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Nr.
Sonntag den 25. Juni 1882.
V. Jahrgang.
Karlsbader
Badcblatt.
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Lokal- und Bädernachrichten.
(Die papierne Sprudelkolonnade.) Vor
uns liegt eine kleine Enpeloppe, deren Vorderseite das Por-
tale der Sprudelkolonnade in der Manier der jetzt so viel-
fach erzeugten Reliefbilder darstellt. Wir öffnen die Enve-
loppe und blicken in den perspektivisch sich darbietenden
von vielen Menschen belebten Jnnenraum der Kolonnade,
sehen die Säulen hinter einander geordnet, den Orchesterraum
mit der Kurkaplle, im Hintergrunde den dampfenden Sprin-
ger, im Vordergrunde die Tafel „Rechts gehen“, täuschend
nachgeahmt! Das Ganze faltet sich leicht wieder zur flachen
Enveloppe zusammen und kann bequem in jedem Notizbuche
geborgen werden. Der hübsche Scherz ist eine Novität der
Firma Luksch auf der alten Wiese und verdient als kleines
Andenken an Karlsbad empfohlen zu werden.
(Makarts Gemälde „Im Sommer“,) bietet die
Veranlassung von förmlichen Wallfahrten nach dem Kur-
hause, wo in einem Salon desselben es ausgestellt ist. —
Eine Woche bleibt das Bild noch hier.
(Die Feuerprobe) des Ingenieurs Schalla, welche
gestern um 5 Uhr nächst dem Schießhause stattfinden sollte
mißglückte insoferne, als durch ein Schadhaftwerden des
Apparates Schalla aus dem Feuer sich zurückziehen mußte.
Morgen findet noch eine Probe statt.
(Bilin.) Die Saison 1882 verspricht einen bedeutenden
Fortschritt in der Frequenz und ist dieser ebenfalls der im
vorigen Jahre erschienenen Broschüre des hiesigen Brunnen-
arztes Dr. W. von Reuß zu danken. In derselben waren
die Vorzüge der Sauerbrunnbäder und des innerlichen me-
thodischen Gebrauches der Biliner Quelle zum ersten Male
ausführlich behandelt. Eine Reihe von sorgfältig bearbei-
teten Krankengeschichten illustrirt trefflich die oft eklatanten
Heilerfolge. Besonders hervorgehoben ist die heilsame Ein-
wirkung der Trinkkur auf Kehlkopf und Lungenkatarrhe,
die selbst nach längerem Bestande gebessert werden. Von
gleichem Werthe ist der innerliche Gebrauch bei Nieren-
und Blasenleiden. Bei letzterem übt der Herr Dr. Reuß
auch lokale Auswaschungen mit Sauerbrunn. In dritter
Reihe wird auch die äußerst wohlthätige Wirkung auf das
Verdauungssystem, chronische Magen- und Darmkatarrhe
hervorgehoben. Das halbe Kurhaus ist bereits besetzt und
sind zahlreiche Bestellungen für die nächste Zeit eingelaufen,
so daß in Bälde Platzmangel sich fühlbar machen kann. —
Das Fahnenweihfest findet Sonntag den 2. Juli statt.
Die feierliche Messe findet unter Betheiligung von gegen
400 Sängern statt. Das Walter-Konzert, über welches
wir schon berichteten, wird doch im Kursalon abgehalten.
Der Kursalon ist sehr akustisch gebaut, eignet sich daher
vorzüglich zu einem Vocalkonzerte und faßt gegen 500 Per-
sonen. Viele Teplitzer Kurgäste fragen um Sitze zu diesem
genußversprechenden Konzerte an.
(Fürst Bismarck) trifft in den nächsten Tagen zu
vi erwöchentlichem Kurgebrauche in Kissingen ein.
Prozeß „Charles de Hoffmann.“
(Telegramm des Karlsbader Badeblatt.)
Wien, 24. Juni.
