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„Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 74
31. März 1899
hause stattfand, war von 500 Personen, beinahe durch-
wegs Arbeitern besucht. Zum Vorsitzenden wurde der
Einberufer Herr Wilfart, zu dessen Stellvertreter Herr
Zuber, zum Schriftführer Herr Raunert gewählt. Herr
Schriftleiter Herzog sprach in 11/4 stündiger Rede über
den Unterschied des deutschnationalen und socialdemo-
kratischen Programmes. Stürmischer Beifall und Heil-
rufe lohnten seine Rede, als er mit dem Wunsche schloss,
es möge die deutschnationale Arbeiterschaft siegreich das
schwarz-roth-goldene Banner auf den eroberten Mauern
des letzten socialdemokratischen Bollwerkes in Eger, der
Bezirkskrankencasse, aufpflanzen. — Nach ihm beiprach
Herr Wilfart die Zustände bei der Bezirtskrankencassa,
schilderte, wie das Amtslokal und die Amtestunden zu
Parteizwecken dienen müssen und wie unmöglich es sei-
irgend einen Antrag in den Leitungssitzungen durchzu-
bringen, da die sozialistische Mehrheit geschlossen jeden
Antrag niederstimme. Nachdem noch Herr Herzog zur
eifrigsten Agitation für die am 9. k. M stautfindende
Wahl aufgefordert hatte, wurde die ohne Störung ver-
laufene Versammlung in begeisterter Stimmung mit der
Absingung der „Wacht am Rhein“ geschlossen. Als Be-
weis, mit welchen verwerflichen Mitteln die Solialdemo-
traten kämpfen, diene, daſs sie ihren bethörten Genossen
aus lauter Angst das Unmöglichste versprechen, so z. B.,
daſs sie das Krankengeld, wenn sie siegen, von 48 kr. auf
1 fl. erhöhen werden u. s. f. Glauben sie denn wirklich,
daſs ihnen auch nur die dümmsten Gimpel auf diesen
Leim fliegen werden? Wir hoffen, daſs auch die ver-
nünftigeren Soci diesen Schwindel durchschauen und sich
von den an ihre Mandate sich klammernden Führern
nicht durch so urdumme Versprechungen werden zum
Narren halten lassen. Es ist zu jocialdemokratisch!
Vermischtes.
(Die alte Sitte, Ostereier zu färben.)
findet eine immer größere Verbreitung, und wenn unsere
Vorfahren sich dazu ausschließlich der Zwiebelschale und der
Farbhölzer bedienten, so bieten heute die Theerfarben mit
ihren wunderbar schönen Nuancen ein Material, das die
prachtvollsten und mannigfachsten Färbungen gestattet.
Hauptsächlich sind es die wasserlöslichen Anilinfarben, die
man anwendet, und zwar für roth: Fuchsin, Magenta,
Cardinalroth) Saffranin (scharlach), Eosin (hellroth) ꝛc.
Für violett: Hoffmann's Violett; für grün: Malachit-
oder Victoriagrün; für gelb: Naphtalingelb oder Anilin-
orange. Braune und blaue Anilinfarben eignen sich nicht
besonders. Die gedachten Farben verwendet man in Pulver-
form, von dem man eine Messerspitze in einen Tassentopf
voll heißen Wassers auflöst. Man rührt so lange mit
einem Holze, bis alles aufgelöst ist, da man sonst keine
reine Farbe erhält. Vielfach pflegt man auch die Anilin-
pulver mit etwas Dextrin zu mischen und zwar in einem
Verhältnis wie 1 : 5. Ein Zusatz von etwas Essig zu
dem Auflösewasser hat sich bei verschiedenen Farben be-
währt. Eine schöne Braunfärbung erzielt man durch Ein-
tauchen der gekochten heißen Eier in eine concentrierte
Lösung von übermangansaurem Kali. Nachdem die Eier
gefärbt und getrocknet sind, reibt man sie mit einem Stück-
chen Speckschwarte ab.
