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Karlsbader Badeblatt Nr. 53 am 1. Juli 1892. Wien, 30. Juni. Dem Bürgermeister von Brünn Winterholler wurde das Comthurkreuz des Franz Josef-Ordens, dem Abg. Dr. Fanderlik der Orden der eisernen Krone dritter Klasse ver- liehen. Der Polizei-Inspekior Stiastny erhielt eine silberne, mit den Allerhöchsten Initialen und der Kaiserkrone versehene Tabatière. Wien, 30. Juni. In der Nähe von Wien wüthete am gestrigen Tage ein furchtbares Un- wetter, wobei der Blitz mehrere Male einschlug und vielfachen Schaden anrichtete. Unter Anderem schlug der Blitz auch in die Musik- und Theater- Ausstellung ein, u. zw. in den Blitzableiter des Ausstellungstheaters. Einen Moment lang wurden die Bogenlampen des Theaters in elektrisches Licht versetzt. Die rasch avisirte Feuerwehr unternahm eine genaue Untersuchung aller Theaterräume, ohne jedoch etwas Ungewöhnliches wahrzunehmen. Auch in Mödling schlug der Blitz in eine Milchwirth- schaft, und zwar in die Stallungen ein, wobei drei Pferde getödtet wurden. Triest, 30. Juni. Dem „Piccolo“ zufolge ist in Brindisi die Cholera aufgetreten. Dortselbst sollen 5 und in der Umgebung 2 Erkrankungen vorgekommen sein. Die Bevölkerung ist sehr erregt. Der nahende Komet. Heute am 1. Juli wird der periodische sogenannte Winnecke'sche Komet sein Perihel passiren und dabei in so günstige Erdnähe kommen, daß er — wie der neueste Berechner seiner Bahn Freiherr v. Härdtl vermuthet — dem unbewaffneten Auge sichtbar werden dürfte. Auf der k. k. Wiener Sternwarte wurde er bereits am 18. März d. J. (10 Uhr Nachts) von Herrn Spitaler zum erstenmale aufgefunden. Der Komet stand damals in der Nähe des großen Bären in 190 Grad 51 Minuten gerader Auf- steigung und 40 Grad 36 Minuten nördlicher Declination, also in bedeutender Höhe. Später- hin wurde er auch von anderen Sternwarten be- obachtet. Der Komet zeigte keinen eigentlichen Schweif; er war von einem blassen, verwaschenen Nebel, der excentrisch gebogen war, umgeben, kern- artig, jedoch nicht gut begrenzt. Nach einer Aeuße- rung des Wiener Astronomen Herrn Dr. Bidschof soll der Komet den Eindruck einer ausgepreßten Citrone gemacht haben. Nach einem anderweitigen Berichte zeige der Kern in seiner Verdichtung zu- weilen sternartige Punkte. Es ist bekannt, daß Kometen in ihrer Sonnennähe katastrophenartige Veränderungen in ihrem Kerne erleiden, wodurch sie jedesmal ein anderes Bild geben. Am ver- gangenen Freitag den 24. v. M. ist mir wieder einmal die außerordentliche Gunst zu Theil gewor- den, unter der Leitung eines Astronomen den in Rede stehenden Kometen durch das berühmte Ell- bogen-Teleskop (Coudé) zu beobachten. Mir erschien der Komet (um 10 Uhr 10 Minuten Abends) völlig schweiflos, dafür aber war er von einem ziemlich ausgebreiteten sphärischen Nebel umgeben, der sich gegen die Mitte hin continuirlich verdichtete. Der klare Himmel zeigte — wie es um die Zeit des Sommersolstitium der Fall ist — keine tiefe Dunkelheit, weßhalb denn der Effect der Erschei- nung schwächer war, als in den vergangenen Früh- jahrsmonaten. Der Umstand jedoch, daß der Komet in rasender Eile der Erde sich nähert, und die Nächte von nun ab größer werden, läßt erwarten, daß er in den ersten Tagen des Juli, sobald er dem freien Auge sichtbar wird, eine prächtige Erscheinung ab- geben werde. Am 1. Juli (Mitternacht) wird sein Ort am Himmel 8 Stunden 22 Minuten 54 Se- kunden in Rectascension und + 30 Grad 37 Minuten in Declination sein, also in nächster Nähe der „nördlichen Krone.