In der Nachmittagssitzung wird die Aussage des Agenten
Max Mittelmann vorgelesen; derselbe hätte dem Hoffmann
Geld verschaffen sollen, was ihm jedoch nicht gelang. Die
Angabe Hoffmann's, daß Mittelmann ihm etwas schuldig
sei, hat der Zeuge als unwahr bezeichnet. Hoffmann habe
versucht, Aktien einer französischen Gesellschaft zu verwerthen,
welche mit Nummern über 20,000 versehen waren, während'
überhaupt nur 20,000 Stück Äktien der Gesellschaft existirt
hätten. Der Angeklagte erzählt hierüber eine lange Ge-
schichte über einen Annullirungs-Prozeß, dessen Ausgang
bewirkt habe, daß die Aktien mit den Nummern über
20,000 mehr werth seien, als die alten Aktien.
Präs.: Ich konstatire, daß in der Verhandlung gegen
einen gewissen Pokorny wegen Betrugs dieselben Aktien mit
Nummern über 20000' vorkamen, wobei gleichfalls, so wie
im vorliegenden Falle, die Agenten Mittelmann und
Bienenstock eine Rolle spielten. In diesem Betrugsprozesse
wurde konstatirt, daß die Aktien werthlos seien.
Zeude Alfred Schwalb, Bankier, Ziegelei- und Fa-
briksbesitzer in Karlsbad, sagt' über die Jugend und das
Vorleben Hoffmann's aus. Derselbe ser ein talentirter
junger Mensch und aus guter Familie gewesen. Als Hoff-
mann im Jahre 1877 in Karlsbad war, escomptirte Herr
Schwalb ihm mehrere Wechsel von englischen Firmen, die
ihm auf seine Erkundigung als zahlungsfähig bezeichtet
wurden. Hoffmann erzählte ihm, daß er das Gut Wolfs-
berg angekauft habe. Der Abschluß sei nur noch von dem
Erlag von 500,000 fl. abhängig, welche er sich durch Ver-
pfändung der Materialien verschaffen werde. Damals kam
auch Herr Parker nach Karlsbad und Zeuge hat von den
Geschäften mit der Railway Company in Manchester Kennt-
niß erhalten. Damals habe Hoffmann zu Parker gesagt,
derselbe möge mit ihm einen Abstecher nach Wolfsberg ma-
chen. Parker fragte damals Herrn Schwalb, wie es komme,
daß Jedermann in Karlsbad über Hoffmann eine ungün-
stige Auskunft ertheile. Thatsächlich habe Hoffmann keinen
Freund, und Herrn Schwalb gegenüher sprachen Viele ihr
Erstaunen darüber aus, daß er mit Hoffmann verkehre.
Herr Schwalb sagte Herrn Parker, die ungünstigen Aus-
künfte thun nichts zur Sache, aber er möge vorsichtig sein
und sich überzeugen, ob Hoffmann als Eigenthümer von
Wolfsberg eingetragen sei. Später kam Hoffmann wieder
zu Herrn Schwalb mit dem Ansinnen, Wechsel einer engli-
schen Bank zu eskomptiren. Obgleich er ihm erklärte, daß
Vater und Sohn.
Wenn man noch so ruhig dahin lebt, dabei
aber ein offenes Auge und ein offenes Ohr mit-
gebracht hat auf die Welt, so blickt man nach und
nach in eine Anzahl von Tragödien und Komödien,
und man braucht nur in dem Bilderbuche seiner
Erinnerungen zu blättern, um Geschichten und
Gestalten, die Einem schon verdämmert und ent-
schwunden waren, wieder vor sich aufleben zu lassen.
Wie ich so vor mich hin sinne, um über allerlei
interessante Personen und Ereignisse, die ich kennen
gelernt, Revne zu halten, fluthen die Reminiscenzen
fast erdrückend auf mich ein, traurige und lustige,
versöhnliche und erschreckende — ist doch jedes
Beobachters Seele ein Spiegel, der seine Bilder
nicht wieder losläßt, sondern sie festhält auf immer,
für ein Menschenleben!
Ein Romanschreiber braucht, um Effekte zu
erzielen, nur das Protokoll der Wirklichkeit zu führen.