(Dietschechisch-orientalische Zuckerwaren-
Chocoladefabrik A. Maršner, Prag.) so
meldet die deutsche Apothekerzeitung, überflutet Deutsch-
böhmen mit Preislisteu und Anpreisungen ihrer „neuen“
Erzeugnisse. Bemerkenswert wäre außer ihrer jederzeit
offenen Bekenntnis zum Tschechenthum, auch der Auszug
einer „Chemischen Analyse“ eines bisher wohl wenig be-
kannten lschechischen „chemischen und bacteriologischen Labo-
ratorium“ in Königgrätz. Ob dieses Institut (?!) gesetzlich
ermächtigt, „solche Certificate“ auszustellen, ist uns leider
nicht bekannt; doch zweifeln wir daran. Sehr beachtens-
und nachdenkenswert ist jedoch auch in den Anpreisungen
eine Lobhudelei dieser tschechischen Firma, welche sich die
„Wiener Drognistenzeitung“ leistet. Herr Marsner schreibt:
„Das seriöse Fachblatt „Wiener Droguistenzeitung“, die in
ganz Europa (?) verbreitet ist, schreibt in Nr. 15 vom
8. Angust 1898 wie folgt: „Maröner's entölter Cacao.
Die Erzeugnisse der Fabrik orientalischer Zuckerwaren und
Chocoladen von A. Marsner in Prag, Königl. Weinberge
„Plzenka.“ erfreuen sich infolge ihrer ganz besonderen Güte
der allgemeinsten Beliebtheit“. Wenn ein solches, in einer
Stadt wie Wien, welches von Erzeugnissen der ganzen
Welt überflutet wird, erscheinendes Blatt seinen Lesern
unsere einheimischen (? — tschechischen) Erzeugnisse so warm
empfehlen kann, so glauben wir, daſs eine Versündigung
an uns selbst wäre, wenn unsere Kaufleute ihre Geld für
fremde (deutsche)? manchmel zweifelhafte Producte aus-
werfen würden.“ — Deutscher Michel, hast Du noch nicht
genug, um Dich aufzuraffen?
(Alldeutsch — verboten.) Abgeordneter Iro
sprach in Feldbach in einer Volksversammlung. Der
anwesende Regierungsvertreter untersagte ihm, den Aus-
druck „alldeutsch“ zu gebrauchen und die Anwendung des
§ 14 zu kritisieren. Am Schlusse wirde eine Resolution
angenommen, in welcher den Abgeordneten, welche die
Schwüre von Eger und Klagenfurt gehalten haben, der
Dank ausgeiprochen wurde.
(Bürger zahlt!) 23 Millionen Gulden mehr
will der Herr Kriegsminister im Jahr 1900 haben, als
er sonst gebraucht hat. „Das Mehrerfordernis dient in
erster Reihe für die Gehaltsregulierung der Officiere, in
zweiter Linie der Vermehrung des Heeresstandes, indem
der Präsenzstand um 2500 Mann erhöht werden soll.
Bezüglich der Marine wird ein außerordentlicher Credit
von 61/2 Millionen und ein Nachtragscredit von 2,600.000 fl.
gefordert.“ — Kurz und trocken meldet dies die officiöse
Presse!
(Socialdemokraten und „Nationalde-
mokraten.“) Unter diesem Stichworte bringt der
„Pester Lloyd“ aus Bain folgende bemerkenswerte Mel-
dung: „Das hiesige Socialistenlager hat sich jüngst in
zwei Theile gespalten. Eine große Anzahl von Socia-
listen ist aus der Partei der internationalen Socialde-
mokraten ausgetreten und hat sich als ungarische
nationale Arbeiterpartei konstituiert. Diese
Partei gedenkt nun ein eigenes Organ herauszugeben
und im ganzen Komitat eine lebhafte Agitation zu ent-
falten.“ — So sieht die Internationalität auch bei den
Tschechen, Franzosen u. s. w. aus, nur ein Theil der
deutschen Arbeiterschaft läſst sich durch die gewissenlosen
Führer wirklich international verdummen.
