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Seie 6 Achen-Zeuung Samstag. 9. August 1930 selbstverständlich“, antworteten beide, die das Lachen nur schwer unterdrücken konnten. Die Auftraggeberin überflog die Blätter, ohne Lamartine zu erkennen. „Ihr habt Euch zwar nicht gerade in geistige Unkosten ge- stürzt“, rief sie vergnügt, „aber es wird auch so gehen. Ihr seid wahre Engel“. Und sie bezeugte Ihre Dankbar- keit durch eine stürmische Umarmung. Das Gedicht wurde eingesandt, und die Preiswerberin erhielt mit dem gewohnten Glückwunschschreiben den für die beste Dichtung ausgesetzten Preis der Akademie. Die Verse Lamartines wurden unter dem Namen Louise Colets als Buch veröffentlicht. Jedermann ließ sich durch den Glanz, den der Titel ausstrahlte, blenden, ohne an dem Inhalt Anstoß zu nehmen — denn kein Mensch las das Buch. Die beiden an dem Komplott beteilig- ten Freunde hielten reinen Mund, und erst später hat Flaubert die Myystifikation enthüllt. — Man kann wohl annehmen, daß die zur Zeit lebenden „Unsterbli- chen“ kritischer und — belesener als ihre Vorgänger sind. Günstlingswirtschaft soll an einigen Akademien freilich auch heute noch vorkommen. Das 600jührige, unbekannte Gottschee. Von Hermann Hönig. Gottschee, im August. Wenn man, von Laibach kommend, mit der Süd- krainer Bahn an den Ausläufern der Karawanken ent- lang in das Gottscheer Ländchen kommt, ist jeder Fremde vorerst irgendwie enttäuscht. Er hat seit jeher gehört, daß die deutsche Sprachinsel Gottschee mitten im Karst liegt und stellte sich vor, daß der Gottscheer Bauer in kärglichen Dolinen seinen Mais anbaut. Nun aber deh- nen sich rings, soweit das Auge reicht, üppiggrüne Wäl- der, sanftgeschwungene Hutweiden, von kleinen, aber sorgsam bearbeiteten Feldern durchsetzt. Eine ungemein reizvolle, abwechslungsreiche Landschaft, tut sich an Stelle der erwarteten Karstwüste auf. Das Gottscheer Ländchen ist fast von allen Seiten durch Hügelzüge von dem umliegenden flowenischen Gebiet deutlich abge- trennt, es bildet nicht nur eine volkliche, sondern auch eine geographische Insel. Das ist für die Gottscheer un- endlich wichtig geworden, denn bald hatte sich hier ne- ben dem Volkstumsbewußtsein ein scharf ausgeprägtes Landesbewußtsein herausgebildet, als dessen Verwirk- lichung im Jahre 1791 Kaiser Leopold II. das Gottscheer Ländchen zum Herzogtum erhob. Dieses Landesbewußtsein hat aber auch in der Rich- tung einer Herausbildung eines einheitlichen Stammes- bewußtsein geführt. Die Gottscheer sind aus den ver- schiedensten Teilen Deutschlands in das Land gerufen worden. Neben Kärntnern und Tirolern siedelten sich hier Franken und Hessen, ja selbst Flamen an. Heute sind viele grundverschiedene Volksteile zu einem nuen Ganzen zusammengeschmolzen. Die überaus interes- sante, fast mittelalterlich klingende Mundart der Gott- scheer weist noch deutlich Spuren der einzelnen deutschen Mundarten auf, aus denen sie bestand. Mindestens ebenso anziehend wie die Volkskunde des Gottscheer Deutschtums ist seine Wirtschaft. Der Bo- den ist für den Ackerbau hier wenig ertragreich. Der „Gottscheeber“, den sein Acker nicht ernähren konnte, zog also im Winter mit seinem Tragkorb und mit dem grü- nen Leinensäcklein, in dem die hölzernen Glückslose klap- pern, in die weite Welt hinaus, um wenigstens auf einige Monate aus der Kost zu kommen und sich die lebensnotwendigen Anschaffungen, die er sich aus dem Bodenertrag nicht verschaffen konnte, in der Fremde zu verdienen. Dieser Gottscheer Hausierhandel ist uralt. Kaiser Friedrich IV. hatte dem kurz vorher von den Türken völlig verwüsteten Gottscheer Land im Jahre 1492 ein feierliches Privilegium für den Hausierhandel in den deutschen Landen verliehen. Der Handel mit Süd- früchten und Naschwerk, den nun die Gottscheer Jahr- hunderte hindurch betrieben, war immerhin ziemlich einträglich, so