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ler Erzähler.
Anterhaltungs-Beilage zum „Katholischen Volksfreund“.
Nr. 1.
31. Jahrgang.
1898.
Bleib daheim!
Eine lehrreiche Erzählung besonders für junge Leute vom Lande.
Erzählt vom sel. Dompikar Adolf Kolping, dem Stifter der kathol. Gesellen-Vereine..
Wenn Du einmal nach der ehemaligen
freien Reichsstadt Köln am Rhein kommst,
die man vor Zeiten auch die „heilige
Stadt“ nannte, um des vielen Heiligthums
und der mannigfachen Andacht, willen oder
auch das „deutsche Rom“ — so hatten
die Bürger“ gebaut, gesammelt und in
Ehren gehalten, — und du gehst dann
von einem gewissen Markte, den wir den
Plundermarkt nennen wollen, die große
Hochmuthsstraße hinab, hältst Dich endlich
etwas rechts, so gelangst Du in einige
kleine, schmale Gassen hinein, die wir nur
mit ihrem rechten Namen nennen wollen:
da ist das Bankerottsloch, die letzte Hoff-
nung und das Jammerthal, — Namen,
die zwar nicht an den Straßenecken ange-
schlagen stehen, die nur erfunden, die aber
doch sehr bezeichnend sind. Gehst Du dem
Bankerottsloche nach, geräthst Du endlich
in ein anderes, schmales, schmutziges Gäß-
chen, über dessen Pflaster Du nicht räson-
niren sollst, weil Dir das gar nichts nützt.
Die Häuser, meist drei-, oft vierstöckig,
sind so nahe zusammengebaut, daß die
Leute in den oberen Stockwerken nicht
viel Mühe nöthig hätten, sich gleich aus
den Fenstern heraus nachbarliche Besuche
zu machen, wenn die Freundschaft unter
ihnen nämlich so groß wäre. Es gibt
deßhalb in der Gasse nicht viel Licht, Luft
und Sonne, ist von der einen Seite nach
hinten die Aussicht durch das hohe Ge-
mäuer einer Fabrik so nahe zugedeckt, daß
kaum kleine Höfchen den Hinterfenstern
das allernöthigste Licht offen halten; dann
nach der anderen Seite erhebt sich eine
Reihe Lagerhäuser, die eben so sparsames
Licht den Hinterfassen des „Elendsgäßchens“
zugestehen.
Dieses Gäßchen läuft noch dazu in
einen Sack, so daß nur solche Leute hier
4) Der hochverdiente berühmte Gesellenvater
Adolf Kolping, Dompikar in Köln am Rhein, hat
aus seiner reichen Erfahrung zahlreiche interessante
und belehrende Erzählungen verfaßt, deren ernster
Inhalt schon gar Viele von falschen Irrwegen
bewahrt und gerettet hat. Der „Kathol. Volks-
freund“ theilt seinen berehrl. Lesern wieder eine
dieser spannenden und prächtig geschriebenen Er-
zählungen zur Sektüre mit.
Die Red. d. „K. V.“
ab- und zugehen, die nothwendig hier aus
und ein müssen. Da hier natürlicher
Weise nur Tagelöhner, Fabrikarbeiter, ver-
pfuschte Handwerker und derlei arme Leute
wohnen, die man heut zu Tage vornehm
„Proletariat“ nennt, damit die armen
Leute erst recht nicht mehr wissen, was
sie sind, so ist der Verkehr nicht groß.
Morgens beim Anbruche des Tages
öffnen sich die Thüren, und blasse, ver-
lumpte Männergestalten, denen das Elend
um- und anhängt und tief im Gesichte
steht, verlassen schweigend, kaum einander
grüßend, die verrauchten, dumpfen Wohn-
ungen und wandern nach allen Stadt-
vierteln. Bald darauf wandelt ein Trupp
Weiber nach, deren Aussehen und Anblick
um nichts röstlicher ist, vielmehr noch
größeres Mitleid erregt. Man denke nur
an das, was sie hinter sich zu Hause lassen.