(Ein natürlicher Tunnel.) Ein merkwür-
diger Eisenbahntunnel befindet sich in Nordamerika, auf
der Linie der South Atlantic and Ohio Railway im Be-
zirk Skott County in Virginia. Die Natur hat es hier
den Ingenieuren leicht gemacht, indem sie ihnen einen
vollständig fertigen Eisenbahntunnel schenkte. Die Stelle,
wo die Bahn in ihn mündet, ist etwa fünfzig Fuß breit
und bildet den Eingang zu einer großen Höhle, an die
sich verschiedene kleinere anschließen, die den Berg in einer
Länge von 1500 Fuß durchziehen. Da dies in ziemlich
gerader Linie geschieht, war es nicht schwer, die Bahn-
linie hier hindurch zu führen; natürlich wurden auf diese
Weise ganz beträchtliche Kosten erspart, besonders, da die
wenigen nothwendigen Bohrungen leicht auszuführen
waren, denn der Felsen besteht aus Tuffstein. Der Tunnel,
oder vielmehr die Reihe aufeinander folgender Höhlen
wird übrigens auch von einem kleinen Fluſs, dem Stock
Creek durchflossen.
(40,000 fl. im Ofen.) Am 17. Dezember v. J.
starb in Brünn die Beamtenwaise Fräulein Julie Hof-
mann im 82 Lebensjahre. Sie hatte mit ihrer im Tode
vorausgegangenen Schwester in den dürftigsten Verhält-
nissen gelebt und von verschiedenen Seiten Unterstützungen
erhalten, darunter von der Gemeinde ein Armengeld von
jährlich 200 fl. Nach ihrem Tode wurden in einer
Schachtel 99 Ducaten, später über 400 fl. Baargeld auf-
gefunden. Gelegentlich der in diesen Tagen vorgenomme-
nen Inventur wurden in einemjunbenützten Ofen 40,000 fl.
in Coupons entdeckt.
Vom Büchertisch.
Von der Wiener Wochenschrift „Die Zeit“ ist soeben
das 234. Heft erschienen. Aus dem Inhalt desselben
heben wir hervor:
Unter einer Decke. Von K. — Amerikanische Welt-
politik. Von Henry C. Villard. — Zur Formel Szell.
Vom Reichsrathsabgeordneten Dr. Otto Lecher. — Jacob
Froschhammer in seinen Beziehungen zum Lehrerstande und
zur freien Schule. Von Dr. Karl von Scherzer. — Die
Entdeckung der Provinz. Von Peter Resegger. — Seces-
sion. Von Hermann Bahr. — Concerte. Von Richard
Wallaschek. — Burgtheater. Von Mox Burckhard. — Die
Woche. — Bücher, — Reyue der Revnen. — Der verlorene
Handschuh. Von Roberto Bracco.
Abonnements auf diese Wochenschrift, vierteljährlich
3 fl. = 5 Mark, nehmen die Post, alle Buchhand-
lungen und die Administration, Wien IX/3, entgegen.
Einzelnummern à 30 tr. = 50 Pf. — Probenummer
gratis und franco.
Krankheit ist ein Warnungsruf der Natur, in
unnatürlicher Lebensweise einzuhalten und nicht weiter zur
eigenen Vernichtung mehr beizutragen. Die Quellen der
Krankheit liegen nicht in der Witterung, großer Hitze und
Kälte, der angeblich scharfen Nachtluft, dem Ostwind und
in dem unzähligen Heer der Bazillen, sondern im Menschen
selbst, in dessen Verftößen gegen die allwaltende Natur.
Darum befleißige sich ein Jeder einer naturgewäßen Lebens-
weise und übe eine vernünftige Gesundheitspflege. Wenn
wir nicht gesund sind, so sind wir auch nicht glücklich, man
lerne daher vor Allem die köstliche Gesundheitspflege, welche
z. B. „Der Hausdoctor“, Wochenschrift für natur-
gemäße Lebens- und Heilweise, mit so lobenswertem Eifer
vertritt. Dieses Blatt hat bereits über viele Tausende
Segen gebracht. Es enthält in jeder Nummer höchst be-
achtenswerte und allgemeinverständliche Aufsätze über die
Naturheilmethode und über Krankheiten aller Art. Im
Rathgeber“ und „Briefkasten“ wird den Abonnenten außer-
dem bereitwilligst zuverlässiger Rath in allen Krankheits-
tällen und allen die Naturheilmethode betreffenden Fragen
etheilt Der Abonnementspreis dieser vorzüglichen Zeit-
schrift beträgt vierteljährig nur 60 kr. Probenummern
sind kostenlos in allen Buchhandlungen, sowie auch durch
die Geschäftsstelle des „Hausdoctor“ zu Berlin SW. er-
hältlich.
