternden, friedlich anmuthigen Ein-
druck macht, wie das von Melk, keines, in welchem
sich die meisterhaft modellierten Kinderfiguren so
natürlich von den Säulen und Simsen ablösen und
bewegen. Alles Detail athmet Liebenswürdigkeit
und Freude. Die traulichen, wunderlieblich und
zart decotierten chorartigen Ausbauten athmen echt
österreichischen Geist und gleichen fast lauschigen
Laub n.
Der Hauptbau des Christov Dienzenhofer, die
Sct. Nicolauskirche auf der Kleinseite in Prag, von
welcher bei der Besprechung der Bauten seines
Sohnes Kilian Ignaz ausführlicher gehandelt werden
wird, spiegelt in seinen gewaltig bewegten, drang-
vollea Hauptformen, den massigen Gliederungen,
himmelhohen Räumen und den darin postierten
kampfeslustigen Hauptfiguren die streitbare Kirche
wieder, die sich rächend auf die Ketzer stürzt. Ich
möchte dieses Gotteshaus nicht nur als die „saftigste
und kräftigste“ Blüte der Barocke auf deutscher Erde,
sondern auch als die treffendste monumentale Illustra-
tion der gewaltthätigen Gegenreformation bezeichnen.
Wie aber jedes Zuviel an Wildheit und Deco-
ration stets eine heilsame Reaction hervorruft, so
war es auch in dieser Epoche der Fall.
Es erstanden wieder Meister, die die Schönheit
eiges Baues in der Reisheit und Originalität der
Constructiou suchten und die Decoration möglichst
mieden. Einer derselben ist der Dresduer Architect
Bähr, dessen protestantische Frauenkirche von außen
eher einer schmucklosen, aber gewaltigen Burg, denn
einer Kirche gleitzt und deren ziemlich kahles und
nüchternes Innere fast den Eindruck eines Amphi-
theaters macht Bewunderungswürdig ist bei der
Maßigkeit des Baues die Höhe der Kuppel. Auch
der Grundriss ist die That eines Genie's Die
Kunstschriftsteller bezeichuen dieses Gotteshaus als
die gelungenste protestantische Kirch- Deutschlands.
Im Altare allein konnte sich der Meister — wenn
derselbe überhaupt von ihm componiert worden sein
sollte — noch nicht völlig von der Decorationslust
des Südens losreißen, die anderen Bautheile aber
sind groß gedacht und schmucklos aufgebaut. Der
Bau wirkt echt norddeutsch: gernſt, stolz und kalt.“
Auch die katholische Decanalkirche zu Karlsbad
ist ein Beweis des erfolgten Rückschlages, denn wir
finden dieselbe, innen wie außen, nur mit den noth-
dürftigsten Ornamenten geschmückt.
Öbwohl aber beide Bauwerke, die Karlsbader
und die letztgenannte Dresduer Kirche von derselben
reactionären Kraft gezeigt wurden, beide neue
Grundrisse und großartige Kuppricoastructionen
aufweisen, beide der Decoration fast ganz entsagen,
sind sie dennoch völlig ungleiche Zeitgerossen, die
in trefflicher Weise die ord', und Juddeutsche Kunst-
epräsentiren. Dort Ernst und Würde, kalter Stolz,
rhabenheit und Nächter heit, hier Licht, Beweglich-
ki, Schwung und Wärme.
Durch diese wenigen angeführten Beispiele ist
die Verschiedenheit des auf naheliegenden Gebieten
herrschenden Geschmackes wohl zur Genüge erwiesen.
Un das Obengesagte kurz zu resumiren, finden wir
um die Zeit unseres Kirchenbaues in Böhmen das
reine arch tectonische Empfinden der im 16. und
17. Jahrhundert aus dem Italienischen einge-
wanderten, meist priesterlichen Baukünstler fo t-
erhalten, in Oesterreich und Südbaiern die Architec ur
Dateiname:
karlsbader-badeblatt-1898-04-10-n82_3650.jp2