daß das Land trotz seiner kargen Aecker und undurchdringlichen Urwälder zu immerhin nicht un- beträchtlichem Wohlstand gelangte. Leider ging die Aus- breitung des Hausierhandels Hand in Hand mit einer immer weiter um sich greifenden Vernachlässigung des Bodens. Besonders in den letzten sechzig Jahren ist eine bedenkliche Rückentwicklung der Bodenkultur nicht zu verkennen. Auf den Karten aus dem Jahre 1860 sind noch große Landstrecken als Viehweiden und Aecker ein- gezeichnet, die heute urwaldartiges Gestrüpp bedeckt. Diese bedenkliche Rückbildung wurde nach dem Umsturz, als der Hausierhandel plötzlich aufhörte, nicht, wie man hätte erwarten können, zum Stillstand gebracht, sondern durch die nunmehr einsetzenden Massenauswanderungen nach der Uebersee katastrophal gesteigert. Heute leben rund 1800 Gottscheer im „Ländchen“ und — über 32.000 in den Vereinigten Staaten und Kanada. Die Dollar- verdienste — in Dinar umgerechnet, phantastische Sum- men —, saugen Jahr für Jahr dem kargen Lande einen großen Teil der tüchtigsten Jugend ab. Wohl kehren zahlreiche „Amerikaner“ nach Jahren wiederum in ihr „Ländchen“ zurück, wohl fließen Jahr für Jahr erheb- liche Summen an' guten Dollars ins Land — aber, lebendiges Blut fehlt diesem Lande. Wenn man durch die Dörfchen der Sprachinsel wandert, so trifft man allerorten auf die Ruinen verfallener Bauernhäuser, auf versandete Aecker und verwachsene Hutweiden. Ein alter Bauer erzählte mir die Leidensgeschichte seiner Familie: Zwei Brüder, zwei Söhne und zwei Töchter leben in Amerika. Er ist mit seinem jüngsten Sohn allein auf dem Bauerngrund. „Mein Sohn möchte ja gern wieder heimkommen. Aber seine Frau will vom Misthaufen nichts mehr wissen“, meinte der Alte me- lancholisch. „Ich lasse an meinem Haus nichts mehr rich- ten. Lange werde ich ja nicht mehr leben, und dann fällt es sowieso zusammen.“ Einsichtige Männer haben schon wiederholt auf die große Gefahr der Entvölkerung des Gottscheer Ländchens hingewiesen. Erst jetzt, aus Anlaß der 600-Jahr-Feiern, sprach der greise Priester in der Kirche bei dem Fest- gottesdienst in den eindringlichsten Worten von Heimat- liebe und Heimattreue. Aber der Dollar lockt und die Lebenshaltung in der Heimat ist mehr als kümmerlich, da der Bodenertrag verschwindend gering ist, für die Viehzucht die Absatzmöglichkeiten fehlen und der Hausier- handel brachliegt. Vorläufig schreitet noch die Entvöl- kerung des Gottscheer Ländchens unvermindert fort. Wenn das Ländchens trotzdem deutsch bleibt, so ist dies wiederum nur der Armut des Landes zu danken, die es selbst dem genügsamsten Slowenen nicht ratsam er- scheinen läßt, sich im Gottscheer Ländchen niederzulassen. Die 600-Jahr-Feiern des Gottscheer Ländchens wa- ren ein einziges, ergreifend herzliches Wiedersehensfest der vor Jahren und Jahren ausgewanderten Gottscheer mit ihrer Heimat. Ein Hauch wehmütiger Erinnerung lag über den sonst durchaus lebensfrohen, ja lebens- lauten Feiern. So etwas wie Trauer über ein Land, das seine Kinder nicht halten kann, das langsam in sich selbst zu verbluten scheint. Gott sei Dank, bloß scheint. Denn in der allerletzten Zeit ist doch schon wieder ein langsames Abflauen der unseligen Auswanderungs- sucht und sogar ein Zurückströmen in bescheidenen Gren- zen bemerkbar, vorderhand wohl nur als Folgeerschei- nung der auch in den amerikanischen Ländern wachsen- den Arbeitslosigkeit. Eine geschickte Vorsorge der für das Gottscheer Volkstum sich verantwortlich Fühlenden wird diese Entwicklung zum Besseren zweifellos fördern kön- nen. Und vielleicht können wir es doch noch einmal er- leben, daß das Gottscheer Land wieder einen Ueber- schuß an Jugendkraft haben wird, so wie in vergangenen Zeiten. Wer am meisten verdiente. Als Piermont Morgan in London weilte, wollte ihn der Reporter einer der größten englischen Zeitungen interviewen. „Nur zwei Minuten,“ sagte er. Morgan ließ ihm sagen, das ginge nicht. Jede Mi- nute seines Lebens sei 250 Dollar wert. Der Reporter ließ erwidern, er sei bereit, unter diesen Bedingungen das Interview zu übernehmen. Morgan ließ ihn ziemlich übelgelaunt eintreten. „Also los, was wünschen Sie?