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Nr. 1. Sonnabend, den 2. Januar 1909. 46. Jahrgang. anc2iv Buschriften und Berichte werden bis Dienstag, Donnerstag und Sonnabend 8 Uhr vormittags, Anzeigen bis Dienstag, Donnerstag und Sonnabend vormittags spätestens 10 Uhr angenommen in der Schriftleitung bez. Verwaltung untere Selbergasse 420. Gemeinde-Zeitung Fernsprechanschluß Nr. 56. Mbovns für Asch und Umgegend. Bezugsbedingungen: Wi Foſtzusondung für im Inland (samt Zustellung ins Haus) viertelfahrlich 2 K 40h vierteljährlich 9 K — h abgK8h halbjhrg6K —h 12R = aE Sh vierteljährig 8 K 50 n für's Ausland: Erscheint jeden Dienstag, Donnerstag und Honnavend nachmittags mit den Beilagen „Jllustriertes Familienblatt“ und „Humoristische Blätter“. Anzeigengebühr für die Kleinzeile oder deren Raum 10 h. Bei öfteren Einschaltungen oder größeren Ankündigungen entsprechender Rabatt. Wien, 1. Jänner. In unterrichteten Kreisen gilt der 20. Jän- ner als der Termin, bis zu dem die Entschei- dung über die Bildung eines definitiven Kabi- netts fallen soll. Gelingt nicht die Parlamen- tarisierung des Kabinetts, dann wird das ge- genwärtige Beamtenkabinett wahrscheinlich mit einigen Personalveränderungen in ein defini- tives Beamtenkabinett umgewandelt werden. Die Versuche in der Richtung der Parla- mentarisierung des Kabinetts werden zur Zeit noch eifrig betrieben, haben jedoch augenblick- lich wenig Aussicht auf Erfolg. Eine aus der Umgebung des früheren Arbeitsministers Dr. Geßmann stammende Preßäußerung bezeichnet als die Vorbedingung der Parlamentarisie- rung, die Herstellung eines modus vivendi in der deutsch-tschechischen Frage und die Reform der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses. Wird wirklich an diesen Voraussetzungen festgehalten, dann kann die Parlamentarisierung des Kabinetts nur auf Kosten der deutschen und bürgerlichen Interessen erfolgen und das wird wohl noch zu verhindern sein. Die „Arbeiterzeitung“ hat bereits zur Frage der Reform der Ge- schäftsordnung Stellung genommen. Das „Fremdenblatt“ hatte nämlich ausgeführt, „daß das Abgeordnetenhaus sich daran gewöh- nen müsse, daß Abstimmungen entscheiden, Majoritäten bestehen, Kabinette aus ihnen ge- bildet werden. Jetzt müsse man den Kreis der Mojorität unendlich weit ziehen, so daß eigentlich keine Fraktion außerhalb der Inte- ressengemeinschaft der Regierungsmajorität bleiben darf.“ — Hiezu bemerkt die „Arbei- terzeitung“: „Die Schlußfolgerung aus die- sen Behauptungen ist mit Händen zu greifen: die Geschäftsordnungsreform muß gemacht werden, damit die „Majorität“ herrschen kann und auf die Sozialdemokratie keine Rücksicht zu nehmen braucht. Wenn sie sorechnen, werden die Herrschaften auf die Geschäftsordnungsreform lange warten können.“ Die sozialdemokratische Partei wird eine Reform der Geschäftsordnung behufs Bildung eines parlamentarischen Koalitionsministe- riums also nur dann zulassen, wenn dabei vorgesorgt wird, daß das Parlament auf die so- zialdemokratische Partei „Rücksicht“ nehme; das heißt also, den Bürgerlichen wird gestattet zu regieren, aber sie dürfen nur so regieren, wie es der sozialdemokratischen Partei genehm Was aber die Herstellung eines modus vi- vendi in der böhmischen Frage anlangt, so deu- ten selbst jene, die davon als einer unerläß- lichen Voraussetzung zur Parlamentarisie- rung des Kabinetts sprechen, an, daß dieser modus vivendi nur dann hergestellt werden könne, wenn die Deutschen — nachgeben, weil sonst die Tschechen nicht an der Koalition teil- nehmen würden. — Manche der deutschen Ab- geordneten wären vielleicht für einen solchen Handel zu haben, die deutsche Wählerschaft ge- wiß nicht. Die Idee der Bildung einer par- lamentarischen Regierung muß auch für die be- geistertsten Anhänger des parlamentarischen Prinzips unter den Deutschen ihre Reize ver- lieren, wenn diese Idee nur um den Preis na- tionaler Konzessionen an die Tschechen und dauernden Abhängigkeit von der sozialdemo- kratischen Partei erkauft werden kann. Die Erdbebenkatastrophe in Süditalien. Immer schrecklicher lauten die Nachrichten, die aus dem süditalienischen Erdbebengebiete kommen. Es liegt etwas Niederdrückendes, das oft bis zur Vermessenheit reichende, menschliche Selbstbewußt- sein tief Demütigendes in dieser italienischen Was nun? ist. list. �Sie scherzen — ein amerikanischer Nihi- Der Duppelgänger des Zaren. Von Artur W. Marchmont. Einzig autorisierte deutsche Uebersetzung von A. Geisel. (Fortsetzung.) „Wieso? Was wollen Sie damit sagen?