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Seite 2 „Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 255 7. November 1897 Belange. Dieser Kampf wird nach dem Proviso- rium, wenn man wirklich dasselbe hinter sich haben sollte, was gar sehr zu bezweifeln ist, geradeso wüthen und toben, wie er jetzt, angesichts dieses Provisoriums im Gange ist. Jede Vorlage dieses Ministeriums wird demselben Wiederstande begegnen, derselben Opposition, derselben Obstruktion, bis endlich dem deutschen Volke in Oesterreich Genug- thuung geworden ist für die Sprachenverordnungen und für die neue Unbill, die ihm seither allwöchent- lich zugefügt wurde. Diejenigen irren gewaltig, die an eine Besänftigung dieser Streitbarkeit durch die Zeit oder durch halbe Maßregeln glauben. Aber alle Gewaltstreiche, alle abgebrochenen Sitzungen hätten nichts geholfen, wenn nicht Lueger dem Grafen Badeni, der Majorität und dem Prä- sidium zu Hilfe gekommen wäre. Dadurch, daſs er unter dem Vorwande, das Wort zu verlieren, wenn er nicht rede, seine Rede begann und hart- näckig fortsetzte, vereitelte er den Widerstand gegen den Beginn der Verhandlung über das Provisorium und half dem Präsidium über die Schwierigkeit, die abgebrochene, geheime Sitzung als solche fort- setzen zu müssen, hinweg. Wenn Lueger gegen das Präsidium, ja scheinbar gegen Badeni sprach, wenn er selbst den Antrag auf Fortsetzung der geheimen Sitzung stellte, so hat das alles durchaus gar nichts zu sagen gegen die Thatsache, daſs nur er, Dr. Lueger, dem Präsidiuw, der Majorität und der Regierung zu dem Erfolge verholfen hat, die erste Lesung durchgebracht zu haben. Graf Badeni wird das zu schätzen wissen und wenn er noch Gelegen- heit haben sollte, seine Getreuen für diese Kämpfe mit Orden auszustatten, so darf er Lueger nicht übersehen und muss er ihn mit dem schönsten Orden auszeichnen, welcher aus diesem Anlasse verliehen würde. Wie ein bezahlter Bravo fielen er und seine Hausknechte der Obstruction in den Rücken, indem sie sich diese Tage, an welchen um die Geschicke des deutschen Volkes gewürfelt wird, zu Streit und Zank mit den Schönererianern ausgesucht hatten, um den Slaven statt der Einmüthigkeit aller Deutschen, den beschämendsten Zwist untereinander vorzuführen und den Grafen Badeni zu retten, so wie dieser einst durch die erst verweigerte, dann doch erfolgte Bestätigung Luegers den Antisemitis- mus gerettet hat. Stadtverordneten-Sitzung. Die gestrige St. V. Sitzung versammelte ein ziemlich zahlreiches Zuschauerpublikum auf „der Gallerie“, welches in Erwartung der kommenden wichtigen Dinge sich eingefunden hatte. Anlass hiezu dürfte wohl die Resignation des Herrn Dr. Fleischner auf seine Stelle als Stadtrath und weiters die Theaterverpachtung gegeben haben. — Wir werden nun an der Hand unseres Stenogrammes, ein kurzes Referat dieser Sitzung geben, uns jedoch vorbehalten, auf die Details noch zurückzukommen. Bürgermeister Schäffler eröffnete die Sitzung mit mehreren Mittheilungen und zwar mit einem herzlichen Danke an Herrn Dr. Ruß und Dr. Lecher, sowie an die Führer der vereinigten deutschen Linken für ihr mannhaftes Eintreten und Ver- theidigung des deutschen Volkes und ersuchte um die Ermächtigung des Collegiums dem Wunsche Ausdruck zu geben, die deutschen Abgeordneten möchten nicht erlahmen im Kampfe und ausharren bis zum Siege. Weiters theilte der Vorsitzende mit, dass Petitionen gegen die Sprachenverordnungen und gegen das Ausgleichsprovisorium an das Abgeordnetenhaus abgesendet wurden. — Der Dank Sr. Maj. des Kaisers für die Glückwünsche der Stadt anläss- lich des Allerhöchsten Namensfestes, wird zur Kennt- nis gebracht. Der Fürstin-Mutter zu Schaumburg-Lippe wurde zu ihrem 70 Geburtstage der Glückwunsch der Stadt übermittelt und ein Prachtalbum abgesandt, worauf der herzlichste Dank der Fürstin einlangte. — Herr Stadtrath Franz gibt in einer Zuschrift seinem berzlichsten Danke für das anlässlich seines Jubiläums ihm verliehene Bürgerrecht und die Gratulation des Stadtrathes Ausdruck. — Das preuß. Ministerium des Innern spricht den ver- bindlichsten Dank dem Stadtrathe für die den