“ fragte er. „Nichts. Ich will Sie zwei Minuten lang sprechen. Das tue ich augenblicklich. Zwei Minuten kosten bei Ihnen 500 Dollar.“ Mit diesen Worten zog der Repor- ter seine Brieftasche und legte 500 Dollar auf den Tisch. „Bitte“, sagte er. „Und was wollen Sie wissen? „Nichts, ganz und gar nichts.“ „Ja, aber warum haben Sie dann eigentlich ein Interview verlangt? „Ich habe gewettet, daß ich ein Interview bei Ihnen erlangen würde. Und zwar habe ich um 2500 Dollar gewettet. 500 haben Sie soeben erhalten. Blei- ben also immer noch zweitausend. Ich habe diese zwei- tausend in zwei Minuten verdient. In der Minute al- so tausend. Mit anderen Worken: Ich habe pro Minute siebenhundertfünfzig Dollar mehr verdient als Pier- pont Morgan. Auf Wiedersehen!“ Morgan soll über diese Frechheit für mehr als tau- send Dollar gelacht haben. Interessante Kleinigkeiten. Die seit 1927 im Bau befindliche Hudsonbrücke im Norden von Neuyork wird eine Spannweite von 1067 Meter haben. In Bliedersdorf bei Stade mußte das Aufgebot eines Paares um zwei Wochen verschoben werden, weil der Aushängekasten besetzt war. In Europa werden 120 verschiedene Sprachen gesprochen. In Deutschland gibt es Dörfer, die mehr als 30.000 Einwohner haben, aber die „billig“ wei- ter als „Dörfer“ gelten wollen. Die kleinste Stadt Deutschlands ist dagegen Hauenstein im süd- lichen Baden am Rhein mit 215 Einwohnern in 32 Häusern. In wenigen Tagen sind im Zoo von Dresden ein Axishirsch, drei Hirschziegen-Antilopen, eine ge- fleckte Hyäne und einige Leoparden geboren worden. Ein englischer Maurer, der 1914 in Frankreich verwundet worden war und dem ein Auge her- ausgenommen werden mußte, fühlte seitdem eine Zuweilen recht unangenehme Behinderung beim Atmen. Als er vor kurzem im Bett lag und schneuzte, rutschte etwas in den Hals und er brachte eine — Schrapnellkugel aus dem Munde. In Philadelphia gibt es ein Sommertheater, das einen Vorhang hat, der aus herniederströmen- dem Wasser gebildet wird. Ein Millionär in Neuyork hat für eine blaue Dahlie (die unter den 13.000 verschiedenen Sor- ten noch fehlt) einen Preis von 25.000 Dollar ausgesetzt. Wer wird die blaue Blume finden? Neuyork hat nach der letzten Statistik, 5.6 Mil- lionen Einwohner, darunter 2 Millionen Auslän- der. Fernsprecher besitzt diese Riesenstadt mehr als London, Paris, Berlin und Rom zusammen. Alle 6 Minuten wird in Neuyork ein Mensch geboren, alle 13 Minuten findet eine Trauung statt, alle 17 Minuten wird ein Mensch vom Auto überfah- ren, alle 51 Minuten wird ein neues Haus er- richtet. Der Rigaer Augenarzt Tr. Reichard hat einem 18jährigen blindgeborenen Jüngling (grauer Star) durch eine Operation das Augenlicht geschenkt. Der junge Mensch hatte das Gefühl, in eine Welk der tausend Wunder versetzt zu sein und konnte das Sichtbargewordene zunächst nicht begreifen und nicht fassen. Er war natürlich überglücklich. Eine ungarische Gymnasiastin, die 17 Jahre alte Eva von Szaplonczay, wurde als Nachfolgerin der bisherigen Miß Hungaria zur Schönheitsköni gin erwählt. In Buenos Aires starb kürzlich der seit 23 Jahren tätige Direktor der Zollverwaltung, Luis Suavez, ein wohlbeleibter Mann, der mit einer sehr eleganten Freundin zusammenlebte. Es stellte sich nun heraus, daß dieser Divektor ein Fräu- lein Luise Suarez war, einst von ihren Eltern ent- flohen und in bitterste Not geraten, bis sie als Mann beim Zollamt angestellt wurde. Wirtschaftliches. Wirtschaftsminister beraten über Sinaja und Warschau. Prag, 9. August. Die tschechoſlowakischen Wirtschafts- minister werden wahrscheinlich in der