Telegrapsiische Nacirichiten.
Wien, 30. März. Die „Wiener Zeitung“
veröffentlicht die kaiserliche Verordnung vom 23. März
1899 betreffend die Forterhebung der Steuern und
Abgaben, dann die Bestreitung des Staatsaufwandes
in der Zeit vom 1. April bis Ende Juni 1899
auf Grund des § 14 des Staatsgrundgesetzes vom
21. December 1867. Nach derselben wird die Re-
gierung ermächtigt, die Steuern und indirecten Ab-
gaben nach den bestehenden Normen, vom 1. April
bis Ende Juni 1899 fortzuerheben. Die in der
Zeit vom 1. April bis Ende Juni 1899 sich er-
gebenden Auslagen sind nach Erfordernis für
Rechnung der durch das Finanzgesetz für das
Jahr 1899 festzustellenden Credite zu bestreiten.
Jene Beträge, für welche in der der kaiserlichen
Verordnung vom 28. December 1898 angeschlos-
senen Aufstellung der Ausgaben und Einnahmen
eine mehr als einjährige Verwendungsdauer ver-
zeichnet ist, ferner die im Anschlusse an die kaiser-
liche Verordnung angeführten, mit Eade März
1899 erloschenen Credite können, insoweit sie nicht
bis Ende März 1899 in Verwendung gelangen,
noch bis Ende Juni 1899 verwendet werden, und
sind die bezüglichen Auslagen für den Dienst des
Jahres 1899 zu verrechnen.
Wien, 30. März Heute abends kommen die
Oxforder Universitätshörer aus Prag hier an.
Die Gäste werden vom Comité zur Veranstaltung
von Fußballwettspielen am Bahnhofe empfargen
und ins Hotel geleitet. Morgen Nachmittag findet
eine Fahrt nach dem Kahlenberge und um die Ring-
straße statt, worauf sich die Engländer abends im
Clubheim des Athletic-Sportclubs einfinden werden.
Samstag wird im Rathhausk ller ein Frühschoppen
eingenommen werden. Am Abend findet ein Bankett
statt, welches der Wiener »Cricket- and Football-
Club« den Engländern gibt. Sonntag ist das
erste Wettspiel, und wird in demselben den Eng-
ländern ausschließlich Wiener Mannschaft gegen-
überstehen. Abends ist ein Besuch der Oper und
des Colosseums in Aussicht genommen. Montag
wird gegen das Wiener Team gespielt werden,
worauf Abend das Comité ein großes Abschi ds-
baukett gibt. Dienstag nachmittag verlassen die
Engländer Wien.
Wien, 30. März Unter dem üblichen Cere-
moniell nahm heute vormittags im Ceremoniensaale
der Hofburg der Kaiser die Fußwaschung an 12
Greisen in Anwesenheit der Mitglieder des kaiser-
lichen Hauses, der Hofwürdenträger, hoher Civil-
und Militärfunctionäre und der Mitglieder des-
diplomatischen Corps vor.
Vilsen, 30. März. Der Verwaltungsr lh
der Pilsener Actienbrauerei, Heinrich Jäger jun.,
in Wien wohnhaft, hat infolge Kränklichkeit seine
Stelle niedergelegt.
Pilsen, 30. März. Hier mehren sich die
thätlichen Angriffe auf deutsche Schulkinder und
Mittelschüler derart, daſs man, da die städtische
Polizei nicht ausreichenden Schutz gewährt, in
deutschen Kreisen beabsichtigt, eine Beschwerde an-
die Statthalterei zu richten.
Berlin, 30. März. Ueber die neuesten Vorfälle
in Samoa liegt hier bis jetzt folgendes amtliche
Telegramm vor: Apia 20. März. Das Bombar-
dement dauert fort. Auf militärische Anordnung
wurden viele Wohnungen von den Weißen geräumt.
Die auf die anderen Jaseln verbannten Häuptlinge
der Tanu-Partei sind nach Upolu zurückgebracht
worden. Den Anhängern Tann's wurden die ihnen
abgenommenen Feuerwaffen nebst Munition zurück-
gegeben.
Dateiname:
karlsbader-badeblatt-1899-03-31-n74_3310.jp2
Porta fontium