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Der Diener trat ein und gab ihm den Brief. „Herr Nolan wird mit mir frühstücken.“ „Ja, Herr.“ Er öffnete den Brief und blickte auf die Un- terschrift. „Joseph Norbury!“ rief er aus. Dann ging er heimlich nach der Thür und schloß sie zu. „Lieber Herr Needham,“ las er, „empfangen Sie meinen besten Dank für die beiden Em- pfehlungsschreiben. Ich erkenne Ihre Freundlich- keit hoch an. Heute morgen erhielt ich von meinem Sachwalter in Derbyshire die Nachricht, daß er um sechs Uhr nach der Stadt kommen werde. Er lud sich bei mir zum Mittagessen ein, damit wir über Geschäftsangelegenheiten sprechen könnten. Das ist unangenehm Hier sah Needham vom Lesen auf und sagte zu sich: „Ich weiß nicht, vielleicht ist es unan- genehm —“ vielleicht auch nicht. Jedenfalls bin ich auf Alles vorbereitet.“ Sich dann wieder zu dem Briefe wendend, las er: „aber mein Besuch reist um neun oder zehn Uhr nach Richmond ab, und wenn ich meine Zusage auf Ihre freundliche Einladung zum Diner zurücknehmen muß, weswegen ich Sie um Entschuldigung bitte, so erlauben Sie mir wohl, zu Ihnen zu kommen und eine Zigarre mit Ihnen zu rauchen, nachdem mein Freund fort ist. Ich würde das sehr gern thun und Ihre weiteren Briefe, sowie Ihren Rath bezüglich meiner Reise nach New-York entgegennehmen. Bemühen Sie sich nicht mit einer Antwort. Ich werde es darauf ankommen lassen, ob ich Sie zu Hause finde, da ich nichts weiter vorhabe, und ich bitte Sie, sich durch mich nicht verhindern zu lassen, falls Sie etwa einen Ausgang zu machen gedachten. — Ihr sehr ergebener Joseph Norbury.“ „Wahrlich, die Vorsehung oder der Teufel haben die Hand im Spiel!“ rief Needham. „Zwar die Vorsehung kann es nicht sein, denn sie hat streng und bestimmt geboten und auf die steinerne Tafel gegraben. „Du sollst nicht tödten.“ Also der Teufel? oder das Verhängniß? oder das Schicksal? Sie nehmen das Recht in Anspruch, zu wählen, welches von den beiden Leben, die auf der Wage liegen, das Opfer werden soll. Er ist unter wunderbarer Gestaltung der Verhängnisse und unter Millionen ausersehen und im rechten Augenblick nach London geführt. Jeder einzelne Umstand bei der Sache ist für mich geordnet. Es ist, als ob ich, gleich dem Pa- triarchen, einen Widder, mit seinen Hörnern in den Dornen hängend, gesunden hätte, der an Stelle des andern Opfers treten soll; es ist, als ob ich den Dolch sähe, der nach Duncan's Zimmer weist, die Verhältnisse sind mir wie ein Vorzeichen gleich dem Omen, welches Tarquinius ermuthete. Aber was wird das Ende sein? Werden nicht zuletzt die unsichtbaren Geister mich fordern und verdammen? Da steckt der Knoten. — Aber genug des Uebels für jeden Tag an dem seinen. Ich führe die Sache durch — falls mir die Umstände günstig bleiben — und sollte ich auch dafür hängen!“ Sein Gesicht war jetzt von fahler Blässe und um seinen harten Mund lag ein Ausdruck von Grausamkeit; er ging wieder in seinem Zimmer hin und her, tigerartig und ab und zu stehen bleibend, um zu flüstern oder zu sprechen. Jetzt nahm er das Rasirmesser aus seiner Rocktasche und steckte es in die Tasche seines Schlafrockes. „Ich will mich erst nachher ankleiden,“ sagte er; „Nolan wird des Wartens müde sein.“ Dann schob er Norbury's Brief zu dem Rasir- messer, wusch seine Hände, bürstete sein dünnes Haar, zog die Schnüre seines Schlafrockes an und glitt katzenartig in das Eßzimmer, wo er seinen vertrauten Sachwalter fand, der, eine Hand in der Tasche und mit der andern seine Brille schwingend, ungeduldig umherging. „Ich habe Sie zu lange warten lassen und bitte um Entschuldigung; ich ging erst sehr spät zur Ruhe.“ „Das glaube ich, denn während all der Jahre, seitdem ich Sie kenne, habe ich Sie niemals im Schlafrock gesehen.“ „Und Sie sollen mich nie wieder darin sehen, wenn mein Anblick Ihnen so mißfällt. Ich glaube, Sie wundern sich in diesem Augenblick darüber, was meine Wähler hat veranlassen können, mich einen Gecken zu nennen?