“ fragte Harper möglichst unbefangen. „Na, es ist allerlei hier passiert, Monsieur, und da Sie doch Journalist sind und auf Neuigkeiten fahnden, dachte ich „Oh, Sie haben Neuigkeiten — heraus da- mit“, fiel der Amerikaner dem andern leb- haft ins Wort. „Zuerst also muß ich Ihnen sagen, daß ich Geheimpolizist bin,“ begann der Detektiv lächelnd. „Sie — sind — Geheimpolizist?“ rief Har- per mit gutgespielter Ueberraschung, „und ich Rindvieh hielt Sie für einen Großgrundbe- sitzer! Alle Achtung vor der russischen Ge- heimpolizei?“ „Ja, wir verstehen uns darauf, das Pub- likum zu mystifizieren,“ lachte der andere ge- schmeichelt; „wissen Sie übrigens, daß ich mich in betreff Ihrer Persönlichkeit auch täuschte, Monsieur?“ „Ei — hielten Sie mich am Ende für einen Kollegen?“ lachte Harper. „Nein, Monsieur — ich hielt Sie für einen Nihilisten!“ „Mich? Einen Amerikaner? Na, ich danke!“ die Nihilisten rekru- „Ach, Monsieur — tieren sichzaus, aller Herren Ländern. Wir forschten ach einem Landsmann von Ihnen, einem Herrn-Deved E Harper, der wirklich Nihilist ist.“ „Jawohl, und zum Glück haben wir ihn auch gefunden; er war in diesem Zuge, und ebenso eine Dame, eine gefährliche Nihilistin!“ „Auch eine Amerikanerin?“ „Nein, eine Russin, außerdem eine Schön- heit ersten Ranges und aus feiner, vornehmer Familie.“ „Ich kann's immer noch nicht glauben — eine wirkliche Nihilistin! Dergleichen käme in Amerika niemals vor, gottlob.“ „Na, in Amerika gibt's Anarchisten, die um kein Haar besser sind, Monsieur, wie et- liche Ihrer Präsidenten zu ihren Schrecken erfuhren.“ „Pah, das waren Verrückte, oder der Ab- schaum von Europa, keine ehrlichen, echten Amerikaner.“ „Hm — diesmal ist unser Gefangener ein Amerikaner und ein Mörder, Monsieur. Aber nun leben Sie wohl — ich kehre mit dem nächsten Zuge nach Petersburg zurück.“ „Adieu — vielleicht tue ich's auch noch ich möchte mir den Nihilistenspaß gar zu gern ansehen — was wird man denn der armen Dame antun?“ „Ei nun — sie wird in die sibirischen Berg- werke verschickt — das kühlt ab, Monsieur.“ Der Polizist entfernte sich und Harper blickte ihm tieferregt nach; nein, in die sibi- rischen Bergwerke sollte Helga nicht geschleppt werden — Gott sei Dank, daß er auf freiem Fuß war und sie retten konnte! — 24. Kapitel. Während der Weiterfahrt nach Insterburg hatte Harper Zeit, seinen trüben Gedanken nachzuhängen — er hatte sich nämlich ent- schlossen, von Insterburg aus den fahrplan- mäßigen Schnellzug zur Rückkehr zu benützen wenn er mit dem Zuge fuhr, in welchem Helga und Sigel nach der Hauptstadt beför- dert wurden, mußte er fürchten, Kalkow in die Hände zu fallen, und das wünschte er unter allen Umständen zu vermeiden — nur jetzt um Gottes willen frei bleiben, um Helga retten zu können! Wenn Kalkow erfuhr, daß seine Leute den falschen Harper erwischt hatten, ge- riet er in fürchterliche Wut; wie schlau hatte er operiert, um zugleich mit Helga und Harper die Nihilisten zu treffen und nun war doch ein kleiner Fehlschlag in seiner Rechnung. In Insterburg verließ Harper den Zug und befand sich bald auf dem Rückweg zur Hauptstadt. In Kowno war der Aufenthalt nur kurz; doch hatte Harper Zeit, eine Mahl- zeit einzunehmen, und bei dieser Gelegenheit sah er den älteren Beamten, der Sigel ab- geführt hatte. Kurz entschlossen stellte er sich dem Herrn als Korrespondent des „Adlers“ vor, und als er betonte, er sei Amerikaner, fragte der Beamte: „Ist der Amerikaner, den wir hier arretierten, Ihnen bekannt, Mon- sieur?“ „Vielleicht — wie heißt er denn?“ „Ja, seinen Namen wollte er absolut nicht nennen, Monsieur — nun in Peters- burg wird man ihm schon die Zunge lösen.“ „Nun, vielleicht suche ich meinen Lands- mann in der Hauptstadt auf —“ „Das würde ich Ihnen nicht raten, Mon- sieur — er steht unter der Anklage des Mordes.“ „O weh — das ist allerdings schlimm. Mit Mördern mag ich nichts zu tun haben — auf Wiedersehen, Monsieur.“
Dateiname: 
ascher-zeitung-1909-01-02-n1_0015.jp2