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Nr. 65 Sonntag den 20. März 1898 XXII XXxVIII. Jahrgang jarlobader und Abonnements-Preise: Für Karlsbad: -...2 fl. -.........4 fl. ..8 fl. Wochenblatt. Zustellung ins Haus pro quartat 20 kr. Mit Hostversendung. Erscheint ganzjährig täglich mit Auszahme nach Inland: Vierteljahrig 3 fl. Halbjrg6 . Sonn- und Feiertagen. 12f. albjrg12„ aährg24 Ausland: Durteljährig Redaktion und Administration im Hause „Bellevne“, Stefansprominade Telephon-Nr. 39. Inferate werden nur gegen Vorauszahlung an- genommen. Preis der Amal gespaltenen ?u zeile 6 kr. Inferate, für den nächsten Tag bestimmt. werden nur bis 2 Uhr Nachmittagsin die Administration und 'in der Traniech'schen t„3 Tämmer“,Marentgegen Mannseripte werden nicht zurückgegeben Herausgeber: Ernest Franiemh Inserate übernehmen die Annoncen-Bureaus Haasenstein & Vogler in Wien, Rudolf Mosse in Berlin und Wien und sämmtliche anderen Filialen dieser beiden Firmen. (Von einem Reichsrahtsabgeordneten.) Die Eröffnung des Reichsrathes steht un mittelbar bevor. Die Constituirung des Abgeordneten- hauses, die Wahl des Präsidenten und seiner zwei Stellvertreter ist schon derzeit Gegenstand der Be- rathungen der verschiedenen Parteien. Einzelne Beschlüsse drangen in die Oeffentlichkeit. So heißt es, daſs von den vereinten Parteien der ehemaligen Majorität: dem Polenclub, dem Club der Jung- tschechen, der katholischen „Volkspartei“ und den böhmischen Feudalen der Salzburger Abgeordnete Fuchs zum Präsidenten vorgeschlagen werde. Vom Abg. Kramarsch heißt es, dass er sich alle mögliche Mühe gebe, wieder die Stelle eines Vice- präsidenten zu erlangen. Der unvergessliche Abrahamowicz soll den Wunsch, der sich heiss in seiner Brust erhob, wieder Präsident zu werden, angesichts des Umstandes, daſs auch die Mitglieder des Polenclubs ihn hiebei nicht unterstützt hätten, mit bitterfüßer Empfindung aufgegeben haben. Die Regierung heißt es, wünscht, dass eine Stelle im Präsidium einem Mitgliede der oppositionellen Clubs vorbehalten werde und soll dieselbe einem verfassungstreuem Großgrundbesitzer angetragen haben. Unsere Gesinnungsgenossen sind in keiner Weise verantwortlich für die Personen, die aus der Urne des Hauses als Leiter der Verhandlungen hervorgehen werden. Doch lernen lässt sich gar Manches aus den Namen der Persönlichkeiten, welche von unseren Gegnern für das Präsidium bestimmt werden. Dr. Fuchs als Präsident! — Offenbar will man um jeden Preis einen Deutschen auf den Präsidentenstuhl des Hauses bringen. Es ist dieses wohl der Lohn dafür, daſs die Deutschen Böhmens und Mährens in dem verzweifelten Kampfe, den sie mit Unterstützung zahlreicher Stammes- genossen aus anderen Kronländern führen, von der „Katholischen Volkspartei“, welcher Dr. Fuchs an- gehört, nicht nur schnöde verrathen wurden, sondern wieder neuerdings verrathen werden sollen. Trotz aller Ecklärungen, die Ebenhoch u. A. abgegeben haben, schickt sich die katholische Volkspartei neuerdings an, diesen Verrath in Scene zu setzen. Und darum wählt man beileibe nicht den doch auch gründlich klerikalen Dr. Kathrein zum Präsidenten, weil dieser neben seinem Klerikalismus auch ein deutsch- fühlender Mann ist und die Hand zum Verrath an seinen Stammesgenossen nicht reichen wollte. Welcher Art ist aber der Einfluß, welcher Art die Persönlichkeit des Dr. Fuchs? Nicht