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Nr. 1.
Sonnabend, den 2. Januar 1909.
46. Jahrgang.
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Wien, 1. Jänner.
In unterrichteten Kreisen gilt der 20. Jän-
ner als der Termin, bis zu dem die Entschei-
dung über die Bildung eines definitiven Kabi-
netts fallen soll. Gelingt nicht die Parlamen-
tarisierung des Kabinetts, dann wird das ge-
genwärtige Beamtenkabinett wahrscheinlich mit
einigen Personalveränderungen in ein defini-
tives Beamtenkabinett umgewandelt werden.
Die Versuche in der Richtung der Parla-
mentarisierung des Kabinetts werden zur Zeit
noch eifrig betrieben, haben jedoch augenblick-
lich wenig Aussicht auf Erfolg. Eine aus der
Umgebung des früheren Arbeitsministers Dr.
Geßmann stammende Preßäußerung bezeichnet
als die Vorbedingung der Parlamentarisie-
rung, die Herstellung eines modus vivendi in
der deutsch-tschechischen Frage und
die Reform der Geschäftsordnung des
Abgeordnetenhauses. Wird wirklich
an diesen Voraussetzungen festgehalten, dann
kann die Parlamentarisierung des Kabinetts
nur auf Kosten der deutschen und bürgerlichen
Interessen erfolgen und das wird wohl noch
zu verhindern sein. Die „Arbeiterzeitung“
hat bereits zur Frage der Reform der Ge-
schäftsordnung Stellung genommen. Das
„Fremdenblatt“ hatte nämlich ausgeführt,
„daß das Abgeordnetenhaus sich daran gewöh-
nen müsse, daß Abstimmungen entscheiden,
Majoritäten bestehen, Kabinette aus ihnen ge-
bildet werden. Jetzt müsse man den Kreis
der Mojorität unendlich weit ziehen, so daß
eigentlich keine Fraktion außerhalb der Inte-
ressengemeinschaft der Regierungsmajorität
bleiben darf.“ — Hiezu bemerkt die „Arbei-
terzeitung“: „Die Schlußfolgerung aus die-
sen Behauptungen ist mit Händen zu greifen:
die Geschäftsordnungsreform muß gemacht
werden, damit die „Majorität“ herrschen kann
und auf die Sozialdemokratie keine Rücksicht
zu nehmen braucht. Wenn sie sorechnen,
werden die Herrschaften auf die
Geschäftsordnungsreform lange
warten können.“
Die sozialdemokratische Partei wird eine
Reform der Geschäftsordnung behufs Bildung
eines parlamentarischen Koalitionsministe-
riums also nur dann zulassen, wenn dabei
vorgesorgt wird, daß das Parlament auf die so-
zialdemokratische Partei „Rücksicht“ nehme;
das heißt also, den Bürgerlichen wird gestattet
zu regieren, aber sie dürfen nur so regieren,
wie es der sozialdemokratischen Partei genehm
Was aber die Herstellung eines modus vi-
vendi in der böhmischen Frage anlangt, so deu-
ten selbst jene, die davon als einer unerläß-
lichen Voraussetzung zur Parlamentarisie-
rung des Kabinetts sprechen, an, daß dieser
modus vivendi nur dann hergestellt werden
könne, wenn die Deutschen — nachgeben, weil
sonst die Tschechen nicht an der Koalition teil-
nehmen würden. — Manche der deutschen Ab-
geordneten wären vielleicht für einen solchen
Handel zu haben, die deutsche Wählerschaft ge-
wiß nicht. Die Idee der Bildung einer par-
lamentarischen Regierung muß auch für die be-
geistertsten Anhänger des parlamentarischen
Prinzips unter den Deutschen ihre Reize ver-
lieren, wenn diese Idee nur um den Preis na-
tionaler Konzessionen an die Tschechen und
dauernden Abhängigkeit von der sozialdemo-
kratischen Partei erkauft werden kann.
Die Erdbebenkatastrophe in
Süditalien.
Immer schrecklicher lauten die Nachrichten, die
aus dem süditalienischen Erdbebengebiete kommen.
Es liegt etwas Niederdrückendes, das oft bis zur
Vermessenheit reichende, menschliche Selbstbewußt-
sein tief Demütigendes in dieser italienischen
Was nun?
ist.
list.
�Sie scherzen — ein amerikanischer Nihi-
Der Duppelgänger des Zaren.
Von Artur W. Marchmont.
Einzig autorisierte deutsche Uebersetzung von A. Geisel.
(Fortsetzung.)
„Wieso? Was wollen Sie damit sagen?“
fragte Harper möglichst unbefangen.
„Na, es ist allerlei hier passiert, Monsieur,
und da Sie doch Journalist sind und auf
Neuigkeiten fahnden, dachte ich
„Oh, Sie haben Neuigkeiten — heraus da-
mit“, fiel der Amerikaner dem andern leb-
haft ins Wort.
