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Nr. 65
Sonntag den 20. März 1898
XXII XXxVIII. Jahrgang
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(Von einem Reichsrahtsabgeordneten.)
Die Eröffnung des Reichsrathes steht un
mittelbar bevor. Die Constituirung des Abgeordneten-
hauses, die Wahl des Präsidenten und seiner zwei
Stellvertreter ist schon derzeit Gegenstand der Be-
rathungen der verschiedenen Parteien. Einzelne
Beschlüsse drangen in die Oeffentlichkeit. So heißt
es, daſs von den vereinten Parteien der ehemaligen
Majorität: dem Polenclub, dem Club der Jung-
tschechen, der katholischen „Volkspartei“ und den
böhmischen Feudalen der Salzburger Abgeordnete
Fuchs zum Präsidenten vorgeschlagen werde.
Vom Abg. Kramarsch heißt es, dass er sich alle
mögliche Mühe gebe, wieder die Stelle eines Vice-
präsidenten zu erlangen. Der unvergessliche
Abrahamowicz soll den Wunsch, der sich heiss
in seiner Brust erhob, wieder Präsident zu werden,
angesichts des Umstandes, daſs auch die Mitglieder
des Polenclubs ihn hiebei nicht unterstützt hätten,
mit bitterfüßer Empfindung aufgegeben haben.
Die Regierung heißt es, wünscht, dass eine Stelle
im Präsidium einem Mitgliede der oppositionellen
Clubs vorbehalten werde und soll dieselbe einem
verfassungstreuem Großgrundbesitzer angetragen
haben.
Unsere Gesinnungsgenossen sind in keiner
Weise verantwortlich für die Personen, die aus der
Urne des Hauses als Leiter der Verhandlungen
hervorgehen werden. Doch lernen lässt sich gar
Manches aus den Namen der Persönlichkeiten,
welche von unseren Gegnern für das Präsidium
bestimmt werden. Dr. Fuchs als Präsident! —
Offenbar will man um jeden Preis einen Deutschen
auf den Präsidentenstuhl des Hauses bringen. Es
ist dieses wohl der Lohn dafür, daſs die Deutschen
Böhmens und Mährens in dem verzweifelten Kampfe,
den sie mit Unterstützung zahlreicher Stammes-
genossen aus anderen Kronländern führen, von der
„Katholischen Volkspartei“, welcher Dr. Fuchs an-
gehört, nicht nur schnöde verrathen wurden, sondern
wieder neuerdings verrathen werden sollen. Trotz
aller Ecklärungen, die Ebenhoch u. A. abgegeben
haben, schickt sich die katholische Volkspartei neuerdings
an, diesen Verrath in Scene zu setzen. Und darum
wählt man beileibe nicht den doch auch gründlich
klerikalen Dr. Kathrein zum Präsidenten, weil
dieser neben seinem Klerikalismus auch ein deutsch-
fühlender Mann ist und die Hand zum Verrath
an seinen Stammesgenossen nicht reichen wollte.
Welcher Art ist aber der Einfluß, welcher Art
die Persönlichkeit des Dr. Fuchs? Nicht einmal
die Majorität des kleinen Salzburger Landtages
steht, wie entscheidende Abstimmungen bewiesen haben,
hinter ihm. Wer ihn irgend näher kennt, wird,
welcher Partei er immer angehört, zugeben müssen,
daſs Dr. Fuchs nicht fähig ist, auch nur eine kleine,
zahme Versammlung zu leiten. Und nun soll er
die Verhandlungen einer Versammlung von mehr
als 400 Abgeordneten leiten, die von leidenschaft-
lichen Kämpfen durchwühlt und überdies zum großen
Theile begreiflicherweise von dem entsetzlichen,
schmachvollen Unrecht tief erbittert sind, welches
Abrahamowicz und Kramarsch, ohne von Dr. Fuchs
darin irgendwie behindert worden zu sein, gegen
Ende der vorigen Session so vielen Mitgliedern
des Parlaments selbst und dem Rechtsbewuſstsein
der ganzen Bevölkerung zugefügt haben. Wird
Dr. Fuchs gewählt, so ist dies ein Zeichen, daſs
die Parteien der ehemaligen Majorität nicht nur
ein deutsches Aushängeschild brauchen, sondern, dass
sie fest entschlossen sind, daſs Ihrige dazu beizu-
tragen, die Verhandlungen des Hauses, so weit nur
möglich zu erschweren, ja sogar unmöglich zu machen.
Denn nur so könnte man sich erklären, warum sie
einen besonders unfähigen Mann zum Präsidenten
wählen. Doch das ist Sache unserer Gegner.
Ganz anders steht es mit dem Candidaten für
den Vicepräsidentenstuhl Herrn Dr. Kramarsch.
Unter seinem Präsidium wurden besonders viele
Abgeordnete gegen Gesetz und Recht mit
Vergewaltigung aller Grundlagen des Parlamen-
tarismus gleich wilden Thieren aus dem Hause
fortgeschleppt. Er wirkte mit, daſs die geheiligte
Stätte der Gesetzgebung in den letzten Sitzungen
vielmehr einer Polizeikaserne als einem Parlamente
ähnlich sah. So ging Dr. Kramarsch vor, der als
Vicepräsident die Pflicht gehabt hätte, für die Rechte
des Parlamentes einzutreten und ein Schutz und
Schirm zu sein, wenn irgend einem Abgeordneten
eine Vergewaltigung drohte. Er zog es vor, die
schlechtesten Erinnerungen an die Aufführung tschechi-
scher Polizeiorgane wachzurufen. Seine Fähigkeiten
als Vorsitzender beschränkten sich auf die vollständige
Gleichgiltigkeit gegen die Geschäftsordnung und auf
eine ganz merkwürdige Gabe, die Versammlung,
welcher er präsidierte, auf das Aeußerste zu er-
bittern und in Aufregung zu bringen. Conflicte
peinlichster Art sind gar nicht zu vermeiden, wenn
das unerhörte geschehen und Kramarsch neuerdings
Vicepräsident werden sollte. In einer solchen Wahl
Präsidentenwahl.