“ Seine Geschwindigkeit wird wegen seiner großen Erdnähe eine enorme sein. Die größte Erdnähe erreicht er am 9. Juli; sie beträgt fast genau den achten Theil der Ent- fernung der Erde' von der Sonne, das ist 181/2 Millionen Kilometer. Des Kometen Stand am 9. Juli (Mitternacht) ist 6 Stunden 39 Minuten 19 Sekunden Rectascension und bloß + 13 Grad 26 Minuten Declination. Immer südlicher wan- dernd, kommt er am 1. August an jene Stelle des Himmels, wo er die Erdbahn-Ebene von oben nach unten durchbricht. Um Mitternacht dieses Datums ist sein Stand 3 Stunden 54 Minuten 44 Sekunden und — 21 Grad 26 Minuten Declination. Man sieht, mit welcher ungeheueren Geschwindigkeit der Komet die steile Himmelsbahn herabrollt. Am 1. September wird er schon sehr tief am Südhimmel sein bei einer Erdferne von 75 Millionen Kilometern. Der Winnecke'sche Komet heißt im Grunde der Pons'sche Komet. Jean Louis Pons, Direktor der Sternwarte zu Marlia bei Lucca, hat im Jahre 1819 den Kometen entdeckt. Der berühmte Astro- nom Encke hat dessen Bahn berechnet; er erkannte ihn als einen periodischen Kometen, der nach fünf Jahren sieben Monaten und zwölf Tagen zur Sonne zurückkehrt. Die Elemente seiner Bahn waren da- mals: Perihelpassage Juli 18·90670, Länge des Perihels 274 Grad 40 Minuten 51 Sekunden, aufsteigender Knoten 113 Grad 10 Minuten 46 Sekunden, Neigung 10 Grad 42 Minuten 48 Se- kunden, kürzeste Entfernung von der Sonne 077864 Erdbahnradien, Excentricität 0·75519, große halbe Achse 3·160, Umlaufzeit in Jahren 5·618, Dauer der Sichtbarkeit 37 Tage. Seit jener Zeit bis 1850 war er nicht wieder gesehen. Im Jahre 1858 hatte Winnecke nach sieben unbeobachteten Periheldurchgängen den Kometen wieder entdeckt. Professor Oppolzer in Wien hatte eine neue Be- rechnung seiner Bahn vorgenommen und gefunden, daß dieselbe eine Veränderung durch die großen Planeten erfahren habe. Im Jahre 1869 passirte der Komet sein Perihel am 29. Juni. Professor Oppolzer untersuchte wieder die Bahnelemente, die neuerdings Differenzen zu den früher berechneten zeigten. Eine ähnliche Erfahrung, aber mit wesent- lich bedeutenderen Differenzen, machte er im Jahre 1875. Man vergleiche die Elemente zu den oben angegebenen: Periheldurchgang März 12·10688, Länge des Perihels 276 Grad 42 Minuten 1 Sekunde, Länge des aufsteigenden Knoten 111 Grad 33 Mi- nuten 32 Sekunden, Neigung 11 Grad 17 Minuten 2 Sekunden, Excentricität 074101, kürzeste Ent- fernung von der Sonne 0·82896 Erdbahnradien; halbe große Achse 3·201, Umlaufzeit in Jahren 5·726, Dauer der Sichtbarkeit 14 Tage. In der Perihelpassage von 1886 zeigte der Komet eine sehr auffallende Bahnveränderung, die jedoch zu Gunsten der Beobachtung sich gestaltete. Die Be- rechnungen der Elemente durch Freiherrn v. Härdil erwiesen, daß die Bahn bei einer Neigung von 14 Grad 31 Minuten 40 Sekunden in die Länge gezogen wurde, wodurch der kürzeste Abstand des Kometen von der Sonne sich schon auf 0·88550 stellte. Mit Rech' konnte daher Freiherr v. Härdil für den Juli 1892 eine zu Zwecken der Beobach- tung sehr günstige Perihelpassage vorhersagen, die sich nun zu erfüllen scheint. Wenn die Witterungs- verhältnisse vom 1. bis 15. Juli günstig sind, so steht ein sehr interessantes Himmelsschauspiel bevor. Josef R. Ehrlich. Vom Baluta-Ausschusse. Wien, 29. Juni. Die Verhandlungen des Währungsausschuffes haben in den letzten Tagen ein so rasches Tempo angenommen, daß man hoffen kann, die Vorberathung der Valutavor- lagen im Ausschusse werde noch im Laufe dieser Woche be- endigt werden. Das Münzgesetz und der mit Ungarn ab- zuschließende Währungsvertrag sind vollständig erledigt. Die Veränderungen, welche der Ausschuß an denselben vor- genommen bat, sind trotz der langen Berathungen nicht zahlreich und nicht besonders wesentlicher Natur. Eine principielle Aenderung, welche bereits beschlossen war, die Ausscheidung des Nickels aus unserer Scheidemünre, wurde wieder beseitigt u. zw. mit Hilfe eines parlamentarischen Hußarenstreichs, welchen der Obmann des Ausschusses, Herr v Jaworski, einer sanften Pression „von oben“ nachgebend, auf dem Gewissen hat. Geändert wurden im Münzgesetz blos die Legende der Gold- und Silbermünzen entsprechend den Wüuschen der Tschechen und Croaten und das Passirgewicht; außerdem wurde die Prägung von Feuilleton. Die VI. Symphonie (Pastorale) in F-dur, op. 68, von Beethoven. In der reichen Fülle der musikalischen Genüsse, welche während der Saison geboten werden, stehen die Symphonie-Konzerte unserer Kurkapelle im Post- hofe unter Meister Labitzky's Direktion obenan. Sie sind es, welche uns mit den Musikperlen unserer Tonheroen bekannt machen, und indem sie unvergängliche Meisterwerke voll des edelsten Ge- haltes in jener künstlerisch vollendeten Form zur Aufführung bringen, welche