Diese dichtet und schafft für ihn; er braucht nur
getreu zu registriren .... Oder vermöchte irgend
eine Romane und Novellen gebärende Phantasie
etwas Originelleres zu ersinnen, als die Geschichte,
die mir just am eindringlichsten in den Sinn kommt,
die Geschichte einer sonderbaren Ehe? .... Der
Regisseur des wunderlichen Dramas, zum Theil
allerdings der unfreiwillige, war Fürst R., einer
der reichsten Adeligen der großen Hauptstadt eines
großen Reiches
Namen thun nichs mehr zur
Sache, wenn im Laufe der Zeit die Tagesnenigkeit
schon zur Erinnerung geworden. Fürst R., vom
Hause aus arm, hatte sein Vermögen seiner Gattin
zu verdanken. Er brachte den glänzenden Namen
mit, sie das nicht minder glänzende Vermögen. Sie
war eine Bürgerliche von Geburt, aber ihr Vater-
haus trug das Wappen etlicher Millionen. Die
letzteren vertraten die Ahnen. Im Geschlechte Derer
von R. herrschte eine große Ebbe an schnödem
Gelde und der junge Fürst führte nur einen wohl-
erwogenen Entschluß des Familienraths aus, indem
er die Tochter eines schlechtgeborenen Krösus zur
Frau nahm. Die Ehe verlief ruhig, der Fürst ging
seinen vornehmen Vergnügungen nach, trieb allen
erdenklichen Sport, nur nicht jenen der Gattenliebe,
und als die Fürstin nach der Geburt eines Sohnes
auf das Krankenlager fiel und hinsiechte, athmete
der Fürst beglückt bei dem Gedanken auf, ein mild-
thätiger Tod werde die Mesalliance zerreißen.
Keinen Tag hätte er den Horror verwinden können,
daß er seine Frau aus einem Bürgerhause geholt;
wenn er sich im Ahnensaale seines ehedem ver-
schuldeten und erst durch niedriges bürgerliches
Geld von den Manichkern befreiten Schlosses erging,
schien es ihm oft, als blickten die erzürnten Ahnen
ihn mißbilligend an, als seien sie ihm gram wegen
seiner Heirath mit einer eigentlich gar nicht
„Geborenen“. Die Fürstin ging dem Tode rasch.
entgegen, ihr Gatte, von dem edlen Wunsche beseelt,
sie vorher mit der Welt zu versöhnen, brachte sie dahin, ein
Testament nach seinem liebevollen Sinne abzufassen.
Das Kind wurde zum Universalerben bestimmt; der
Fruchtgenuß des Vermögens verblieb dem Vater
bis zu des Sohnes Großjährigkeit; stürbe der Sohn
vor seinem vollendeten zwanzigsten Lebensjahre, so
fielen die herrenlos gewordenen Millionen dem Vater
anheim. Und als die Fürstin sich hinlegte und starb,
verzieh der Fürst ihr beinahe, daß sie ehedem eine
Bürgerliche gewesen; er wischte sich sogar mit
dem Taschentuche über das rechte Auge, der Form
wegen. Von dieser Stunde an war der Vater nur
von einer Idee erfüllt: den Sohn zu ermorden —
nicht mit dem Dolche in der Hand, sondern auf
stillen, unkontrolirbaren Wegen, mit harmlos
scheinenden Mitteln. Die Frucht der Ehe mit dem
Weibe aus der unadeligen Canaille war ihm an
und für sich verhaßt; dagegen liebte er die Millionen,
und diese seinem Sprößling abzunehmen, war des
Fürsten Ziel. Er ließ das Kind von Anfang an
eine unnatürliche Lebensweise führen, es ungenügend
nähren oder überfüttern und als der Knabe größer
geworden, schickte er ihn im Hochsommer nach Cairo,
im Dezember nach Grönland, mit großen finanziellen
Opfern und natürlich nur, damit der junge Prinz
sich auf Reisen ausbilde, die Welt kennen lerne,
oder — wie ein Theil der bösen Menschheit sagte:
damit er den Keim einer Krankheit nach Hause
bringe. Ein Jahr hindurch mußte der Knabe Tag
und Nacht studiren; ein nächstes Jahr entzog man
ihm alle Lehrer und Bücher. Seine körperliche und
geistige Constitution widerstand Allem. Er wollte
durchans nicht hinfällig, nicht blöde und nicht wahn-
sinnig werden. Während einer bestimmten Periode
wurde der Jüngling von Jagd zu Jagd gehetzt,
Feuilleton.
Dateiname:
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