einmal die Majorität des kleinen Salzburger Landtages steht, wie entscheidende Abstimmungen bewiesen haben, hinter ihm. Wer ihn irgend näher kennt, wird, welcher Partei er immer angehört, zugeben müssen, daſs Dr. Fuchs nicht fähig ist, auch nur eine kleine, zahme Versammlung zu leiten. Und nun soll er die Verhandlungen einer Versammlung von mehr als 400 Abgeordneten leiten, die von leidenschaft- lichen Kämpfen durchwühlt und überdies zum großen Theile begreiflicherweise von dem entsetzlichen, schmachvollen Unrecht tief erbittert sind, welches Abrahamowicz und Kramarsch, ohne von Dr. Fuchs darin irgendwie behindert worden zu sein, gegen Ende der vorigen Session so vielen Mitgliedern des Parlaments selbst und dem Rechtsbewuſstsein der ganzen Bevölkerung zugefügt haben. Wird Dr. Fuchs gewählt, so ist dies ein Zeichen, daſs die Parteien der ehemaligen Majorität nicht nur ein deutsches Aushängeschild brauchen, sondern, dass sie fest entschlossen sind, daſs Ihrige dazu beizu- tragen, die Verhandlungen des Hauses, so weit nur möglich zu erschweren, ja sogar unmöglich zu machen. Denn nur so könnte man sich erklären, warum sie einen besonders unfähigen Mann zum Präsidenten wählen. Doch das ist Sache unserer Gegner. Ganz anders steht es mit dem Candidaten für den Vicepräsidentenstuhl Herrn Dr. Kramarsch. Unter seinem Präsidium wurden besonders viele Abgeordnete gegen Gesetz und Recht mit Vergewaltigung aller Grundlagen des Parlamen- tarismus gleich wilden Thieren aus dem Hause fortgeschleppt. Er wirkte mit, daſs die geheiligte Stätte der Gesetzgebung in den letzten Sitzungen vielmehr einer Polizeikaserne als einem Parlamente ähnlich sah. So ging Dr. Kramarsch vor, der als Vicepräsident die Pflicht gehabt hätte, für die Rechte des Parlamentes einzutreten und ein Schutz und Schirm zu sein, wenn irgend einem Abgeordneten eine Vergewaltigung drohte. Er zog es vor, die schlechtesten Erinnerungen an die Aufführung tschechi- scher Polizeiorgane wachzurufen. Seine Fähigkeiten als Vorsitzender beschränkten sich auf die vollständige Gleichgiltigkeit gegen die Geschäftsordnung und auf eine ganz merkwürdige Gabe, die Versammlung, welcher er präsidierte, auf das Aeußerste zu er- bittern und in Aufregung zu bringen. Conflicte peinlichster Art sind gar nicht zu vermeiden, wenn das unerhörte geschehen und Kramarsch neuerdings Vicepräsident werden sollte. In einer solchen Wahl Präsidentenwahl. Die Erinnerungsfeier an den „Völkerfrühling“ van anno 1848, der sich infolge der vielen kriti- schen, von den jeweilig in Oesterreich regierenden Falbs gemachten rösen Wettertagen nie so recht zum Sommer auszubilden vermochte, beherrscht noch die Gemüther und doch drängen und schieben sich schon neuere und allerneueste Ereignisse in den Vordergrund! Du lieber Himmel, wo sind die normalen ruhigen Pfahlbürgerzeiten, wo man sich am 19. März so recht nach Herzenslust einer localen Josefi- Feier widmen könnte? wo eine Legion heimischer Poeten den einziehenden Lenz mit allerlei Beilchen- und Schneeglöckchenreimen begrüßte, wo die allhohe Polizei mit der Trommel noch ihren Schutzbe- fohlenen die Neuigkeiten verkündete und wo sich die tonangebende Wirtshausconversation lediglich um den schneereichen oder schneearmen Winter, um die guten oder schlechten Erdäpfel, um die kothigen Straßen, und um das helle oder trübe Bier drehte? It's over! und