Ueber- schwemmten der Provinz Schlesien übermittelte Spende von 1000 Mark aus. — Herr Stadt- verordneter Waldert gibt in einer Zuschrift bekannt, daſs, falls eine in einem hiesigen Local- blatte befindliche unrichtige Notiz, betreffs Kaufes eines Sandgewinnungsrechtes in Schankau sich auf ihn beziehen sollte, er gerne bereit sei, diese Gründe zum Selbstkostenpreise der Stadt zu überlassen. — Weiters theilt Hr. Bürgermeister Schäffler mit, daſs Herr Stadtrath Dr. Fleischner auf seine Stelle als Stadtrath verzichtete und dies in folgen- dem Schreiben an Herrn Stadtrath Franz kund- gab: „Sehr geehrter Herr Stadtrath! Bitte zur Kenntnis zu nehmen, daſs ich die Stelle eines Stadtrathes niederlege; die Gründe werde ich dem Stadtverordneten Collegium in öffentlicher Sitzung bekanntgeben. Hochachtungsvoll Dr. Fleischner.“ Der Vorsitzende ertheilt hierauf dem Herrn Dr. Fleischner das Wort und derselbe erklärt: Meine Herren! Nachdem Sie mich vor dreiJahren so ziemlich einstimmig zum Stadtrathe erwählten, fühle ich mich verpflichtet und berechtigt, Ihnen zu erklären, warum ich dieses Amt niederlege. Die Gründe“ hiefür sind theils persönlicher, theils allgemeiner Natur. Unmittelbare Veranlassung zu diesem meinem Entschlusse war eine Aeußerung des Stadtrathes Dr. Herrmann und da diese Aeußerung sich auf politische Momente bezieht, so gestatten Sie mir, daſs ich mich in aller Kürze mit diesem politischen Momente befasse. Ich habe nie in Abrede gestellt, daſs ich in socialpolitischer Beziehung so ziemlich links stehe. Ich habe wiederholt erklärt, dais ich viele Forderungen der Arbeiterschaft so ziemlich an- erkenne und habe mich als Anhänger des allge- meinen Wahlrechtes bekannt. Ich glaube aber darin in keinem großen Contraste mit dem Stadt- verordneten Collegium zu stehen. Als das Gesetz für die Wahl in die V. Curie erschien, habe ich persönlich erklärt, daſs ich persönlich für den Candi- daten der Arbeiterpartei stimmen werde, weil ich es für eine Benachtheiligung der Arbeiterschaft an- sah, wenn auch in dem ohnehin knapp zugeschnittenen Gesetze noch andere Curien mitwählen können. Einen Hauptfehler hat die Leitung der Deutschen Fort- schrittspartei in Prag dadurch begangen, daſs sie für den Egerer Kreis keinen Candidaten aufgestellt hat. Die jüdische Wählerschaft stand daher vor dem Entschlusse ihre Stimme entweder dem deutsch- nationalen, cheistlichsocialen oder socialdemokratischen Candidaten zu geben. Für mich, der ich meine Absicht schon früher kund gab, bevor ich wusste, daſs ein Jude als Candidat aufgestellt wurde, war der Ent- schluſs nicht schwer; daſs aber die jüdische Wähler- schaft sich entschlossen hat, dem socialdemokratischen Candivaten die Stimme zu geben, finde ich be- greiflich. Aber meine Herren! es ist eine bewusste Lüge, daſs ich unter der hiesigen Wählerschaft agi- tiert habe. Auch nicht ein Jude befindet sich in der hiesigen Wählerschaft, mit dem ich Rücksprache genommen habe. Dass ich kein Anhänger der Socialdemokratie bin, beweist, daſs ich in einer zahlreich besuchten Volks- versammlung sowohl die Fortschrittspartei als auch die städtische Verwaltung vertheidigt habe. Nun zur Sache! Einen Tag, bevor der Karlsbader Turnverein sich antisemitisch erklärte — ich glaube diesen Umstand mit dem folgenden in Verbindung zu bringen — besuchte mich Herr Stadtrath Dr. Herrmann und kündigte mir, nachdem wir in freund- schaftlichster Weise verkehren, an, daſs er gegen mich auftreten, mich bekämpfen muss. Der Grund hierfür sei der, weil sich nun der deutsche Ver- ein, der sich im heurigen Frühjahre gegründet, con- stituieren werde und er sei dem Wunsche einiger Herren nachgekommen und stelle sich mit an die Leitung dieses Vereines. Der Zweck dieses Vereins theidigen zu wollen? Ich glaube nicht und darum hat Niemand, aber auch schon gar Niemand das Recht, die „Karlsbader Zeitung“ der Unwahrheit zu zeihen, wenn sie beispielsweise in ihrer Esels- festnummer singt: Ich aber versenkte die Seele ganz In jenes süße Gedösel, Ich bin ein Esel — in meinem Schwanz Ist jedes Haar ein Esel. Und weil sie nach ihrem eigenen Geständnis ihre Seele in dieses „ihr so süße Gedösel versenkt“ hat, so kann man sich noch auf manche weitere ihrer Eseleien gefasst machen. — Ihr so „süßes Gedösel“ verräth aber noch einen Herzenswunsch, dessen Erfüllung sie noch zu allen Wahlzeiten er- sehnte, denn sie flötet in einschmeichelndsten Tönen: Und weil ich ein Esel, so rath ich Euch Den Esel zum König zu wählen: Wir stiften das große Eselreich, Wo nur die Esel befehlen! Aber leider, die Karlsbader beachten diese Sehnsucht nicht, sie wollen trotz aller eselhaften An- näherungsversuche diesen Herzenswunsch nicht zur Stillung bringen und deshalb verdienen sie mit Recht die tiefste, aber auch die allertiefste Ver- achtung der „Karlsbader Zeitung“, denn sie be- weisen dadurch wieder einmal so recht deutlich, dass sie — keine Esel sind, daſs sie kein Ver- ständnis für die „Tiefen der Eselsnatur“ dieses Blattes besitzen und daſs sie in kurzsichtiger Ver- blendung nur den einen Wunsch hegen: Wyllards Verhängnis. Roman in in drei Bänden von M. E. Braddon. Deutsch von Cl. Steinitz. Einzige autorisirte Uebertragung. Alle Rechte vorbehalten. (7. Fortfetzung.) Solch lebender Bücher hatte Eduard Heatheote schon eine gute Zahl in seinem Leben studiert. Seine Amtsführung in Plymouth hatte einen eigen- thümlichen Charakter getragen. Man hatte ihm die heikelsten Angelegenheiten anvertraut, in seinen Händen hatte die Ehre vornehmer Familien geruht, er war zwischen Sohn und Vater, zwischen Mann und Weib getreten und hatte ihnen ebensowohl zum Führer, Philosophen und Freunde, als zum gesetzten Berather gedient. Der Ruf seines Zart- gefühls und makellosen sittlichen Charakters, seine gute Herkunft und reichen Mittel hatten ihn zum Vertrauten so manches Familiengeheimnisses gemacht, das man nur sehr wenigen Sachwaltern überliefert haben würde. Solch einem Manne musste sich zum Studium der menschlichen Natur unter außergewöhnlichen Verhältnissen mannigfache Gelegenheit dieten. Und ein ungewöhnlich erfahrener Intellekt war es denn auch, der sich prüfend auf Bothwell Grahame richtete, als dieser durch die blühenden Heckenreihen des stillen cornischen Feldwegs strich, an seiner Cigarre paffte und vor sich hin ins Leere starrte. Mr. Heathente hatte während des Jahres, in dem Kavitän Grahame sich in Peumorval aufhielt, ihn häufig genug gesehen, aber niemals noch hatte er einen solchen Ausdruck des Kummers in den Zügen des Soldaten wahrgenommen wie gerade heute. Eine Sorge nicht gemeiner Art musste an diesem Herzen nagen, davon war Eduard Heathcote überzeugt, und der Mut sank ihm, wenn er sich die vatur der geheimen Unruhe vergegenwärtigte, die Bothwell so gut als möglich unter dem Anschein einer etwas verdrossenen Gleichgiltigkeit zu verbergen trachtete. Dem Leichenbeschauer und Rechtsanwalt hatte es schon vor einer Stunde eingeleuchtet, daſs die im „Lebensfunken“ aufgebahrte Leiche das Opfer eines Verbrechens war. Jemand, dem an ihrem Verschwinden gelegen sein musste, hatte sie aus dem Waggon und in den Abgrund hinuntergestoßen. Der Mörder musste sich im Zuge befinden, war in einem jener Waggons gereist und gehörte zu den anscheinend unschuldigen Passagieren, die ihre Unkenntnis über die Herkunft des Mädchens bekannt hatten. Einer unter den dreiundzwanzig Leuten, die der Stationschef Chafy in Bodmin gezählt und notirt hatte, musste der Mörder sein. Dieser Eine, wer es auch immer war, hatte der Forschung des Stationschefs gegenüber Stand zu halten gewusst. Keine Spur von Reue, Aufregung oder Schuldge- fühl hatte ihn verrathen. Wie nun, wenn sich der Verbrecher unter den Leuten von Rang und Ansehen befand, die der Stationschef kannte und deren Name allein jeglichen Verdacht entwaffnete? Solch' einer konnte sich unbehelligt von der Station entfernen, bei ihm wurde jedes Zeichen der Bewegung dem natürlichen Mitleid eines wohl- wollenden Gemüts zugeschrieben. Ein Sohn der Arbeit mit schwieligen Händen, ein Landfremder, ein Schnitter, Bergwerksmann oder Matrose hätte kein Zeichen der Erregung „Schutz vor dem Esel-Gedösel der „Karlsbader Zeitung!“
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karlsbader-badeblatt-1897-11-07-n255_5790.jp2