der Kapelle bereits den Weltruf gesichert hat, tragen sie ganz besonders zur Veredelung und Verfeinerung des Geschmackes bei, was um so mehr nöthig ist, als gegenwärtig gehaltlose Operettenmusik nicht bloß die große Mehrzahl der Bühne vollauf beherrscht, sondern sogar auch im Konzertsaal schon etwas Terrain gewonnen hat und Offenbachiaden, die man als einen längst überwundenen Standpunkt zu betrachten geneigt war, wahrscheinlich um die höhere Kunst- richtung anzudeuten, neuerlich bacchantische Orgien feiern. So erwirbt sich denn auch das Kurorchester mit seinen Symphonie-Konzerten einen ganz be- sonderen Anspruch auf Dank u. zw. nicht allein von Seite des Musikenthusiasten und Kenners, der sich an den herrlichen Werken und der mustergilti- gen Aus- und Durchführung derselben förmlich verauscht, sondern auch von Seite eines Jeden, welcher in der Veredelung des Menschengeschlechtes das höchste Ideal erblickt. Und wer möchte da wohl mit Absicht abseits stehen bleiben? — Auch das heutige Programm des Symphonie-Konzertes trägt dieser idealen Bestrebung Rechnung und findet ihren hervorragenden Ausdruck in der letzten Nummer des Programmes, als welche die VI. Sym- phonie von Beethoven, die sogenannte Pastoral- Symphonie, angesetzt erscheint. Es dürfte vielleicht nicht ganz unzweckmäßig sein, wenn wir dieses zum Anlaß nehmen, diese herrliche Tonschöpfung etwas heller ins Licht zu rücken, wobei wir bemerken, daß wir dabei den in dem Schriftchen: „Beethovens Symphonien nach ihrem Stimmungsgehalte er läutert von Otto Neitzl. Tongers Verlag, Köln“ niedergelegten Interpretationen folgen. Beethoven hatte den Seelenkampf, in welchem er das über ihn hereinbrechenden Geschickes — er war taub geworden — Herr geworden war, ausgefochten; zeichnete er bisher vorwiegend seine eigene Geschichte in Tönen auf, so verewigte er von nun an die des ganzen menschlichen Geschlechtes, seine Lust und sein Schmerz, als deren Quellen er in der VI. Symphonie die Natur, in der VII. den Tanz, in der VIII. den Humor schildert, bis in seinem erhabensten Vermächtniß, der IX., der Sänger zum Propheten wird, der das Evan- gelium der Menschenverbrüderung predigt. Die Natur konnte nicht leicht einen begeisterteren und berufeneren Lobredner finden, als Beethoven, dem sie alles ersetzen mußte, was er durch traurige Lebensumstände verlor. Dazu beherrschte er die Mittel seiner Kunst in einem so außerordentlichen Grade, daß es ihm möglich war, ihr nach Er- forderniß sogar ganz neue Gebiete zu erobern. Und dennoch ging er auch hier, wo ihn sein Stoff förmlich dazu einlud, sich als den Virtuosen einer äußerlichen Tonmalerei zu zeigen, nie von dem Pfade eines von tiefster Sinnmäßigkeit durch- drungenen Schaffens ab: er schildert die Vorgänge der Natur nicht nach ihrem Eindruck auf die Gehörnerven, sondern nach der Stimmung, die sie in der Seele des empfänglichen Menschen“ hervor- bringen; nicht die Nachahmung des prasselnden Regens, des zuckenden Blitzes, sondern das Staunen und Bangen des Menschen gegenüber diesen Er- scheinungen springt aus seiner Musik hervor, und selbst der Kukuksruf und der Wachtelschlag bilden nichts mehr als zierliche Ornamente in dem Gesammt- Tonbilde. Die Symphonie entstand im Sommer 1808 in Heiligenstadt bei Wien und ist dem Fürsten Lobkowitz und dem Grafen Rasumowsty gewidmet. I. (Allegro ma non troppo. Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankünft auf dem Lande.) „Wie schön ist deine Blüthenpracht, Natur!“ so scheint der mit einer Fermate, dem musikalischen Ausrufungszeichen, geschlossene Ausruf zu lauten, mit welchem dieser Satz beginnt. Und überall dasselbe Blühen; nicht weniger als zehnmal, durch Crescendo und Decrescendo reizvoll gestaltet, kehrt das „Blüthenmotiv“ wieder. Und in der Menschen- brust sollte so viel Herrlichkeit nicht ein freudiges Echo erwecken? Horch! ist das der Specht, der kluge Hämmerer, der den Takt schlägt zur Blüthen- harmonie? Hin zum Hain lenkt der Wanderer die Schritte, von dessen ehrwürdigen Baumkronen sich ein seliger Frieden zu ergießen scheint und dessen Großartigkeit ihn mit heiligen Schauern er-
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