Die Erinnerungsfeier an den „Völkerfrühling“
van anno 1848, der sich infolge der vielen kriti-
schen, von den jeweilig in Oesterreich regierenden
Falbs gemachten rösen Wettertagen nie so recht
zum Sommer auszubilden vermochte, beherrscht
noch die Gemüther und doch drängen und schieben
sich schon neuere und allerneueste Ereignisse in den
Vordergrund!
Du lieber Himmel, wo sind die normalen
ruhigen Pfahlbürgerzeiten, wo man sich am 19. März
so recht nach Herzenslust einer localen Josefi-
Feier widmen könnte? wo eine Legion heimischer
Poeten den einziehenden Lenz mit allerlei Beilchen-
und Schneeglöckchenreimen begrüßte, wo die allhohe
Polizei mit der Trommel noch ihren Schutzbe-
fohlenen die Neuigkeiten verkündete und wo sich
die tonangebende Wirtshausconversation lediglich
um den schneereichen oder schneearmen Winter, um
die guten oder schlechten Erdäpfel, um die kothigen
Straßen, und um das helle oder trübe Bier drehte?
It's over! und besonders heuer wird dem
fünfzigsten Lenze nach jenem ereignisvollen Völker-
frühling eine ganz besondere Auszeichnung zu Theil,
indem der Reichsrath in das Gebäude am Wiener
Franzensring einzieht und für die 1848er Er-
rungenschaften eine drastische Illustration geben
wird! Die Völker erhalten hiedurch den besten
Gradmesser dafür, wie weit die Cultur in Oester-
reich seit jener Zeit vorgeschoben wurde — Freu-
denfeuer brauchen sie dieserhalb gewiſs nicht an-
zuzünden!
Die neue Reichsrathssession drängt natürlich
alles andere in den Hintergrund, selbstverständlich
auch bei uns, und wäre es dies nicht, die anderen
Ereignisse die der Chronik der abgelaufenen Woche
angehören, nähmen das vollste Interesse in Anspruch,
zum Schaden aller mit Josef Getauften, die hiedurch
um die diesjährige eintägige Popularität kommen
Natürlich ists der Bauarbeiterstreik, der die
Gemüther in Athem hält und nachdem auch die
sogenannten „Weißiger“ das Stangel mit dem
Borstpinsel in die Streikecke gestellt, so war die
Sorge aller jener Hausbesitzer, die die Exterieurs
und Interieurs ihrer Zinspaläste mit einem neuen
Firnis übertünchen wollten, eine berechtigte und
geborgen fühlten sich nur diejenigen hievon, die in
der Wahl ihrer Hausmeister so vorsichtig gewesen,
solche zu erwählen, welche das Maurerhandwerk
erlernt hatten.
Wie alle Streiks, wird auch dieser seine Con-
sequenzen haben, hie gut, hie schlecht, wer kanns
wissen; eine Inconsequenz trat aber denn doch
etwas zu drastisch zutage, indem man vergaß,
vom Baue „Drei Fasanen“, dem eigentlichen Ur-
sprungsorte des Streiks, jene Ovationstafel ab-
zunehmen, auf welchen die am Bau Beschäftigten
dem Baumeister Waldert unmittelbar vor ihrem
Strike ein donnernd Hoch ausbringen!
Durch diesen Streik ist eigentlich ein anderes
locales Ereignis um die Prioritätsrechte seiner Po-
pularität gebracht worden: die endgiltige Consti-
tuierung unseres Karlsbader Reichsrathes im „pro-
visorischen“ Sitzungssaale des Neubades.
Ich habe mir schon wiederholt den Kopf darüber
zerbrochen, warum man wohl immer das Epitheton
„provisorisch“ auf die Tagesordnungen der Sitzungen
ansetzt. Man sanctioniert hiedurch gewissermaßen
den Begriff „Provisorisch“ für unser Karlsbad und
nur noch eine kurze Spanne Zeit und man hat
auch für dieses „Provisorisch“ ein silbernes Jubiläum!
Es ist noch ein Ueberbleibsel aus der Aera Knoll
und hatte lediglich damals eine Berechtigung, als
das neue Stadthaus noch nicht erbaut war. Nach-
dem nun aber dort am allerwenigsten der Raum
für einen Sitzungssaal verblieb, so dürfte es denn
doch etwas gewagt erscheinen, dieses „Provisorisch“
bis zur Erbauung eines zweiten neuen Stadt-
hauses fortzuschleppen!
Im übrigen ist nichts ungerechter, als diese
Bezeichnung für unseren Abgeordneten-Saal, denn
sie involviert den Begriff, als würde dieser Saal
den modernen Anforderungen nicht entsprechen und
das ist geradezu undankbar! Gibts wohl einen
„moderneren“ Saal als diesen? Und wenn sich
schon über den modernen Begriff streiten ließe, einen
„practischeren“ Saal gibts aber gewiss nicht.
Man seh: sich in demselben doch nur einmal
um — diese Umschau ist auch für kurzsichtige Augen
möglich — ob nicht Alles nach modernster Art
vorgesehen ist! Eine Obstruction à la Reichsrath
— man verzeihe diese harte Zumuthung — ist
Von der Woche.
Dateiname:
karlsbader-badeblatt-1898-03-20-n65_2855.jp2
Porta fontium