Mittags kehrt ein Theil dieser Leute zu-
rück, um in einer Stunde Geist und Kör-
per zu erquicken; Abends wird die Be-
wegung indessen schon größer, da dann
alles, was das Elendsgäßchen bewohnt,
in Bewegung zu sein pflegt.
Käme nicht der Pfarrer und der Kap-
lan oder auch der Arzt bisweilen in's
Elendsgäßchen, man sähe Jahr aus und
Jahr ein keinen ordentlichen Rock darin,
und gingen nicht einige junge Damen,
deren Christenthum doch noch größer ist,
als ihr Putz, hin und wieder zwischen den
kranken Frauen und Wöchnerinen, man
sähe im Elendsgäßchen nie, was Mode
wäre.
Haufen von armen, verlumpten Kindern
treiben sich bei leidlicher Witterung unten
im Gäßchen herum und vollführen nicht
geringen Lärm, da Spiel, Streit und Ver-
söhnung, in die sich nicht selten die Aeltern
mischen, eigentlich niemals aufhört und
niemals lange anhält. Obschon die Be-
wohner durchweg gleich arm sind, fehlt's
im Grunde hier eben so wenig an Neid,
Mißgunst und anderen menschlichen Un-
tugenden, wie in der großen Hochmuths-
straße, da die Armen in der Regel eben,
so wenig ihre Armuth, als die Reichen
ihren Reichthum recht zu benutzen und an-
zuwenden wissen.
Beinahe am Ende der Gäßchens liegt
ein Haus, das sich durch seine Größe von
den anderen Häusern der Nachbarschaft
merklich unterscheidet. Zwar sieht das
Haus von außen und innen durchaus nicht
besser aus, als die anderen, ist vielmehr
im Gegensatze zu diesen, die auf Spekula-
tionen gebaut werden, ein alter weitläufi-
ger Kasten, den man die „Arche Noah“
benamset hat. Das ist geschehen wegen
der vielen und vielartigen Familien, die
sich in diesen alten Rumpelkasten einge-
miethet haben. Da summt und brummt
es über Tag drin, wie in einem Bienen-
korbe.
Wenn man die Bewohner alle in Reihe
und Glied aufstellte, käme eine richtige
Musterkarte von menschlicher Armuth zu
Tage, und könnte man den Einzelnen ins
Herz sehen, würde man ein ziemliches
Arsenal von irdischen Hülfsmitteln ent-
decken, mit denen sich solche Leute zu
trösten suchen.
Leider ist das Christenthum dabei der
schwächere Theil in dem von Fabriken und
Waarenhäusern eingeklemmten Elendsgäß-
chen. Damit jeder seine Wohnung in dem
Gewirre von Gängen und Winkeln wieder-
finde, sind die einzelnen Zimmerthüren in
der Arche Noah numerirt; jede Zimmer-
thür führt in eine gesonderte Wohnung,
die aus einem Wohnzimmer, das zugleich
Küche und Kinderstube ist, und aus einem
Nebenkämmerchen, der Schlafstätte, besteht.
Unten im Hause sind noch die besten
Räume, weßhalb dort auch ein Kramladen
angelegt ist, worin aber nichts geborgt
wird, wie groß die Noth auch sein mag.
Auf dem ersten Stocke wohnt schon ein
anderer Menschenschlag und je höher Du
kommst, um so größeres Elend wirst Du
finden. Natürlich, je höher die Wohnung,
um so billiger die Miethe, bis ganz oben
unter dem alten, windige Dache das Mög-
liche, in der Stadt sagt man, das Un-
glaubliche geleistet wird.
Da die breite Hausthür den ganzen
Tag offen steht, die baufällige Treppe auch
nicht weiter abgeschlossen ist, hat der Zug-
wind hier Jahr aus Jahr ein freie Paf-
sage, was wenigstens den Nutzen hat, daß
er gewisse faule Dünste mit sich oben
zwischen den Dachluken auf und davon
führt. Der geduldige Leser erläßt mir ge-
wiß vor der Hand jede nähere Beschreibung.
Eines Tages trug eine junge Frau,
sie mochte eben Dreißig zählen, in der
Im Elendsgäßchen.
Dateiname:
katholischer-volksfreund-erzaehler-1898-01-02-n1_0090.jp2