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er Erzähler. Anterhaltungs-Beilage zum „Katholischen Volksfreund.“ Nr. 11. 28. Jahrgang. 1895. Der Steinmetz von Köln. Kulturhistorische Erzählung aus dem 15. Jahrhunderte. Von P. J. B. Diel, S. J. (Nachdruck verboten.) 6. Das Gericht der Steinmetzen. Das war ein Funkeln und Glitzern auf all' den Dächern des alten Köln! Die dunklen Wolken waren wie weggescheucht, und die Sonne schaute vergnüglich d'rein, als hätte sie sich reiner gebadet, denn sonst, bei ihrem Erwachen. Es mochte ungefähr sieben Uhr sein. In langen Reihen zogen die Steinmetzen und Werkleute des Domes ous der St. Johannes-Kirche, wo sie, wie gewöhnlich, der heiligen Messe beigewohnt hatten, nach ihrer Werkstatt. Konrad ging voran, denn als Palier hatte er die Hütten zu öffnen. Aber wie fuhr er zusammen, als er den Eingang erbrochen und das Schloß zer- trümmert fand! Bleich und entsetzt sagte er mit bebender Stimme: „Hier ist ein Frevel geschehen!“ Und das Wort theilte sich den Reihen mit, und in einem Augen- blicke waren alle Werkleute vor der Pforte versammelt und drängten sich hindurch in das Innere der Hütten. Aber da standen die Steinbilder unverletzt; jedes Werkzeug lag an seinem Platze und Nichts deutete auf gewaltsamen Raub. Doch schon war ein Meister in der Tiefe angelangt und seine Stimme tönte herauf: „Der Domplan ist geraubt.“ Alle erschraken und stürzten zu dem Schreine hin. Er war leer, und auf dem Boden lag das zertrümmerte Heiligenbild mit wenigen Glasscherben. „Lasset den Meister rufen; Meister Claes soll kommen,“ riefen mehrere Stimmen zu gleicher Zeit. „Volker ist bereits hinausgeeilt,“ ent- gegneten Andere. Unterdessen hatte sich ein Geselle ge- bückt, um das Steinbild aufzuheben, als er unter einem der Stücke das Kettchen mit dem Schilde fand, welches die Jüdin dorthin geworfen. Triumphirend hob er dasselbe in die Höhe; ein Meister ent- riß es ihm und betrachtete es genau. Plötz- lich trat er zu Konrad' hin und sagte: „Ei, Konrad Kuen, das ist ein seltsam' Ding! Ist das nicht Euer Werkzeichen, das hier auf diesem Schildchen eingravirt steht?“ Die Werkleute guckten verwundert auf und wandten ihre Blicke nach dem jungen Steinmetz hin, der bleich, aber unerschrocken vor ihnen stand. Konrad erkannte sogleich die Kette, die zum Zierrathe an seinem Gürtel“ ge- hangen hatte. „Das ist mein Eigen!“ ent- gegnete er mit fester Stimme; „aber wie es hierhin gekommen, weiß ich nicht. Ver- mißt habe ich das Ding schon lange.“ Der Meister schüttelte den Kopf bei diesen Worten, denn ein schwerer Verdacht mußte wegen dieses Fundes auf Konrad lasten. Einzelne Gesellen sprachen auch offen ihre Meinung aus und redeten von Trug und Heuchelei. Sie trennten sich in Gruppen und sprachen bald laut, bald leise mit einander, während Konrad ganz ver- einsamt an einem Steinblocke stand. „So geht's, wenn man hoch stolziret,“ sagte ein Geselle, der in Konrad's Nähe sich befand. „Dann fällt man um so tiefer,“ ent- gegnete ein Anderer. „Gott höhet alle Güte und erniedrigt Hochgemüthe,“ dachte Konrad, denn er wußte, daß er unschuldig war; aber daß Keiner sich seiner annahm, that ihm in der Seele wehe. Da trat ein alter Meister zu ihm heran. „Kein Ding mag nützer sein, Als wenn Du der Seele Dein Tugend machest offenbar, Darvon sie reine wird und klar,“ sagte er tröstend zu dem Jünglinge. „Meister!“ entgegnete Konrad treu- herzig, „Gott lohn's Euch; meine Seele ist rein und klar.“ Ein heftiges Gelächter unterbrach ihn. „So, so,“ rief ein Geselle höhnisch herüber, der schon längst dem Steinmetzen übel wollte, „dann wäre dieser Nachtbesuch der erste nicht?“ „Ich kann's bezeugen,“ entgegnete ein Anderer, „und Volker auch; er muß es thun, trotz aller Freundschaft, so will es unser Recht.“ Konrad wurde über und über roth, denn er erkannte, daß seine nächtlichen Gänge nach der Bauhütte verrathen waren. Nun blieb ihm keine Rettung möglich. Und abermals begannen die Spottreden und wurden lauter und lauter. Aber da trat der alte Meister zwischen die Spre- chenden. „Seit wann hat man das Schweigen in der Werkstatt gebrochen?“ rief er zornig aus. „Ist das Steinmetzbrauch? Flugs, Meister und Gesellen, greift zum Meißel und Hammer, bis daß ein Gericht beginnt nach Förmlichkeit und Sitte; indessen bleibt Konrad Kuen in meiner Wacht.“ Meister Beit war ein Mann in greisen Haaren, der älteste Arbeiter in der Werk- statt, vor dem Alle großen Respekt hatten. Keiner wagte ihm zu widersprechen, und bald klangen die Meißel und Hämmer durch die Hütte hin, als wäre Nichts ge- schehen. Konrad allein stand traurig da; ihm gegenüber war ein Fenster, in dessen bunt belaufenen Scheiben die Sonne spielte und glitzerte. Bei diesem Anblicke erinnerte er sich an seinen Traum von heute Morgen, aus dem er so freudig erwachte und Sonnen- gold und Glockenklänge ihn so selig be- grüßten. Er hatte so vertrauensvoll ge- betet, sollte er jetzt verzweifeln? Da trat Meister Claes, begleitet von Volker, in die Hütte; die Werkleute legten Meißel und Hammer nieder, Meister Beit aber, der in manchen Sprüchen bewandert war, flüsterte Konrad zu: „Reden ist allweg nicht gut, Schweigen auch oft schaden thut, Darum in allen Dingen Maße han Und Furcht, ist wohlgethan.“ Der Jüngling lächelte; dann trat er mit entschlossenem Sinne dem Dombau- meister entgegen. Meister Claes hob das Verbot des Schweigens noch nicht auf; er machte ein Zeichen, daß Alle in ihrer ürbeit fortfahren sollten; dann schritt er durch die Reihen hindurch zu dem Orte, wo die Frevelthat geschehen war. Als er an Konrad vorüberkam, blickte er verwundert auf den Jüngling, denn er wußte nicht, warum dieser mit dem alten Weit abseits von den Uebrigen stand. Noch ehe er nach der Ursache fragen konnte, sprach Konrad fest und entschlossen: „Meister, auf mir liegt der Verdacht der That!“ Der alte Claes riß weit die Augen auf und traute seinen Ohren kaum, als er diese Worte hörte. „Gehe, Konrad,“ sagte er wehmüthig, „Du scherzest, oder hat die böse That Deinen Verstand verwirrt?“ (10. Fortsetzung.)
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