„Zuerst also muß ich Ihnen sagen, daß
ich Geheimpolizist bin,“ begann der Detektiv
lächelnd.
„Sie — sind — Geheimpolizist?“ rief Har-
per mit gutgespielter Ueberraschung, „und ich
Rindvieh hielt Sie für einen Großgrundbe-
sitzer! Alle Achtung vor der russischen Ge-
heimpolizei?“
„Ja, wir verstehen uns darauf, das Pub-
likum zu mystifizieren,“ lachte der andere ge-
schmeichelt; „wissen Sie übrigens, daß ich mich
in betreff Ihrer Persönlichkeit auch täuschte,
Monsieur?“
„Ei — hielten Sie mich am Ende für einen
Kollegen?“ lachte Harper.
„Nein, Monsieur — ich hielt Sie für einen
Nihilisten!“
„Mich? Einen Amerikaner? Na, ich
danke!“
die Nihilisten rekru-
„Ach, Monsieur —
tieren sichzaus, aller Herren Ländern. Wir
forschten ach einem Landsmann von Ihnen,
einem Herrn-Deved E Harper, der wirklich
Nihilist ist.“
„Jawohl, und zum Glück haben wir ihn
auch gefunden; er war in diesem Zuge, und
ebenso eine Dame, eine gefährliche Nihilistin!“
„Auch eine Amerikanerin?“
„Nein, eine Russin, außerdem eine Schön-
heit ersten Ranges und aus feiner, vornehmer
Familie.“
„Ich kann's immer noch nicht glauben —
eine wirkliche Nihilistin! Dergleichen käme in
Amerika niemals vor, gottlob.“
„Na, in Amerika gibt's Anarchisten, die
um kein Haar besser sind, Monsieur, wie et-
liche Ihrer Präsidenten zu ihren Schrecken
erfuhren.“
„Pah, das waren Verrückte, oder der Ab-
schaum von Europa, keine ehrlichen, echten
Amerikaner.“
„Hm — diesmal ist unser Gefangener ein
Amerikaner und ein Mörder, Monsieur. Aber
nun leben Sie wohl — ich kehre mit dem
nächsten Zuge nach Petersburg zurück.“
„Adieu — vielleicht tue ich's auch noch
ich möchte mir den Nihilistenspaß gar zu
gern ansehen — was wird man denn der
armen Dame antun?“
„Ei nun — sie wird in die sibirischen Berg-
werke verschickt — das kühlt ab, Monsieur.“
Der Polizist entfernte sich und Harper
blickte ihm tieferregt nach; nein, in die sibi-
rischen Bergwerke sollte Helga nicht geschleppt
werden — Gott sei Dank, daß er auf freiem
Fuß war und sie retten konnte! —
24. Kapitel.
Während der Weiterfahrt nach Insterburg
hatte Harper Zeit, seinen trüben Gedanken
nachzuhängen — er hatte sich nämlich ent-
schlossen, von Insterburg aus den fahrplan-
mäßigen Schnellzug zur Rückkehr zu benützen
wenn er mit dem Zuge fuhr, in welchem
Helga und Sigel nach der Hauptstadt beför-
dert wurden, mußte er fürchten, Kalkow in die
Hände zu fallen, und das wünschte er unter
allen Umständen zu vermeiden — nur jetzt um
Gottes willen frei bleiben, um Helga retten
zu können! Wenn Kalkow erfuhr, daß seine
Leute den falschen Harper erwischt hatten, ge-
riet er in fürchterliche Wut; wie schlau hatte
er operiert, um zugleich mit Helga und Harper
die Nihilisten zu treffen und nun war doch
ein kleiner Fehlschlag in seiner Rechnung.
In Insterburg verließ Harper den Zug
und befand sich bald auf dem Rückweg zur
Hauptstadt. In Kowno war der Aufenthalt
nur kurz; doch hatte Harper Zeit, eine Mahl-
zeit einzunehmen, und bei dieser Gelegenheit
sah er den älteren Beamten, der Sigel ab-
geführt hatte. Kurz entschlossen stellte er sich
dem Herrn als Korrespondent des „Adlers“
vor, und als er betonte, er sei Amerikaner,
fragte der Beamte: „Ist der Amerikaner, den
wir hier arretierten, Ihnen bekannt, Mon-
sieur?“
„Vielleicht — wie heißt er denn?“
„Ja, seinen Namen wollte er absolut
nicht nennen, Monsieur — nun in Peters-
burg wird man ihm schon die Zunge lösen.“
„Nun, vielleicht suche ich meinen Lands-
mann in der Hauptstadt auf —“
„Das würde ich Ihnen nicht raten, Mon-
sieur — er steht unter der Anklage des
Mordes.“
„O weh — das ist allerdings schlimm. Mit
Mördern mag ich nichts zu tun haben — auf
Wiedersehen, Monsieur.“
Dateiname:
ascher-zeitung-1909-01-02-n1_0015.jp2