letzten August- woche die erste Sitzung nach den Ferien abhalten, auf welcher vor allem die für die Handelsvertrags- verhandlungen mit Südslawien und An- garn wichtigen Fragen beraten werden sollen. Unver- bürgt ist die Nachricht, daß die Wirtschaftsminister sich auch mit dem Verhandlungsergebnis von Sinaja be- fassen und auch den Standpunkt der Tschechoflowakei zur Warschauer Agrarkonferenz formulieren werden. In po- litischen Kreisen legt man dem gestern eingetroffenen Telegramm des südflawischen und rumänischen Außen- ministers an den Ministerpräsidenten Udrzal große Be- deutung bei, weil man darin eine Solidaritätskundge- bung der beiden Staaten zur Tschechoslowakei erblickt, Zur Warschauer Konferenz dürfte die Tschechoslowakei keineswegs ohne weiteres einen positiven Standpunkt einnehmen. Rußlands Technikerbedarf. Wir lesen in der „Moskauer Rundschau“: Die Frage der Ausbildung neuer Kader ist für die Sowjet- außerordentlicher Bedeutung. Vor union von ganz kurzem wandte sich der „Cosplan“ (ſtaatliche Planwirt- schaftskommission) der ÜdSSR. an die Regierung mit dem Ersuchen, das Projekt der Aufnahme von 300.000 neuen Studenten in die Technik im Lehrjahre 1930/31 zu bestätigen. Davon sollen 120.000 Studenten in die industrielle, 48 Prozent in die landwirtschaftliche und 22,4 Prozent in die ökonomische Technika geleitet wer- den. Damit steigt die Aufnahme von Studenten im Ver- gleich mit dem Vorjahre um das Dreifache, 150.000 Studenten sollen aus den Kreisen der Arbeiter und Landarbeiter und 80.000 aus den Kreisen der Kollek- tivwirtschaftsmitglieder herangezogen werden. Die rasche Entwicklung der Industrie und die Umgestaltung der Landwirtschaft vergrößern den Bedarf der Sowjet- wirtschaft an Ingenieuren und Technikern. Am 1. Oktober 1929 waren in der Industrie, auf Bauten, in wissenschaftlichen Forschungsinstituten, in der Forstwirtschaft usw. ungefähr 120.000 Spezialisten beschäftigt, davon 31.452 mit Hochschulbildung, 35.231 mit mittlerer Bildung und 53.395 Praktikanken ohne entsprechende theoretische Ausbildung. Dabei war das Personal keineswegs überall vollzählig und die Indu- strie ist im Vergleich mit anderen Ländern bei weitem nicht genügsam mit Spezialisten gesättigt. Zur Beseitigung dieses Mangels ist es notwendig, im Verlauf des Jahrfünfts noch weitere 435.873 Spe- zialisten in die Industrie einzuziehen, davon 176.430 mit Hochschulbildung und 259.443 mit' mittlerer Bil- dung. Von dieser Zahl werden 31 Prozent bereits im laufenden Wirtschaftsjahr benötigt. Der Bedarf an weiteren Kadern kann im laufenden Jahrfünft zum größten Teil durch normale Absolvie- rung der vorhandenen Techniken und Hochschulen ge- deckt werden. Nach vorläufiger Berechnung der Staaks- planierungskomission der Sowjetunion können die vorhandenen und neuprojektierten Lehranstalten wäh- rend des Jahrfünfts 70.377 Ingenieure und über 133.000 Techniker ausbilden. Von dieser Gesamtzahl kann die Industrie nur 75 bis 80 Prozent erhalten, da ein Teil der Spezialisten von anderen Wirtschafts- zweigen benötigt wird. Die noch fehlende Zahl Spe- zialisten muß außerhalb der Lehranstalten ausgebildet werden (zeitweilige Kurse, Fernunterricht usw.) Auf diese Weise werden wir voraussichtlich 41.000 Inge- nieure und 85.000 Techniker erhalten. Außerdem soll die ganze Masse der in der Induſtrie tätigen Praktiker ausgebildet werden. Aber auch in diesem Falle wird der Bedarf der Industrie an Kadern nicht vollkommen ge- deckt werden können. Der Bedarf an Ingenieuren kann nur mit 62 Prozent gedeckt werden. Dabei wird die Schwerindustrie am meisten berücksichtigt werden; die Metallurgie mit 94 Prozent (gegen Ende des Jahr- fünfts), die Bergindustrie mit 61 Prozent, der Ma- schinenbau mit 78 Prozent ulw. Der Bedarf an Tech- nikern kann nur mit 69.6 Prozent gedeckt werden.
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