“ „Nein, mein Freund, ich dachte nicht an etwas o Geringfügiges. Ich habe heute Morgen einen anz eigenthümlichen Brief erhalten, der die Echtheit der Broadwood'schen Hypothekendokumente in Frage stellt. Ich erhielt die Zustellungen von schleunigen Klagen gegen Sie im Gesammtbetrage von mehr als fünfzigtausend Pfund, und die ganze Stadt ist heute voll von Ihrem finanziellen Ruin. Man sagt, Sie könnten den Bankerott keine vierund- zwanzig Stunden mehr aufhalten. Was soll ge- schehen? Kann ich irgend etwas für Sie thun? Ich kam nun her, um diese Fragen an Sie zu stellen.“ „Ich danke Ihnen, Nolan; Ihre Theilnahme rührt mich. Mir ist, als hätte ich meinen Halt an den Dingen und im Leben verloren, das ist wahr.“ „So sehen Sie auch aus.“ „Ich bin krank, aber ich werde mich heraus- arbeiten.“ „Es fehlte Ihnen nie an Muth. Bieten Sie dem Uebel die Stirn; Ihre Ehre ist un- befleckt; Sie haben nur Unglück gehabt.“ „Ich hoffe, daß Sie immer so denken werden. Vielleicht wird der eigenthümliche Brief, von dem Sie sprechen, Sie eines andern belehren! Aber mein lieber Nolan, warten Sie ab. Der Montag Morgen kann Wunder für uns thun; ich hoffe darauf. Sie werden doch mit mir frühstücken?“ „Nein, ich danke Ihnen, ich kann nicht bleiben.“ „Ja, Sie können, Sie müssen, lieber Freund. Ich habe Geschäfte von äußerster Wichtigkeit mit Ihnen zu besprechen.“ Herr Nolan blieb zum Frühstück und noch lange nachher. Er kehrte nicht nach der City zurück, sondern wurde in Needham's Wagen nach Hause gefahren. Nach dessen Rückkehr sagte Needham zum Kutscher: „John, Sie müssen mit dem nächsten Zuge nach Leighton Buzzard fahren. Besorgen Sie Ihre Pferde und machen Sie sich bereit. Ich habe eine Bestellung für Sie an Richard, auch ist Medizin für die Pferde mitzunehmen. Und Sie, Jakob —“ „Zu Befehl, Herr,“ sagte der Lakai. „Sie mögen mitfahren. Ich werde Sie hier nicht brauchen, da ich morgen nicht zu Hause bin“. „Ja, Herr.“ „Sie werden Beide in Leighton Buzzard bleiben und am Montag Morgen zur Zeit, wo der erste Zug eintrifft, mit der Kalesche nach dem Bahnhof Leighton fahren, um mich abzuholen. „Sehr wohl, Herr.“ Herr Needham sah auf seine Uhr. „Sie haben zwei Stunden, um Ihre Pferde zu versorgen und nach der Bahn zu gehen. Wenn Sie soweit sind, habe ich eine Flasche für Sie.“ Sie nahmen eine Flasche und einen Brief ihres Herrn nach Leighton mit; aber es war nicht die Flasche, welche Tags zuvor mit so großen Umständlichkeiten in Portland Place ab- geliefert wurde. Indessen hatte John den Be- fehl erhalten, das Packet nicht zu öffnen, da Herr Needham ihm Anweisung über den Gebrauch erst am Montag Morgen geben würde. Als die beiden männlichen Dienstboten fort waren, ging Herr Needham — welcher John befohlen hatte, den Stallschlüssel auf seinen Ar- beitstisch zu legen — hinunter nach dem Hof und rauchte dort — ganz gegen seine Gewohnheit — eine Zigarre. Er ging in den Stall und streichelte den Hengst, welchen er zu seinen Fahrten in der Stadt benutzte. Dann untersuchte er das Geschirr und das Coupee, indem er durch den Stall und die Wagenremise schritt. Nach einer Weile legte er dem Hengste das Geschirr an. Er lauschte hinaus in den Hof, um zu sehen, ob er beobachtet würde. Nein, Alles war still. Er besah das Coupee noch einmal genau, kam zurück und prüfte die Zugriemen, nun schirrte er den Hengst wieder ab, streichelte und klopfte ihm den Nacken und legte ihm zuletzt abermals das Geschirr an; dann nahm er die Zigarre auf, welche er auf das Fenstersims gelegt hatte, und ging in sein Zimmer zurück. „Ich könnte es in anderer Weise ausführen,“ sagte er zu sich, „wenn nicht das Schicksal und die Umstände auf diesen einen Weg wiesen, meinen Weg, auf den Weg, den ich selbst gehen wollte. Mein Plan ist fertig — er ist einfach und natürlich und ich sehe ihn von Anfang bis zu Ende klar vor mir. Wenn ich nun diesen Stell- vertreter, dies zweite Ich statt meiner