besonders heuer wird dem fünfzigsten Lenze nach jenem ereignisvollen Völker- frühling eine ganz besondere Auszeichnung zu Theil, indem der Reichsrath in das Gebäude am Wiener Franzensring einzieht und für die 1848er Er- rungenschaften eine drastische Illustration geben wird! Die Völker erhalten hiedurch den besten Gradmesser dafür, wie weit die Cultur in Oester- reich seit jener Zeit vorgeschoben wurde — Freu- denfeuer brauchen sie dieserhalb gewiſs nicht an- zuzünden! Die neue Reichsrathssession drängt natürlich alles andere in den Hintergrund, selbstverständlich auch bei uns, und wäre es dies nicht, die anderen Ereignisse die der Chronik der abgelaufenen Woche angehören, nähmen das vollste Interesse in Anspruch, zum Schaden aller mit Josef Getauften, die hiedurch um die diesjährige eintägige Popularität kommen Natürlich ists der Bauarbeiterstreik, der die Gemüther in Athem hält und nachdem auch die sogenannten „Weißiger“ das Stangel mit dem Borstpinsel in die Streikecke gestellt, so war die Sorge aller jener Hausbesitzer, die die Exterieurs und Interieurs ihrer Zinspaläste mit einem neuen Firnis übertünchen wollten, eine berechtigte und geborgen fühlten sich nur diejenigen hievon, die in der Wahl ihrer Hausmeister so vorsichtig gewesen, solche zu erwählen, welche das Maurerhandwerk erlernt hatten. Wie alle Streiks, wird auch dieser seine Con- sequenzen haben, hie gut, hie schlecht, wer kanns wissen; eine Inconsequenz trat aber denn doch etwas zu drastisch zutage, indem man vergaß, vom Baue „Drei Fasanen“, dem eigentlichen Ur- sprungsorte des Streiks, jene Ovationstafel ab- zunehmen, auf welchen die am Bau Beschäftigten dem Baumeister Waldert unmittelbar vor ihrem Strike ein donnernd Hoch ausbringen! Durch diesen Streik ist eigentlich ein anderes locales Ereignis um die Prioritätsrechte seiner Po- pularität gebracht worden: die endgiltige Consti- tuierung unseres Karlsbader Reichsrathes im „pro- visorischen“ Sitzungssaale des Neubades. Ich habe mir schon wiederholt den Kopf darüber zerbrochen, warum man wohl immer das Epitheton „provisorisch“ auf die Tagesordnungen der Sitzungen ansetzt. Man sanctioniert hiedurch gewissermaßen den Begriff „Provisorisch“ für unser Karlsbad und nur noch eine kurze Spanne Zeit und man hat auch für dieses „Provisorisch“ ein silbernes Jubiläum! Es ist noch ein Ueberbleibsel aus der Aera Knoll und hatte lediglich damals eine Berechtigung, als das neue Stadthaus noch nicht erbaut war. Nach- dem nun aber dort am allerwenigsten der Raum für einen Sitzungssaal verblieb, so dürfte es denn doch etwas gewagt erscheinen, dieses „Provisorisch“ bis zur Erbauung eines zweiten neuen Stadt- hauses fortzuschleppen! Im übrigen ist nichts ungerechter, als diese Bezeichnung für unseren Abgeordneten-Saal, denn sie involviert den Begriff, als würde dieser Saal den modernen Anforderungen nicht entsprechen und das ist geradezu undankbar! Gibts wohl einen „moderneren“ Saal als diesen? Und wenn sich schon über den modernen Begriff streiten ließe, einen „practischeren“ Saal gibts aber gewiss nicht. Man seh: sich in demselben doch nur einmal um — diese Umschau ist auch für kurzsichtige Augen möglich — ob nicht Alles nach modernster Art vorgesehen ist! Eine Obstruction à la Reichsrath — man verzeihe diese harte Zumuthung — ist Von der Woche.
Dateiname: 
karlsbader-badeblatt-1898-03-20-n65_2855.jp2