nehme, so muß ich ihn genau bis ins Einzelne an meine Stelle setzen, und dazu ist der einzig mögliche Weg, daß ich ihn an den Ort fahre, wo die Leiche John Needham's gefunden werden soll. Es bleibt nichts Anderes übrig; aber die Aus- führung einer solchen Unterschiebung — welch gefährliches Unternehmen! — Alles muß schnell und mit fester Hand geschehen. Wenn ich stümperte, wie ich es in der letzten Zeit oft ge- than habe? Wenn ich ein Versehen machte und mitten bei meinem Werk entdeckt würde? Nun, es ist genug Gift für uns Beide da. Mir ist, als hätte ich schon eine gefährliche Medizin in meinem Blute. Die Menschen, welche einen Mord begehen, müssen erst verrückt sein. Es ist Wahnsinn. Mein Wille wird von einer Macht außer mir bewegt. Mir ist, als ob ich schon nach meiner Beute kröche und mich zum Sprunge duckte, und ich werde heiß und kalt.“ Er ging wieder in der raubthierartigen Weise, welche vorher seine Bewegungen gekenn- zeichnet hatte, im Zimmer hin und her und hielt an, um sein bleiches Gesicht und seine blassen Lippen im Spiegel zu betrachten. Jetzt setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch und ordnete Papiere, dann machte er einige Notizen in sein Tagebuch, nahm ein Packet Banknoten aus dem geheimen Schrank und legte sie in seine Brief- tasche. Danach klingelte er. „Schicken Sie mir die Köchin,“ sagte er zu dem Stubenmädchen, welches auf seinen Ruf eingetreten war. „Sogleich, Herr.“ „Und, Marie, waren Sie schon einmal in der Oper.?“ „Danke, Herr, ja.“ „Heute ist eine große Vorstellung in der Oper. Möchten Sie wohl hingehen?“ „Ja, Herr, ich danke Ihnen.“ „Nun, Sie sollen also und Johanna auch; außer der Köchin ist nur noch Johanna da, nicht wahr?“ „Und Sara, Herr.“ „Gut, da ich erst sehr spät nach Hause kommen werde, so könnt Ihr Alle hingehen. Ich werde Plätze für Euch besorgen; werde auch die Oper besuchen und erwarte, Euch auf Euerm Platze zu sehen.“ „Großen Dank, Herr.“ „Noch Eines; ich sollte meinen, daß Rogers Euch recht gern begleiten würde?“ „Ich weiß es wirklich nicht, Herr.“ „Ah! nun, ich werde mit ihm darüber reden.“ „Danke, Herr,“ sagte sie und knixte aus dem Zimmer. „Der Herr ist verrückt geworden!“ rief sie draußen. „Ganz und gar verrückt — verrückt wie Keiner sonst! — Wo ist Rogers?“ „In seiner Kammer.“ „Ich muß mit ihm sprechen; wenn je Einer verrückt war, ist es unser Herr!“ Marie flog zum Hausmeister, welcher ihre Nachricht ungläubig und ärgerlich aufnahm. „Ich 'n Haufen Weibspersonen nach der Oper führen? Marie, Du bist verrückt!“ Da klingelte der Herr. „Nun, wir werden ja sehen,“ und Herr Rogers ging würdevoll nach dem Arbeitszimmer. Nachdem er mit dem Herrn gesprochen hatte, wandte er sich nach der Wirthschafterin Zimmer, und da er Frau Short nicht fand, ging er in die Küche zurück. „Wo ist Frau Short?“ (Fortsetzung folgt.) Neueste Nachrichten. Der Aufstand auf Kreta. London, 26. Mai. Die Times melden aus Athen: Seit gestern herrscht vollständige Anarchie in Canea. Die türkischen Soldaten morden und plündern die christlichen Ein- wohner. Die Kawasse des griechischen und russischen Konsulats befinden sich unter den Ge- töteten. Alle Konsuln ersuchten telegraphisch um Kriegsschiffe. Die englische Flotte in Malta ging heute nach Creta in See. Turkhan Pascha ist vollständig machtlos, um die Soldaten im Zaume zu halten. Auch in Rethymo ist die Lage ernst. Athen, 26. Mai. Die englischen und russischen Panzerschiffe erhielten Befehl, unverzüglich nach Canea in See zu gehen. Nachrichten über neue Mordthaten rufen hier große Erregung hervor. Das Blatt „Asty“ bestätigt, daß die Kawasse des russischen und griechischen Konsulats getötet wurden. Der Agent der Griechischen Schiff- fahrsgesellschaft, John, und dessen Familie wurden ebenfalls ermordet. Der Aufstand wird allgemein. Ein Boot wurde im Hafen von Rethymo mit Kanonen beschossen, so daß es nicht landen konnte.
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